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Reinigung von „intellektuellem Schmutz“

Am Wettiner Platz in Dresden wird der NS-Bücherverbrennung vor 85 Jahren gedacht. Das eigentliche Ereignis fand jedoch später und woanders statt.

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© SZ-Archiv

Von Oliver Reinhard

Sachsens Schutzpolizei sichert den Überfall ab: Am 8. März 1933 stürmen Schläger der SA-Standarte 108 das Verlagshaus der SPD-eigenen „Dresdner Volkszeitung“ am Wettiner Platz, schlagen die Anwesenden zusammen und verhaften sie. Dann holt die SA aus dem Gebäude „die dort aufgestapelte Parteiliteratur, namentlich Broschüren, Flugblätter, Plakate sowie einige rote Fahnen heraus, schichtete daraus einen hohen Scheiterhaufen auf und entzündete diesen“. So berichtet am Folgetag die Zeitung Dresdner Nachrichten.

Das Gedenken an dieses Ereignis vor 85 Jahren hat in Dresden eine lange Tradition. Auch an diesem Sonntag erinnert das Kabarett Breschke & Schuch an die SA-Attacke. Gestalten werden das Programm neben den Hausherren die SPD-Politikerin Marlies Volkmer, Gabriele Hahn, der Schriftsteller und SZ-Autor Michael Bittner sowie die beiden Musiker Dániel Vedres und Gerlando Prestigiacomo.

Ein wenig verwirrend an der Tradition bleibt, dass sie „der ersten Bücherverbrennung in Dresden“ gilt. Das ist zum einen nicht ganz korrekt, denn schon am Vortag, dem 7. März 1933, waren vor der Volksbuchhandlung an der Großen Meißner Straße erstmals Bücher missliebiger Autoren verbrannt worden.

NS-Promi am Scheiterhaufen der Uni

Zum anderen wurden bei der Aktion am Wettiner Platz gewissermaßen als „Nebenprodukt“ des Angriffs zwar auch einige politische Bücher von Marx, Engels, Liebknecht, Bebel, aber vor allem eben anderes Material zum Scheiterhaufen geschichtet. Es war mithin eine primär politische Terror-Aktion von vielen in jenen Tagen. Aber keine dezidiert kulturkämpferische wie die berüchtigte „Bücherverbrennung wider den undeutschen Geist“ in der Literatur.

Auch daran wird am 11. März am Wettiner Platz erinnert. Jedoch fand das erste große Fanal des NS-Kulturkampfes zwei Monate später statt und an einem anderen Ort: am 10. Mai auf dem Gelände der Universität, sogar unter besonderen „Würden“. Im Studentenhaus trat vor Kommilitonen in SA- und SS-Uniform, dem Rektor, Professoren und etlichen städtischen Amtsinhabern der Gauobmann des NS-Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller persönlich auf. Will Vesper hetzte die Versammelten auf mit einer Rede über die „Allerweltsgeistigkeit des internationalen Judentums“, bevor die viele Hundert Menschen zählende Menge im Fackelzug zur nahen Bismarcksäule zwischen Räcknitz- und Südhöhe marschierte. Dort hatten die Studenten einen Scheiterhaufen aus Büchern errichtet. Viele davon waren ihnen durch Dresdner Leih- und Schulbibliotheken bereitwillig zur Verfügung gestellt worden.

Nach dem Bekenntnis zur „Notwendigkeit der Reinigung des deutschen Volkskörpers von intellektuellem Schmutz“ durch den Studentenschafts-Vorsitzenden „warf der SA-Sturm der Studierenden symbolträchtig ausgewählte Bücher in die Flammen“. Darunter Werke von Erich Kästner, Heinrich Mann, Erich-Maria Remarque.

Leider geht der Jahrestag dieser reichsweit organisierten Großaktion in Dresden weiterhin völlig unter im Schatten des Erinnerns an den Überfall vom 8. März am Wettiner Platz. Nachdem in den letzten Jahren vergeblich versucht wurde, auch am historischen Datum und Ort der Bücherverbrennung „wider den undeutschen Geist“ zu gedenken, geschieht auch am 10. Mai 2018 an der TU Dresden – nichts.

Gedenkveranstaltung im Dresdner Kabarett Breschke & Schuch: am 11. März um 11 Uhr. Der Eintritt ist frei.