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Retter des Zittauer Fastentuches ist tot

Ernest Hall hat 1945 mit weiteren Kriegsgefangenen das Kunstwerk nach Oybin gebracht. Nun ist er mit 96 Jahren verstorben.

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© privat

Über 70 Jahre liegt der erste Kontakt von Ernest Hall mit Zittau zurück: Von Oktober 1943 bis Mai 1945 ist der Engländer hier als Kriegsgefangener interniert gewesen. Im Februar 1945 ist er mit dabei gewesen, als das Große Fastentuch aus dem Zittauer Stadtmuseum ausgelagert und auf den Berg Oybin gebracht wurde. Insgesamt sechs Kisten hat er mit fünf weiteren Kriegsgefangenen in den Kurort gebracht. Eine war über sechs Meter lang. Deren Transport sei eine regelrechte Schinderei gewesen, erzählte Hall später.

Nun ist der Fastentuch-Retter im Alter von 96 Jahren verstorben, wie der frühere Zittauer Museumsdirektor Volker Dudeck von der Familie erfuhr. „Zittau hat einen guten Freund in England verloren“, steht für Dudeck fest. Er erinnere sich gern an die Besuche von Ernest Hall in Zittau. Am 31. März 2007 konnte er – noch als Museumschef – Ernest Hall, seinen Sohn Peter und Enkel Nick im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz begrüßen.

Ernest Hall ist damals schon fast 86 Jahre alt gewesen, aber noch recht mobil und einer Reise nach Zittau durchaus aufgeschlossen. „Nach einer Führung saßen wir zusammen in meinem Büro und unterhielten uns“, erinnert sich Volker Dudeck. „Es war eine bewegende Stunde, in der mir Ernest viel über sein Leben und die Zeit in Zittau erzählte.“ Er habe gespürt, wie sehr den alten Herrn das Wiedersehen mit Zittau und die Begegnung mit dem kostbaren Fastentuch berührte. Nach dieser Begegnung entwickelte sich zwischen Ernest Hall und Volker Dudeck ein reger Briefwechsel. Gut ein reichliches Jahr später kam der Engländer erneut nach Zittau. Er wurde vom damaligen Oberbürgermeister Arnd Voigt (Freie Bürger) im Rathaus empfangen und mit einem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt geehrt. Am Abend wurden dann bei einer Veranstaltung in der Reihe „Denk mal am Fastentuch – Besinnliches mit Wort, Bild und Musik“ Ernest Halls Erinnerungen an seine Kriegsgefangenschaft in Zittau vorgetragen. „Es beeindruckte mich sehr, denn die Schilderungen passten gar nicht in das Bild, das ich bisher vom Schicksal in deutsche Kriegsgefangenschaft geratener alliierter Soldaten hatte“, sagt Dudeck. Die Resonanz bei der Veranstaltung sei überwältigend gewesen.

Wie sehr sich der Engländer mit dem Ort seiner Kriegsgefangenschaft verbunden fühlte, mag man daran ersehen, dass der inzwischen 88-Jährige auch die Anstrengungen einer dritten Reise nicht scheute. Am 4. Juli 2009 nahm er an der Festveranstaltung anlässlich des zehnten Jubiläums der Dauerausstellung des Großen Zittauer Fastentuches im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz als Ehrengast teil. Inzwischen war sein Manuskript „Return to Zittau – Rückkehr nach Zittau“ in den Mitteilungen des Zittauer Geschichts- und Museumsvereins veröffentlicht. „Als wir ihm während der Feierstunde das Büchlein überreichten, war er zu Tränen gerührt“, berichtet Dudeck.

Zwei Jahre später feierte er auch seinen 90. Geburtstag in der Oberlausitz und besuchte dabei auch mit der ganzen Gesellschaft den Oybin. Bei der Verabschiedung meinte sein Sohn, dass die Familie auch den 100. Geburtstag in Zittau feiern möchte. Sollte Ernest diesen nicht mehr erleben, würde man es „in memoriam“ tun. Nach Hause zurückgekehrt, überarbeitete Hall sein Manuskript „Return to Zittau“ und schrieb es fort. Das 60-seitige Büchlein ist unter dem Titel „Zittau … and I. A personal memoir“ (Meine Begegnungen mit Zittau – persönliche Erinnerungen) noch im gleichen Jahr erschienen. Dudeck hatte mit anderen dafür gesorgt, dass es davon auch eine deutsche Übersetzung gibt. Hall hatte selbst einige dieser deutschen Exemplare erworben, um mit dem Erlös die Bewahrung und Ausstellung der beiden Zittauer Fastentücher sicherzustellen. „Das Große Zittauer Fastentuch hat eine überaus wichtige Rolle in den letzten sechs Jahren meines Lebens gespielt und deshalb möchte ich einen persönlichen Beitrag zu seiner Bewahrung leisten“, schrieb er damals.

Am 2. Juli ist Ernest Hall friedlich in einem Pflegeheim eingeschlafen. „Ich denke, dass die erneute Verbindung mit Zittau die letzten zehn Jahre seines Lebens zu etwas Besonderem für ihn gemacht haben“, schrieb Peter Hall wenige Stunden später an die Freunde in der Oberlausitz. (SZ/jl)