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Rentner fallen auf Vertreter rein

Der Angeklagte soll einem alten Ehepaar einen Bauvertrag aufgeschwatzt haben. Doch hat er auch betrogen?

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Von Jürgen Müller

Es ist der Klassiker. Ein Vertreter einer Firma – in diesem Fall einer, die Dächer und Hausfassaden saniert – zieht durch die Lande auf der Suche nach Kunden. „Kaltakquise“ nennt mal so etwas wohl. Und auch das ist bekannt: Vor allem alten Menschen wird schnell ein Vertrag aufgeschwatzt, den diese gar nicht wollen. Doch sie können sich nicht wehren, sind dem Redeschwall und den Argumenten der geschulten Vertreter nicht gewachsen. Und unterschreiben etwas, was sie später bereuen.

Das freilich ist nicht strafbar. Dem Angeklagten wird jedoch vorgeworfen, ein Radeburger Rentnerehepaar – beide waren damals 84 Jahre alt – betrogen zu haben. Er soll versucht haben, sie zu überreden, einen Vertrag über die Sanierung der Fassade ihres Hauses für knapp 8 000 Euro abzuschließen. Als die Rentner das ablehnen, soll er ihnen einen Bogen hingelegt haben, auf dem sie angeblich nur mit ihrer Unterschrift quittieren sollen, dass er bei ihnen war und ein Beratungsgespräch führte. Das brauche er als Nachweis für seine Chefin, soll der Angeklagte behauptet haben. Tatsächlich soll er dem Mann einen Vertrag untergeschoben haben, den der, ohne das Schriftstück zu lesen, unterschrieb.

Wegen versuchten Betruges erhielt der 54-jährige Vertreter aus Sachsen-Anhalt einen Strafbefehl. Er sollte 80 Tagessätze zu je 30 Euro, also 2 400 Euro Geldstrafe zahlen. Doch dagegen legte er Einspruch ein. Gestern kam es zur Verhandlung vor dem Meißner Amtsgericht.

Der Vertreter fühlt sich unschuldig. „Ich fuhr durch die Ortschaft und habe den Sanierungsbedarf an dem Haus erkannt. Die Dünnputzfassade habe dringend einer Beschichtung mit Lotuseffekt und Selbstreinigung bedurft“, sagt er und führt vor Gericht gleich mal eine Werbeveranstaltung durch. „Daraufhin habe ich den Mann, der im Garten war, angesprochen“, sagt er. Er habe zunächst Interesse signalisiert, deshalb habe er ausgemessen und ein Angebot erstellt. Dann seien dem Rentner jedoch Zweifel gekommen, weil der Putz erst vor sechs Jahren erneuert wurde. Dennoch hätte der Mann letztlich den Vertrag unterschrieben, sagt er.

Er stand plötzlich in der Küche

Der mittlerweile 86-jährige Geschädigte schildert das ganz anders. „Er stand plötzlich in der Küche, hat nicht mal geklingelt. Ich habe ihm gesagt, dass das Haus keine Risse hat und uns gar nicht gehört, sondern wir nur Wohnrecht haben“, sagt der Radeburger. Es stimme nicht, dass er im Garten gewesen sei. „Der Mann kam ohne zu Klingeln in die Wohnung, hat sich hingesetzt und zu reden begonnen“, sagt der 86-Jährige. Auch ausgemessen habe er nichts. Als er die Unterschrift auf dem Zettel hatte, sei er so schnell weg gewesen, wie er gekommen sei. Er habe nichts hinterlassen, keinen Durchdruck, keine Telefonnummer, keine Firmenadresse. Sechs Monate später flattert ein Schreiben der Firma ins Haus. Die Arbeiten sollten beginnen. Jetzt hat der Geschädigte die Telefonnummer, ruft in der Firma an, sagt, dass er keinen Auftrag unterschrieben habe. Die Firma reagiert prompt. Er soll 2 212 Euro Schadensersatz und 350 Euro Anwaltskosten bezahlen. Inzwischen streitet man sich auch vor einem Zivilgericht. Die Firma hatte geklagt. In der ersten Instanz bekamen die Rentner recht. Doch die Firma hat Berufung eingelegt, die Verhandlung vor dem Landgericht Dresden steht noch aus.

So gibt es nun zwei völlig unterschiedliche Varianten. Nach einem Rechtsgespräch bietet das Gericht eine Einstellung des Verfahrens wegen „geringer Schuld“ ohne Auflagen an. Der Angeklagte müsste nur seine eigenen Kosten tragen. Doch der lehnt ab. Staatsanwältin Claudia Jentzsch glaubt den Rentnern. „Sie haben die Eheleute überrannt durch Ihr Erscheinen und Ihren Redefluss. Der alte Herr sagte, er fühle sich betrogen. Ich sehe das auch so“, sagt sie dem Angeklagten und fordert eine Geldstrafe von 5 600 Euro. Der Verteidiger hingegen plädiert auf Freispruch. Er spricht von „Kaufreue“ der Rentner. Sie hätten den Vertrag abgeschlossen und danach versucht, wieder rauszukommen. Zwar sieht auch er, dass sein Mandant die Rentner zu dem Vertrag gedrängt hatte, doch ältere Leute zu einem Vertragsabschluss zu bewegen, sei ja nicht strafbar.

Die Tür bleibt jetzt zu

Richterin Ute Wehner spricht den Vertreter frei. Im Gegensatz zur Staatsanwältin sieht sie keinen Betrug. „Bei einem Betrug muss eine Täuschung vorliegen, ein Irrtum erregt werden, damit ein Vermögensschaden entsteht. Das ist hier nicht nachzuweisen“, begründet sie. Es könne nicht bewiesen werden, dass die Unterschrift durch Bedrängen des Rentners geleistet wurde. Im Zweifel sei für den Angeklagten zu entscheiden. Die Ehefrau des Geschädigten hat aus dem Vorfall ihre Lehren gezogen. „Wir schließen jetzt das Haus immer ab, lassen keinen mehr rein.“