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Reif für den Abriss

Stück für Stück verschwindet jetzt das Heizkraftwerk in Teichnitz. Die schwierigste Aufgabe heben sich die Mitarbeiter aber bis zum Schluss auf.

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© Uwe Soeder

Von Marleen Hollenbach

Bautzen. Wie es auf der Fläche später einmal aussehen wird? Enso-Mitarbeiter Jörg Liebscher lächelt kurz. Die Frage hat er in den vergangenen Tagen schon oft gehört. „Wenn wir fertig sind, steht hier nichts mehr“, sagt er dann. Wer seinem Bericht lauscht, der merkt schnell: Liebscher ist neugierig auf das letzte Kapitel des Bautzener Heizkraftwerkes in Teichnitz. Doch bei seinen Worten schwingt auch ein bisschen Wehmut mit. Der Energieversorger investiert noch einmal fast zwei Millionen Euro in den Standort. Aber nicht, um dort etwas aufzubauen. Es geht um den Abriss.

Fotos vom Heizkraftwerk

Das Herzstück des Heizkraftwerkes wird in den kommenden Monaten dem Erdboden gleichgemacht. Kesselhaus, Wärmetauscher, Heizöltank – für all diese Gebäude haben die Enso-Mitarbeiter schon die Abrissbagger bestellt. Die Vorbereitungen laufen seit März. Zunächst geht es darum, die Gebäude zu entkernen.

Ein Turm muss weichen

Einfach ist der Abriss nicht. Denn in dem zu DDR-Zeiten erbauten Heizkraftwerk befinden sich Schadstoffe. So können die Bauarbeiter zum Beispiel nur mit einem Atemschutz die Dämmwolle von den Gebäuden entfernen. Auch Asbest nutzten die Bauleute damals – vor allem als Dichtungsmaterial. Die Herausforderung nun: Komplette Bauteile sollen so demontiert werden, dass der Asbeststaub gar nicht erst freigesetzt wird. „Es besteht für die Umgebung also keine Gesundheitsgefahr“, erklärt Enso-Sprecherin Claudia Kuba.

Die schwierigste Aufgabe aber heben sich die Arbeiter bis zum Schluss auf. Im Oktober, wenn alle anderen Gebäude schon abgerissen sind, soll auch der 110 Meter hohe Schornstein fallen. Tilo Keil ist bei der Enso für den Rückbau des Heizkraftwerkes zuständig. Er erklärt, dass man zunächst daran dachte, Bautzens höchsten Turm Stück für Stück abzutragen. Doch das würde sehr lange dauern. „Wir haben uns deshalb dazu entschieden, das Bauwerk zu sprengen“, erklärt Tilo Keil.

Vom Netz gegangen ist das Heizkraftwerk schon im Februar 2017. Vor allem deshalb, weil mit einem Schlag der Hauptabnehmer wegbrach. Jahrelang bezogen die Energie- und Wasserwerke (EWB) die Wärme aus Teichnitz. Doch das Unternehmen entschied sich, ein eigenes Blockheizkraftwerk an der Thomas-Müntzer-Straße zu errichten. Für die Enso war damit klar, dass die Anlage in Teichnitz ausgedient hat. Mit dem Abriss verabschiedet sich Bautzen auch von der Kohle als Brennstoff. Das neue Kraftwerk der EWB nutzt Erdgas.

Areal bleibt bei der Enso

Die Fläche in Teichnitz bleibt aber in Besitz der Enso. Der Energieversorger will sich das Areal für zukünftige Projekte reservieren. Das bedeutet auch, dass vier Mitarbeiter weiterhin am Standort arbeiten dürfen. Ihre Büros werden in einer Etage des Verwaltungsgebäudes eingerichtet. Eines der wenigen Häuser, die nicht dem Abrissbagger zum Opfer fallen. „Wenn man bedenkt, dass hier zuletzt 16 Leute und vor der Wende 50 Leute gearbeitet haben, dann sieht man schon eine deutliche Veränderung“, erklärt Jörg Liebscher.

Einsam wird es für die Enso-Mitarbeiter aber nicht. Ein Interessent aus Bautzen hat sich bereits gemeldet. Er möchte die Hälfte der Fläche mieten, einen Teil des Verwaltungshauses sowie die Garagen nutzen und auf der frei werdenden Fläche vielleicht eine neue Halle errichten. Um wen es sich handelt, das will Jörg Liebscher noch nicht verraten. Viel lieber spricht der Enso-Mitarbeiter von der Geschichte der Anlage.

Erbaut wurde das Heizkraftwerk 1980. Damals ging es darum, den gerade wachsenden Stadtteil Bautzen-Gesundbrunnen mit Wärme zu versorgen. Jörg Liebscher zeigt auf alten Bildern, wie das Kraftwerk früher einmal funktionierte. Auf einem Platz vor dem Kraftwerk wurde die Kohle gelagert und über ein großes Förderband zu den Kesseln transportiert. Bis Anfang der 90er-Jahre versorgte die Anlage nicht nur den Bautzener Stadtteil, sondern zum Schluss etwa 10 000 Haushalte im gesamten Stadtgebiet. Dann kam die Wende – und mit ihr ein neues Immissionsgesetz. „Wir hatten damals die Wahl: Die Anlage schließen oder sie komplett umrüsten“, erklärt Jörg Liebscher. Man entschied sich für die zweite Variante, rüstete das Teichnitzer Kraftwerk zwei Jahre lang um.

Umbau nach der Wende

Das große Förderband hatte ausgedient. Statt der Rohkohle nutzten die Mitarbeiter seit 1996 zermahlene und getrocknete Kohle, den sogenannten Kohlestaub. Aber auch andere fossile Brennstoffe wie Erdgas und Erdöl kamen zum Einsatz. Und es gab noch eine Neuheit. „In Teichnitz wurde neben Wärme auch Strom produziert“, erklärt Liebscher und legt seinen Kopf steil in den Nacken, damit er bis hoch zur Schornsteinspitze schauen kann.

An der Außenwand des Schornsteins schlängelt sich eine offene Treppe hinauf bis zu einem Balkon, der in 40 Metern Höhe angebracht ist. Liebscher erinnert sich noch daran, wie er dort manchmal Besucher hinaufführte. Erst bekamen sie weiche Knie, doch dann freuten sie sich über die Aussicht. „Auch das wird es bald nicht mehr geben“, sagt er nicht ohne Bedauern.