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Rentnerin kann der Versuchung nicht widerstehen

Eine Großenhainerin entdeckte in einem Geldautomaten 2000 Euro und steckte sie ein. Jetzt stand sie vor Gericht.

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© dpa

Von Jörg Richter

Großenhain. Wie unterschiedlich doch die Gesichter von Angeklagten vor Gericht sein können. Eben noch saß hier ein 34-Jähriger, der sich im Amtsgericht Riesa scheinbar wie zu Hause fühlte. 24 Eintragungen gab es in seinem Vorstrafenregister. Diesmal musste er sich wegen einer gestohlenen Zigarettenschachtel verantworten. Er entwendete sie nur wenige Tage nach seiner letzten Haftentlassung. Dem Mann scheint die Vorladung vor Gericht nicht wirklich unangenehm zu sein, eher vertraut. Sein Gesichtsausdruck ist entspannt.

Bei der älteren Dame, die anschließend vor Gericht steht, ist das ganz anders. Sie kennt sich hier nicht aus, fragt verunsichert, wo sie sich hinsetzen soll und nimmt dort, wo eben noch der Dauergast saß, Platz. Die 79-jährige Großenhainerin zückt nervös ein paar Dokumente hervor, die sie fein säuberlich in eine Plastefolie eingepackt hat. Die Anspannung ist ihr deutlich anzumerken. Amtsrichterin Ingeborg Schäfer bemerkt es und sagt: „Sie sind das erste Mal vor Gericht. Atmen Sie erst mal richtig durch!“

Dann verliest die Staatsanwältin die Anklage. Der adretten Dame wird vorgeworfen, im November vergangenen Jahres in einem Geldautomaten in der Großenhainer Sparkasse an der Dresdner Straße eine größere Summe gefunden und einfach einsteckt zu haben. Immerhin 2 000 Euro.

Eigentlich wollte die heute 79-Jährige nur im Auftrag eines Bekannten Geld abheben. Da sah sie die vielen Geldscheine, schaute sich um, ob jemand in der Nähe ist, dem sie gehören könnten, und griff zu. „Ich habe mir nichts dabei überlegt“, sagt sie reumütig und beteuert: „Das wird mir nie wieder passieren.“

Ein Indiz, dass sie dabei von keinerlei krimineller Energie getrieben wurde, ist wohl auch die Tatsache, dass sie anschließend, wie verabredet, vom Konto ihres Bekannten Geld abhob.

Etwa eine Minute später soll die Geschädigte, auch eine Rentnerin, zu dem Automaten zurückgekehrt sein, um zu sehen, ob die 2 000 Euro noch drin stecken. Die zierliche Person, die als Zeugin geladen ist, erzählt der Richterin, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sie eine so große Summe zurückließ. Sie erzählt, dass sie erst kurz zuvor eine Geldkarte erhalten hatte und das selbstständige Abheben mit PIN-Nummer und all dem neumodischen Schnickschnack nicht gewöhnt war. Dummerweise begab sie sich ausgerechnet an den Ein- und Auszahlautomaten. Dieser besitzt mehrere Geldfächer. Offensichtlich stand sie vor dem falschen Fach und bemerkte nicht, dass das Geld im anderen Fach ausgezahlt wurde. Im Glauben, dass irgendetwas schief gegangen sein musste, verließ sie den Vorraum der Sparkasse, den wenig später die Angeklagte betrat und das Geld mitnahm.

Anhand von Videoaufnahmen und der anschließenden Geldtransaktion für den Bekannten kam die Polizei auf die Spur der 79-Jährigen. Diese nimmt die Gelegenheit wahr, sich vor Gericht bei der Geschädigten zu entschuldigen, was diese auch annahm. „Es kommt nie wieder vor“´, sagt die Angeklagte. Das glaubt ihr Amtsrichterin Ingeborg Schäfer aufs Wort und belässt es bei einer Strafverwarnung. Innerhalb von sechs Monaten muss die 79-Jährige ratenweise das Geld zurückzahlen. Zusätzlich muss sie 200 Euro an einen gemeinnützigen Verein spenden.