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Retter aus der Luft

Pilot, Notarzt, Rettungsassistent – bei der Luftrettung kommt es vor allem auf eines an: ein starkes Team.

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© Anna Hoben

Von Anna Hoben

Landkreis. Dass der Mensch fliegen kann, gleicht einem Wunder. Warum also sollte er mit der Fliegerei nicht jeden Tag versuchen, zu einem weiteren kleinen Wunder beizutragen? „Diese persönliche Hoffnung ist immer dabei“, sagt der Pilot. Das Wissen, Leben retten zu können, ist ein Grund dafür, dass er diesen Job macht. Der zweite: Es macht ihm einfach riesigen Spaß. Früher war er Bundespolizist, Grenzschutz, Hubschrauberstaffel. Eigentlich aber wollte er immer zur Luftrettung. Vor acht Jahren hat er sich diesen Traum erfüllt.

Der Pilot, Ulrich Michalski, 47, ist der wichtigste Mann auf der Station der DRF-Luftrettung am Flughafen in Dresden-Klotzsche. Neben ihm gibt es noch zwei andere wichtigste Männer: den Rettungsassistenten, an diesem Tag ist das Heiko Roth. Der 40-Jährige kennt sich sowohl technisch als auch medizinisch aus, unterstützt den Piloten und den Arzt. Der Arzt heißt heute Hans-Martin Dill, Fachmann für Anästhesie am Krankenhaus Dresden-Neustadt. Er und 20 Kollegen wechseln sich ab mit den Notarztdiensten bei der DRF-Luftrettung.

Beim Frühstück über den Tod reden

Und dann ist da noch Christoph 38, Protagonist Nummer vier. Vor Sonnenaufgang wird er aus der Garage geholt, dann steht er auf einem Podest und wartet. Wie alle Rettungshubschrauber ist er nach dem heiligen Christophorus benannt, dem Schutzheiligen der Reisenden. Im Jahr 2014 ist Christoph 1 362 Einsätze geflogen.

Ein früher Morgen in der Woche, kurz zeigt sich die Sonne, bevor sie sich den restlichen Tag über hinter Wolken verstecken wird. Morgenbriefing: „In alle Richtungen fliegbar“, sagt der Pilot. Dann gibt es erst mal Frühstück. Die Brötchen hat der Arzt mitgebracht, wie immer. Es könnte fast gemütlich sein. Nur dass jeden Moment ein Einsatz auf den Piepser kommen kann. Dass keiner weiß, wo er in zehn Minuten sein wird. Nervös macht das hier niemanden. „Ein geplanter Tag ist langweilig“, sagt Michalski. Dann kommt das Gespräch auf das vergangene Wochenende: Reanimation eines zweijährigen Kindes, es konnte nicht mehr gerettet werden. Notarzt Hans-Martin Dill ist an dem Tag nicht im Dienst gewesen, aber er hat natürlich auch schon solche extremen Einsätze erlebt. „Manchmal staunt man, dass man so funktionieren kann“, sagt der 40-Jährige.

Ständiges Austarieren

Manchmal passiert es dann aber hinterher: dass man emotional wird. Alle drei Männer haben selber Kinder. „Früher“, sagt Roth, „war die Haltung verbreitet: wenn dich das angreift, kannst du den Job nicht machen“. Heute denke man nicht mehr so. Heute ist klar, dass die psychische Gesundheit ein hohes Gut und Verdrängung eine schlechte Strategie ist. Eine bessere Strategie: viel reden. Es ist ein ständiges Austarieren: nicht abgebrüht werden, gleichzeitig die Dinge nicht zu nah an sich herankommen lassen. Auch solche Sätze, die in den Medien zu lesen sind: „Alle Rettungsmaßnahmen kamen zu spät.“ Manchmal ist nichts mehr zu machen, egal wie früh oder wie spät die Rettungskräfte da sind.

Um kurz vor halb zehn meldet sich der Piepser. Rein in die Jacke, ab nach draußen, flott, aber ruhig, ohne Hektik. Helm auf, Anschnallen, Motor an. Alles fast ohne Worte, bis das Funkgerät losknarzt. Die drei sind ein eingespieltes Team. „Ich sehe schon morgens am Blick des Piloten, ob er Zweifel hat“, sagt der Rettungsassistent, „zwischen uns herrscht blindes Vertrauen“. Kerosingeruch dringt in den Hubschrauber, dann hebt er ab. Die Häuser werden kleiner, dann geht es schon über die Elbe. Zwischen 300 und 500 Meter hoch bewegt der Hubschrauber sich mit 260 Kilometern pro Stunde durch die Luft. „Wenn man über Baumwipfel fliegt, spürt man die Geschwindigkeit“, sagt Roth.

Auch Überraschungen

Die Zeit vergeht wie im Flug, kaum fünf Minuten später landet Christoph in Tharandt neben einem Supermarkt. Ein Zubringer-Taxi vom DRK holt den Notarzt und den Rettungsassistenten ab und bringt sie mit Blaulicht vor die Haustür. Der Patient hat starke Schmerzen beim Atmen. Der Notarzt versorgt ihn mit Medikamenten, fragt und beruhigt. In der Zwischenzeit ist ein Rettungswagen gekommen, er bringt den Mann ins Krankenhaus.

Bevor sie losflogen, wussten sie kaum etwas über den Fall. Manchmal stimmen die Angaben nicht, weil Angehörige aufgeregt sind am Telefon oder Unfallzeugen einiges durcheinanderbringen. Dann entpuppt sich etwa ein schwer verletztes Kind als 40-jähriger Betrunkener, ein Traktor-Unfall als Rasenmäher-Unfall oder – wie beim zweiten Einsatz an diesem Tag – ein Krampfanfall als gequetschter Finger. „Die Infos vorher sind auch gar nicht so wichtig“, sagt Dill. „Hinfliegen, gucken, handeln.“ Die nächsten beiden Einsätze an diesem Tag führen nach Freital: zweimal Herzinfarkt. Beide Patienten werden mit dem Rettungswagen in die Uniklinik gebracht. Der Notarzt fährt mit, der Hubschrauber fliegt in dieselbe Richtung. Weil am Hubschrauberlandeplatz gerade gebaut wird, muss Christoph an der Elbe landen. Dort trifft sich das Team wieder.

Wohnen am Flughafen

Rückflug. Wieder Kerosingeruch, wieder Motorenlärm, wieder legt sich das Gras flach. Noch einmal piepst der Piepser an diesem Nachmittag. Es ist 17 Uhr, in Brandenburg soll ein Kind von einem Gerüst gefallen sein. Abflug, über Königsbrück die Entwarnung, es ist bereits ein Notarzt dort, Umdrehen, zurück zur Station.

Es ist ein ruhiger Tag gewesen, verglichen mit anderen Rettungstagen. Abends zeigt sich die Sonne ein zweites Mal. Kurz bevor sie untergeht, taucht sie das gegenüberliegende Gebäude in ein rötliches Licht. Um 19.07 Uhr ist Sonnenuntergang, Feierabend. Der Rettungsassistent bleibt. Mit seiner Familie lebt er bei Zwickau, doch während seines Dienstes, vier bis fünf Tage, wohnt er am Flughafen, auf der Luftrettungsstation. Ist das nicht ganz schön einsam? „Nein“, sagt Roth. Statt vor dem Fernseher zu sitzen, kann er abends Füchsen zusehen, die über die Landebahn flitzen.