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„Reise zwischen Himmel und Hölle“

Stefanie Kloß, Sängerin der Bautzener Band „Silbermond“, über ihre Herkunft, die Angst vor einer Eigentumswohnung und das Fast-Aus vor dem fünften Album.

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© dpa

Von Marco Mach

Stefanie Kloß, 31, gibt eine kleine Führung durch das Studio in Berlin-Adlershof. Es ist ein Ort mit vorgelagerter Küche, Holzvertäfelungen und Postern und unverschämt weichen Polstermöbeln. Zwölf Jahre sind vergangen, seit die Bautzener Band Silbermond mit Liedern wie „Symphonie“ der Durchbruch gelang und deutscher Pop wieder populär wurde. Kloß lümmelt sich in einen Ohrensessel neben dem Mischpult. „Ich bin bereit“, sagt sie.

Frau Kloß, stimmt es, dass Sie mal zu viert in einer 35 Quadratmeter kleinen Einzimmerwohnung gelebt haben?

Das war, als wir ganz frisch nach Berlin gekommen sind. Eigentlich war das anders geplant. Ich sollte dort alleine wohnen, und die Jungs wollten zu dritt eine WG gründen. Aber kurz vor dem Umzug ist deren Vermieter abgesprungen, dann standen sie plötzlich bei mir vor der Tür. Mit drei Matratzen. Was sollte ich denn da machen? Dann waren wir dort zu viert.

Das klingt grauenhaft.

Es hat eigentlich ziemlich gut funktioniert. Einer auf einem Klappbett in der Küche, die anderen drei auf Matratzen im Zimmer. Natürlich verbringt man dann nicht mehr Zeit als nötig in der Wohnung. Aber wir kannten uns ja schon lange, wir machen zusammen Musik, seit ich 13 war.

Anfangs waren Sie noch zu sechst.

Ja, ich war eine von zwei Sängerinnen. Ich war wahnsinnig unscheinbar, auch auf der Bühne. Ich habe mich überhaupt nicht geschminkt, bis ich 17 war. Wir haben hauptsächlich englische Songs gecovert. Aber dann haben sich die Interessen auseinanderentwickelt. Meine Freundin, die andere Sängerin, wollte zum Beispiel die Bandprobe auch gern mal ausfallen lassen, wenn das Wetter schlecht war und sie durch den Regen hätte radeln müssen. Die Prioritäten waren einfach unterschiedlich. Irgendwann waren wir dann nur noch zu viert.

Ärgern sich die anderen zwei heute?

Max hat später Schlagzeug studiert, zu ihm habe ich heute wenig Kontakt. Ich weiß also nicht, wie er das heute sieht. Jule ist immer noch eine enge Freundin, sie kommt auch oft zu unseren Konzerten und sagt dann immer, wie es ihr gefallen hat. Die ist da wirklich souverän. Sie sagt, dass das einfach nicht ihr Weg gewesen ist, nicht ihr Ding. Einmal sagte sie: „Ich wollte es einfach nicht so sehr wie du.“

Haben Sie den Erfolg richtig geplant?

Richtig planen kann man das nicht. Aber wir vier haben die Band immer ernst genommen. Die Musik war oberste Priorität. Wichtiger als ins Freibad gehen, Freundinnen treffen oder sonst etwas. Wir haben uns da schon reingehängt.

Aber es hätte auch sein können, dass der ganze Aufwand sich nicht lohnt.

Klar. 2002 oder 2003 zum Beispiel hatten wir Plattenfirmen eingeladen. Damals hatten wir schon Songs wie „Symphonie“ oder „Durch die Nacht“, die später Hits wurden. Aber die Plattenfirmen ... Manche haben gesagt, wir müssten unbedingt noch einen Keyboarder dazunehmen. Andere meinten, das würde irgendwie noch nicht passen, das sei alles nicht gut genug.

Was ist das für ein Gefühl?

Da denkt man schon: Was für eine Frechheit. Die können natürlich sagen, dass sie das nicht mögen, das ist ja in Ordnung. Aber dass wir schlecht sind, dass wir als Band scheiße sind, das fand ich schon unverschämt. Da hast du dann erst mal keinen Bock mehr auf all diese Leute. Wir haben dann eine ganze Zeit lang nur noch Konzerte gespielt und wollten mit Plattenfirmen nichts mehr zu tun haben.

Konnten Sie von der Musik leben?

Das war ja 2003, kurz nach dem Abi also. Weil wir so früh angefangen haben, hatten wir nie diesen extremen finanziellen Druck, wir konnten ja alle noch bei unseren Eltern wohnen. Die füttern dich erst mal durch. Aber meine Mutter hat irgendwann schon gesagt: Ein kleiner Kostenbeitrag wäre doch schön. Und dann hat jeder aus unserer Band bei seinen Eltern monatlich ein bisschen was abgeliefert. Das haben wir aus der Bandkasse bezahlt.

Wie sind Sie aufgewachsen?

Meine Mutter ist Laborantin, mein Vater war Elektriker. Sie haben sich getrennt, als ich ungefähr fünf war, meine Mutter ist dann mit meiner Schwester und mir in eine Neubauwohnung gezogen. Wir haben finanziell keine großen Sprünge gemacht, aber arm waren wir nicht. Ich bin ganz normal aufgewachsen, würde ich sagen. Mit Taschengeld und Spardose. Ich habe gelernt, das Geld zusammenzuhalten. Aber meine Mutter hat uns nie spüren lassen, dass es bestimmt nicht immer lustig war als Alleinerziehende.

Wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl, es finanziell geschafft zu haben?

Schwer zu sagen. Vielleicht, als ich in meine jetzige Wohnung gezogen bin. Nach unseren ersten beiden Hits war die Wohnungssuche für die Jungs ja viel einfacher, deshalb sind sie dann aus der Einzimmerwohnung ausgezogen, und ich war dann noch eine Zeit lang alleine dort drin. Aber sie war schon sehr dunkel, Hinterhof, erster Stock. 2007 oder 2008 bin ich dann umgezogen. Die neue Wohnung liegt ganz oben und ist deshalb sehr hell, das finde ich toll. Drei Zimmer, 70 Quadratmeter.

Sie könnten auch luxuriöser wohnen.

Das reicht mir eigentlich. Wir müssen uns im Moment keine Sorgen mehr machen, aber ich habe immer noch Respekt vor all dem. Das klingt natürlich so einfach: Die kleine Band aus Bautzen traut sich nach Berlin und gewinnt mit den ersten beiden Platten gleich „Echos“ und „Cometen“ und was weiß ich. Aber so einfach war es natürlich nicht. Ein kreativer Prozess ist eine Reise zwischen Himmel und Hölle. Nur weil du es einmal geschafft hast, heißt das nicht, dass es noch mal gelingt. Man weiß nie, was kommt. Klar überlegt man, ob das Sinn hat, eine Wohnung zu kaufen, statt Miete zu zahlen. Aber das überlegen andere in meinem Alter auch, die ganz normale Jobs haben bei der Bahn oder bei der Post.

Jetzt wohnen Sie zur Miete?

Ja. Der Gedanke, mich festlegen zu müssen, gefällt mir nicht. Vielleicht kommt das irgendwann. Aber wenn ich morgen beschließe, ich möchte doch lieber woanders sein, dann möchte ich die Freiheit haben, dort hinzugehen. Ohne vorher eine Wohnung verkaufen zu müssen und all das.

Hatten Sie nie Lust auf Konsumexzess?

Was braucht man denn unbedingt? Ich mache mir zum Beispiel nichts aus Autos. Wir haben uns als Band lange eines geteilt, wir hatten ja immer alle den gleichen Weg. Aber nach den ersten Erfolgen habe ich mir eine Lederjacke gekauft. Die hat, glaube ich, 250 Euro gekostet. Da habe ich mir schon auf die Lippe gebissen. Es war eine Mischung aus schlechtem Gewissen und so einem „Das darf jetzt auch mal sein“-Gefühl. Heute gebe ich viel für Gesundheit und Sport aus, darin investiere ich. Und für meine Familie. Meiner Mutter schenke ich auch mal einen Urlaub.

Wie fand Ihre Mutter die Idee, dass Sie von der Musik leben wollten?

Meine Mutter hat mich in der Zeit vor dem Abi jeden Abend gelöchert. Und, wie sind deine Pläne? Hast du dir schon Gedanken gemacht? Sie wollte mich herausfordern, eine echte Entscheidung zu treffen. Das musst du ja erst mal laut aussprechen: Wir wollen Musik machen und nichts anderes.

Was war der Plan B?

Ich hatte keinen Plan B. Wenn du einen Plan B hast, wird es sowieso nichts. Das heißt ja, du zweifelst. Ich wüsste auch heute nicht, was mein Plan B hätte sein können. Ich spiele kein Instrument, ich hätte also nicht mal Musik studieren können.

Hat ja trotzdem geklappt.

Ja, aber es ist immer auch viel Glück dabei. Es gibt viele tolle Bands, die schaffen es nie. Wir haben in Bautzen auf dem Burgplatzfest gespielt, da war zufällig eine Mitarbeiterin aus der Rechtsabteilung von BMG unter den Gästen. Die kam nachher und fragte nach einem Demo. Ich war total unfreundlich, weil das ja die Phase war, als wir mit Plattenfirmen nichts mehr zu tun haben wollten. Ich sagte also: Jaja, geh mal da zu dem Typ, der gibt dir irgendwas. Ich dachte, die quatscht nur. Aber sechs Monate später hatten wir einen Plattenvertrag.

Kurz zuvor ist Ihr Vater gestorben.

War eine intensive Zeit. Mein Vater hatte sich 2002 schon einmal nicht gut gefühlt, da hat man aber nichts gefunden. 2003 ging er dann wieder ins Krankenhaus und bekam die Diagnose Krebs im Endstadium. Zehn Tage danach ist er gestorben. An dem Tag war ich noch bei ihm im Krankenhaus. Danach habe ich mich mit Thomas getroffen, wir wollten an Songs arbeiten. Ich weiß noch, dass ich ihm das beinahe wie nebenbei gesagt habe. Nach dem Motto: „Hey, übrigens, mein Vater ist gerade gestorben. Willst du einen Cappuccino?“ Ich stand einfach unter Schock.

Was bedeutet Alleinsein für Sie?

Ich kann schlecht alleine sein. Vielleicht, weil ich es nicht gewöhnt bin. Wir haben als Band immer alles gemeinsam gemacht. Ich mag auch Harmonie, ich bin die, die immer versucht, alles zusammenzuhalten. Ich fühle mich besser, wenn ich weiß, wir haben eine Entscheidung getroffen, mit der sich alle wohlfühlen, als bei der Vorstellung, ich habe mich durchgesetzt.

Fällt man sich nicht auch irgendwann mal auf die Nerven?

Nein, aber trotzdem gibt es auch mal Probleme. Vor dem aktuellen Album, nach zehn Jahren, hatten sich die Dinge in unserem Umfeld verändert. Die Leichtigkeit war einfach weg. Das haben wir auch alle vier bemerkt. Damals stand sogar die Möglichkeit im Raum, die Band aufzulösen, und wir haben das sehr offen besprochen. Menschlich hat uns das noch näher zusammengebracht. Wir mussten auch erst wieder ein bisschen Raum schaffen, für das, was wir eigentlich am besten können, nämlich Musik zu machen.

Was haben Sie denn sonst gemacht?

Dadurch, dass wir Plattenfirmen gegenüber so misstrauisch waren, haben wir uns vor allem am Anfang mit jedem Detail selbst beschäftigt. Wir waren unsere eigene Plattenfirma, unsere eigene Merchandisingfirma und so. Wir haben sogar Plakate gezeichnet und die T-Shirts für das Merchandising entworfen. Das passierte so nebenbei, man merkt gar nicht, wie viel Energie diese Dinge saugen. Es hat gedauert, bis wir verstanden haben, dass es Leute gibt, die wirklich sehr gut wissen, ob der Bandname am Plakat besser oben, unten oder in der Mitte stehen soll und in welcher Größe. Kontrolle abzugeben, ist mir schwergefallen, aber es befreit unheimlich.

Kriegen Sie einen größeren Anteil der Einnahmen als die anderen?

Wir sind eine Band. Ich kann singen, aber tausend andere Sachen nicht. Jeder bringt das in die Band ein, was er einbringen kann. Wir teilen unsere Einnahmen durch vier. Ist doch logisch.

Wie viele Kompromisse muss man für kommerziellen Erfolg machen?

Man muss gar nicht, aber man kann. Wir haben nur einmal etwas halbherzig gemacht, unsere erste Single „Mach’s dir selbst“. Die hat uns die Plattenfirma, sagen wir, nahegelegt mit dem Versprechen, danach dürften wir Songs machen, an die wir glauben. Das waren dann die, die auch kommerziell erfolgreich waren. So ist das eben: Die Leute merken, ob man etwas ernst meint. Das Publikum ist nicht annähernd so blöd, wie gern behauptet wird.