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Respektlose Kunst vor der Kirche

Vorm Kirchhof liegen scheinbar verstreut Kunstwerke aus. Vielleicht sind sie bald in der Dresdner Frauenkirche zu sehen.

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© Kristin Richter

Von Jörg Richter

Lenz. Bunte Bretter sind in Paletten gesteckt, Schilder reihen sich an einem Geländer, Bilder liegen auf der Wiese. Der Vorplatz des Lenzer Kirchhofs sieht etwas wild aus. So, als würde jemand umziehen wollen. Auf jedem einzelnen Teil steht etwas geschrieben. Parolen und Gedanken. Mal liebevoll, mal wütend. Und manchmal auch respektlos und provozierend.

„Ich habe keine Zeit“ steht auf einer Deutschlandflagge.
„Ich habe keine Zeit“ steht auf einer Deutschlandflagge. © Kristin Richter
„Ich hab´s satt“ steht auf einem Plakat vorm Kirchhoftor.
„Ich hab´s satt“ steht auf einem Plakat vorm Kirchhoftor. © Kristin Richter
Paletten mit frechen und nachdenklichen Sprüchen liegen hier rum.
Paletten mit frechen und nachdenklichen Sprüchen liegen hier rum. © Kristin Richter

„Für die meisten Leute ist es ein schöner Hingucker“, sagt der Lenzer Pfarrer Sebastian Zehme. Er habe beobachtet, wie Fußgänger innehalten und einen Abstecher wagen. Autofahrer, die vorbeikommen, fahren langsamer und fragen sich, was hier los ist. Bis vor Kurzem blieben sie sogar stehen. Wegen einer Bauampel. Dann hatten sie sogar etwas mehr Zeit, sich dieses bunte Chaos anzusehen. „Aber diese Ampel hing nicht mit uns zusammen“, versichert der Pfarrer lächelnd. Sein älterer Bruder Joachim Zehme, der dieses Kunstprojekt mit initiiert hat, bezeichnet die Bauampel dagegen keck als „sehr guten Einfall des Straßenverkehrsamtes“. Dadurch sei diese Freiluftausstellung noch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Der Oschatzer Künstler betont, dass dieser reichhaltige Schatz an Kreativität nicht sein Verdienst ist. Kinder und Jugendliche aus der Trinitatisschule Riesa, der evangelischen Werkschule Naundorf und der beiden kirchlich geprägten Gymnasien in Riesa und Schweta haben sich hier Gedanken über die Gegenwart und Zukunft der Kirche gemacht. Passend zum 500. Reformationsjubiläum hatten Joachim Zehme und ein Freund, der Jenaer Soziologe Christopher Hausmann, das Konzept für dieses Mitmach-Kunstprojekt entwickelt. Sie gingen an diese vier Schulen und ließen den Kindern und Jugendlichen jeglichen Freiraum, getreu dem Motto „Die Gedanken sind frei.“ Dass sie mit manch frommen Dingen überhaupt nicht fromm umgingen, sei gewollt gewesen. Selbst vorm Reformator Martin Luther machten sie nicht halt und kreierten die „Luther-Pickel“, die sehr an Pferdeäpfel erinnern. Auch sie sind an der Lenzer Kirche zu sehen.

Joachim Zehme, der aus einer Pfarrersfamilie stammt, im Kreuzchor sang und später Theologie studierte, findet diesen Umgang mit Kirche eher erfrischend als respektlos. „Das ist doch eine traumhafte Kommunikationsvorlage“, sagt er. Die Gedanken der Kinder und Jugendlichen seien besonders für Erwachsene dazu geeignet, ihr eigenes Weltbild zu hinterfragen.

Solche Kommunikationsvorlagen findet man zu Hauf vor der Lenzer Kirche. Und Joachim Zehme und Christopher Hausmann suchen weitere Gedanken. Die Lenzer oder jeder, der hier anhält, können sie auf die weißen Flächen am Zaun schreiben. Sie sind beziffert von 1 bis 24 und werden deshalb (gewollt oder ungewollt) mit einem Adventskalender verwechselt. Die Stifte liegen in einer Kiste am Kirchhoftor.

Bis zum 20. Dezember wird die Mitmach-Kunstaktion zum Reformationsjahr in Lenz zu sehen sein, ab 31. Dezember in Schweta. Joachim Zehme ist zurzeit noch im Gespräch mit der Kreuzkirche und der Frauenkirche in Dresden, um die Ausstellung dort zu zeigen. Im Mai 2018 kommt sie nach Meißen in den Dom.