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Reden ist Gold

Ein Stotterer erzählt, wie er seine Sprachstörung überwand. Von seiner Geschichte können auch andere profitieren.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Romantische Bauernhäuser inmitten saftig grüner Wiesen. Die Bilder wecken Sehnsüchte. Gleich dutzendfach ziert Manfred Hammers Leidenschaft die Wände seiner Wohnung, die selbst so etwas wie der Gegenentwurf eines Fachwerkhauses ist. In einem Plattenbau an der Lommatzscher Straße bewohnt Hammer im Erdgeschoss zwei Zimmer. Das größere von beiden ist sein Büro. Von hier aus hat der Architekt in den vergangenen Jahren einen Bauernhausverlag aufgebaut. Neben dieser kargen Bleibe hat er noch einen Wohnsitz bei Nossen. Wenn er in Sachsen unterwegs ist, schläft er nachts auch oft in seinem Kleinbus. Und die Familie? Der 65-Jährige ist zweimal geschieden. Das jüngste seiner sieben Kinder ist 29. „Mein Leben ist heute eher sachbezogen orientiert“, sagt er.

Dass Manfred Hammer überhaupt Architekt werden konnte, verdankt er den guten Kontakten seines früheren Schuldirektors. Damals, Anfang der 70er, war er im mündlichen Teil der Aufnahmeprüfung an der TU glatt durchgefallen. Er hatte keinen ganzen Satz rausgebracht, sein Körper hatte verkrampft und innerlich um Hilfe geschrien. Im Schreiben und im Zeichnen zeigte Hammer, was er draufhat. Dank seines Schuldirektors durfte er studieren. „Heute würde das ganz anders laufen“, sagt Hammer. „Wer stottert, fällt ganz schnell durchs soziale Raster.“ Generell gehörten Sprachgestörte zu den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft.

Wer Manfred Hammer heute sprechen hört, der kann kaum glauben, worunter er viele Jahre seines Lebens gelitten hat. Als Kind begann er, immer stärker zu stottern. Eine Sprachheilschule besuchte er nie. Mit jedem Jahr wurde es schlimmer. Während des Studiums in Dresden steuerte er auf den Tiefpunkt zu. „Ich konnte die Last nicht mehr ertragen und wollte alles hinschmeißen“, sagt er. Seine Sprachangst schnürte ihm die Kehle zu. Er ging zum Psychologen. „Für zehn Sätze habe ich eine Stunde gebraucht.“ Es war ein Anfang, doch der Weg war weit.

1979 nahm Hammer an einem sechswöchigen Lehrgang an der Charité in Berlin teil. Dort widmeten sich die besten Spezialisten des Landes einer Handvoll Sprachgestörten. Dazu muss man wissen, dass die genauen Ursachen des Stotterns bis heute unbekannt sind. Entsprechend gibt es keine unstreitbaren Therapien. Aber immerhin Ansätze.

Während er eine der zentralen Übungen demonstriert, schreibt Hammer mit der Hand große Achten in die Luft. „Ich – heiße – Manfred – Hammer“, spricht er vor. Die Bewegungen sollen helfen, die sprachlichen Barrieren im Kopf zu überwinden. Im stillen Kämmerlein vor sich hin zu sprechen, bringt allerdings gar nichts.

Also raus unter Leute, die Ängste überwinden. „Ich habe früher immer die glücklichen Stotterer beneidet, die einfach drauflosstottern und sich keinen Kopf machen“, sagt Hammer. „Ich konnte das nie.“ Viele Stotterer seien daher auch Meister im Kaschieren. Sie reden einsilbig und formulieren gedankenschnell Sätze um, sobald sie merken, dass ein Wort ihnen Probleme bereiten könnte. Und sie suchen sich Nischen, so wie Manfred Hammer. Viele Jahre verbrachte er mit dem Schreiben von Büchern über Baudenkmale.

1990 kandidierte Hammer als Kreistagsabgeordneter in Meißen für die Bürgerbewegung Neues Forum und blieb bis 1993 im Kreistag. „Ich hatte immer noch Sprachängste, aber ich ließ sie nicht mehr über mich bestimmen.“ Er wollte jetzt sprechen, jedes verpasste Wort nachholen. Über Jahrzehnte drängte er das Stottern zurück, hatte Rückschläge und kämpfte sich zurück. Heute spricht Manfred Hammer wie ein Rhetoriktrainer: flüssig, pointiert, bildlich. Die Schlussfolgerung liegt nahe: So ein Mann könnte doch den Sprachgestörten eine Stimme geben. Schon nach seinem ersten Lehrgang in der Charité 1979, der ihm die Augen öffnete, rief Hammer eine Interessengemeinschaft ins Leben, die mit der Zeit zu einer Selbsthilfegruppe mit 30 Mitgliedern anwuchs. Aus dieser Gruppe heraus wurde mit der Wende die Stotterer-Selbsthilfegruppe Sachsen gegründet. Hammer überlegte damals, ob er nicht Logopäde werden solle, entschied sich aber letztlich für die Architektur und für seine Familie. Immerhin hatte er damals auch einen Bauernhof mit Tieren zu versorgen. „Leider ist die Kommunikation von Stotterern auch untereinander oft schwierig“, sagt er. Die Selbsthilfegruppe sei mit den Jahren immer weiter zerbröselt. „Es ist nichts mehr übrig geblieben.“

Nach 27 Jahren Pause will Hammer nun wieder helfen. Seine Vision: ein sachsenweites Zentrum für Stotterer, das gleichzeitig ein stabiler Hort, eine Anlaufstelle und ein Veranstaltungsrahmen ist. Eine Immobilie hat er bereits im Blick. Jetzt sucht er nach Mitstreitern und macht Betroffenen Mut: „Bringen Sie mir einen Stotterer und ich kann ihm in fünf Minuten beweisen, dass er fließend sprechen kann“, sagt er. Geheilt wird er danach nicht sein, doch er bekommt das Zeug dazu: Hoffnung.

Interessenten und Betroffene erreichen Manfred Hammer unterTelefon 0351/8473030 und [email protected]