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Rechenspiele mit Pflegerinnen

Jürgen Richter vom Städtischen Klinikum kennt die Nöte der Mitarbeiter. Einen Tarifvertrag lehnt er dennoch ab.

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© Sven Ellger

Das Pflegepersonal des Krankenhauses Friedrichstadt kritisiert die Arbeitsbedingungen. Kürzlich berichteten zwei Pfleger in der SZ von Personalmangel, Überstunden und mangelnder technischer Ausstattung. Die Gewerkschaft Verdi fordert einen neuen Tarifvertrag, mit dem das Personal entlastet werden soll. Im SZ-Interview spricht der kaufmännische Direktor Jürgen Richter nun darüber, welche Lösung er vorschlägt und wie sich das Klinikum auf einen möglichen Streik vorbereitet.

Herr Richter, sehen Sie einen Pflegenotstand an Ihrem Klinikum?

Einen Pflegenotstand würde ich nicht ausrufen. Die Qualität, die deutsche Krankenhäuser messbar erreichen, kann sich sehen lassen.

Die Arbeitsbedingungen, die Ihre Mitarbeiter beschreiben, lassen aber einen anderen Schluss zu.

Da gibt es ganz viele Punkte, bei denen wir uns einig sind. Aber: Der Beruf des Pflegers umfasst in erster Linie die Fürsorge für den Patienten. Im Zweifel müssen wir alles dafür tun, diese Fürsorge aufrechtzuerhalten. Wir können nicht auf Basis einer Be- oder Entlastung eine Station nachts unbesetzt lassen. Deshalb werden wir uns immer besonders einsetzen müssen.

Sie räumen ein, dass es Probleme gibt. Wie kann die Arbeit der Pfleger verbessert werden?

Ein Ziel ist es, Systeme einzubauen, um zu verhindern, dass eine Pflegekraft überraschend zum Dienst gerufen werden muss, obwohl sie frei hat. Das ist in den letzten Jahren sicher nicht immer optimal gelaufen.

Wie sollen die angesprochenen Systeme konkret aussehen?

Wir könnten uns eine bestimmte Belegung der Stationen vorstellen. Das bedeutet, jeweils im Früh-, Spät- und Nachtdienst zwei Pfleger einzusetzen. Dafür brauchen wir elf Vollzeitkräfte in einem Stationsteam. Die könnten auch durch mehrere Teilzeitstellen abgedeckt werden. Die Station kann dann selber steuern, wie Urlaub, Fortbildung, Zusatzurlaub für Schichtdienste und auch Krankheit ausgeglichen werden können. Nicht mit eingerechnet wird, wenn an einem Tag unvorhergesehen drei Leute ausfallen. Dafür gibt es einen Personalpool, um die Lücken kurzfristig zu besetzen. Diese Arbeit wird auch zusätzlich vergütet.

Können die Stationen schon jetzt auf diesen Pool zugreifen?

Ja, aber der war in der Vergangenheit noch nicht so groß, wie er eigentlich sein müsste. Daran arbeiten wir gerade, sodass dann vor allem aus diesem Pool Pfleger eingesetzt werden, wenn Kräfte fehlen. Es gibt aber Risiken, die wir nicht abdecken können. Etwa, wenn bei einer Grippewelle in allen Stationen mehrere Pfleger gleichzeitig ausfallen.

Sind in diesem Pool Fachkräfte, die alle Arbeiten auf den verschiedenen Stationen abdecken können?

Wir probieren im Moment zwei Wege aus. In Neustadt testen wir derzeit das Modell mit mehreren kleinen Pools, zum Beispiel mit chirurgischem und internistischem Fachpersonal. Dort ist es eher die Ausnahmen, dass die Pfleger außerhalb ihres Fachs arbeiten müssen. In der Friedrichstadt haben wir einen großen Gesamtpool mit Pflegern, aus dem alle Stationen besetzt werden können. Das ist ähnlich der Ausbildungszeit, in der die Pfleger die verschiedenen Arbeitsbereiche des Krankenhauses durchlaufen. Natürlich kann die spezialisierte Intensivpflegekraft mit diesem Personal nicht ersetzt werden. Aber auch auf dieser Station fallen Arbeiten an, die das Personal aus dem Pool übernehmen kann.

Eine der wichtigsten Forderungen, die im neuen Tarifvertrag geregelt werden soll, ist die Personalbesetzung im Nachtdienst. Stimmt es, dass dieser oft nur mit einem Pfleger besetzt ist?

Wir haben durchaus ein paar Stationen, auf denen der Nachtdienst mit einem Pfleger besetzt ist. Das sind aber Stationen wie die Augenklinik, auf denen die Patienten nicht so sehr pflegebedürftig sind. Wenn der Bedarf da ist, können aber auch Kräfte von anderen Stationen, die zu zweit besetzt sind, geholt werden. Oder die Station ist so klein, dass ein zweiter Pfleger sich nicht rechnet. Liegen dort nur sechszehn Patienten, bekommen wir auch nur für diese die Kosten von den Krankenkassen erstattet.

Also geht es wie so oft ums Geld?

An dieser Stelle geht es ums Geld. Und dort halte ich es nicht für sinnvoll, dieses Problem über einen Tarifvertrag zu klären. Darüber würden wir zwar die Pflicht bekommen, zwei Pfleger zu stellen, aber die Krankenkassen wären nach wie vor nicht verpflichtet, die Kosten für die doppelte Besetzung zu übernehmen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Wir können gerne mit Verdi gemeinsam überlegen, wie wir dafür Geld in das System bekommen. Aber hier tut sich bereits an anderer Stelle etwas: Im Bundesgesundheitsministerium gibt es eine Expertenkommission Pflege, die Vorschläge erarbeitet, welche Schlüssel für welche Stationen sinnvoll sind. Dabei geht es auch darum, dass es keine Einzelbesetzung in der Nachtschicht mehr geben soll. Die Kommission steht kurz vor dem Abschluss des Arbeitspapiers. Wenn daraus ein Gesetz wird, gibt es auch eine Pflicht zur Finanzierung durch die Krankenkassen. Und diese Pflicht brauchen wir, ansonsten weiß ich nicht, woher wir das Geld für mehr Personal nehmen sollen.

Pfleger berichten, dass sie an körperliche Grenzen kommen. Wann könnte sich das Gesetz für sie auswirken?

Der Zeitplan sieht vor, dass es 2018 verabschiedet wird und 2019 in die Finanzierung eingearbeitet werden kann. Die Lösung liegt quasi schon auf dem Tisch. Verdi sitzt ebenfalls mit in dieser Expertenkommission. Deshalb verstehe ich das Bemühen der Gewerkschaft um einen Tarifvertrag nicht.

Dennoch bereiten Verdi-Mitglieder derzeit einen Streik vor, um den Tarifvertrag notfalls zu erzwingen. Sind Sie darauf vorbereitet?

Das Streikrecht muss immer gewährleistet werden. Andererseits muss aber auch die Versorgung der Patienten aufrechterhalten bleiben. Im Streikfall gibt es sogenannte Notdienstvereinbarungen, sodass etwa die Versorgung von Notfallpatienten aufrechterhalten werden kann. Patienten, deren Operation schon länger geplant ist, können wir bei einem Streik nicht aufnehmen. Das hängt aber letztlich davon ab, wie viel Pfleger wirklich bereit sind, zu streiken. Es gab schon andere Aktionen, die Verdi organisiert hat, die aber niemals zu einer Einschränkung der Versorgung geführt haben. Ich rechne momentan aber ohnehin nicht mit einem Streik und rate dazu, jetzt erst einmal die Gespräche im Bundesgesundheitsministerium abzuwarten.

Ihr Unternehmen schreibt seit zwei Jahren schwarze Zahlen. Soll ein Teil des Gewinns auch für das Pflegepersonal investiert werden?

In der Tat haben wir im letzten Jahr mehr Überschuss erwirtschaftet als erwartet: In Friedrichstadt waren es 1,8 Millionen Euro, in Neustadt 500 000 Euro. Trotzdem möchte ich noch einmal betonen: Wir sind, was die Pflege angeht, viel besser aufgestellt als viele andere Krankenhäuser in Deutschland. In Bezug auf die technische Ausstattung wollen wir in erster Linie alte Geräte ersetzen, die ein einfacheres Arbeiten möglich machen, wie etwa elektrisch verstellbare Betten. Das kommt auch dem Personal zugute.

Das Gespräch führte Nora Domschke.