Merken

Rauer Ton in Bus und Bahn

Die Verkehrsgesellschaft Görlitz zählte 2016 erneut über 2 500 Schwarzfahrer. Manche Kontrolle aber scheint grenzwertig.

Teilen
Folgen
NEU!
© Archiv

Von Ralph Schermann

Diese Fahrscheinkontrolle war schwierig. Zwei Görlitzer hatten in der Straßenbahn beide Hände voll. Mit Dönern. Der Kontrolleur bat, die Genussbatzen einzupacken und erst nach dem Aussteigen zu essen. „Die Antwort war: Du kannst mich mal, du Arschloch“, erzählt der Ticket-Prüfer. Mit seinem Kollegen entschied er sich, das Hausrecht auszuüben und die Dönermampfer der Bahn zu verweisen.

Ältere Mitfahrer bedürfen besonderer Fürsorge, sind meist auch langsamer. Doch auch sie müssen Tickets sofort nach dem Einstieg entwerten. Wer erst einmal Platz genommen hat, dem werden Kontrolleure nicht glauben, das noch tun zu wollen.
Ältere Mitfahrer bedürfen besonderer Fürsorge, sind meist auch langsamer. Doch auch sie müssen Tickets sofort nach dem Einstieg entwerten. Wer erst einmal Platz genommen hat, dem werden Kontrolleure nicht glauben, das noch tun zu wollen. © Archiv
Gut gemeint, aber völlig daneben: Laminieren macht eine Monatskarte zwar stabiler, vernichtet aber im Papier angebrachte Sicherheitszeichen. Einschweißen macht das Ticket also ungültig und wertet den Nutzer wie einen Schwarzfahrer.
Gut gemeint, aber völlig daneben: Laminieren macht eine Monatskarte zwar stabiler, vernichtet aber im Papier angebrachte Sicherheitszeichen. Einschweißen macht das Ticket also ungültig und wertet den Nutzer wie einen Schwarzfahrer. © Archiv

Das eskalierte, weil die Mampfer nicht ausstiegen. Die Kontrolleure halfen nach. Das war falsch. Sie hätten auf das Eintreffen der Polizei warten müssen, die Störenfriede bis dahin aber festhalten dürfen.

Zu derart aufgeheizten Streitigkeiten in Bussen und Bahnen kommt es in Görlitz zum Glück nur selten. Dennoch gibt es immer wieder Beschwerden, dass manche Kontrolleure gelegentlich zu hart zulangen. „Wir belehren regelmäßig darüber, die Verhältnismäßigkeit zu wahren und sich auch nicht provozieren zu lassen“, sagt der Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Görlitz (VGG), Frank Müller.

Andererseits häufen sich Übergriffe auf Kontrolleure, wenn Erwischte unter Alkohol stehen. „Auch die Modedroge Crystal ist bei uns immer öfter ein Problem“, sagt ein Kontrolleur. Beleidigungen und Provokationen an das Personal haben extrem zugenommen. „Da hält einer den Fahrschein hin und zieht ihn wieder weg, bevor ich ihn greifen kann. Das geht viermal so, dann packe ich die Hand des Fahrgastes. Der zeigt mich dann an“, nennt er ein Beispiel.

Und doch sind solche Fälle ebenso wie das verbotene Essen, Trinken und Rauchen in den Wagen Ausnahmen – die Regel heißt Schwarzfahren. An dessen Intensität hat sich nichts geändert, seit 2015 die Vertragsstrafe dafür, genannt erhöhtes Beförderungsentgelt, von 40 auf 60 Euro kletterte. Wie schon in den Jahren zuvor wurden auch 2016 wieder rund 2 500 Fahrgäste ohne gültiges Ticket erwischt.

Und die Dunkelziffer bleibt hoch. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) geht davon aus, dass 3,5 Prozent der Passagiere ohne Fahrschein unterwegs sind, das entspricht bundesweit 350 Millionen Schwarzfahrern im Jahr. Dennoch geht das kassierte erhöhte Beförderungsentgelt nicht in die Betriebskasse, sondern für die Kontrolleur- und Bearbeitungskosten drauf.

In Görlitz werden seit sechs Jahren Fahrausweisprüfer der Sicherheits- und Service-Gruppe Dussmann eingesetzt. Dabei achtet VGG-Chef Müller vor allem auf eines: „Diese Kollegen dürfen selbst nichts klären. Sie haben bei Feststellungen keinerlei Ermessensspielraum. Unstimmigkeiten können hinterher mit uns geklärt werden.“ Und genau das hat zugenommen. „Nie gab es so viele Widersprüche wie 2016“, bestätigt Frank Müller.

Sie werden nur schriftlich entgegengenommen. 377 Fahrgäste fühlten sich ungerecht behandelt. Doch fast alle Einsprüche wurden abgewiesen. „In einigen wenigen Fällen zeigten wir Kulanz, zudem zahlen Inhaber personengebundener Karten, die nur vergessen wurden, sieben statt 60 Euro. In anderen wenigen Fällen stellten wir aber auch Strafanzeige“, sagt Müller. Denn Schwarzfahren heißt offiziell Leistungserschleichung und ist eine Straftat. Nur das Zahlen eines erhöhten Beförderungsentgeltes bewahrt vor einer Anzeige am Amtsgericht.

Die Dussmann-Truppe erwischt querbeet den Rentner und den Schüler, den Arzt ebenso wie den Arbeitslosen. Der häufigste Vorwand lautet: „Ich wollte ja gerade zum Automaten.“ Die Kontrolleure lassen sich auf solche Ausreden nicht ein. Sie erkennen durch mehrfaches Stempeln oder Überkleben manipulierte Fahrscheine. Erstmals gab es 2016 auch einen Fall mit einer laminierten Monatskarte. „Damit ist die Karte ungültig“, heißt es im Tarif.

Denn eingeschweißt lässt sich kein Sicherheitsmerkmal mehr erkennen, es könnte also auch eine laminierte Kopie einer anderen Monatskarte sein. „Viele handeln sicher aus Unkenntnis, machen sich nicht mit den Bestimmungen vertraut“, sagt VGG-Betriebshofleiter Norbert Weigt und meint falsche Nutzer ermäßigter Fahrscheine. Mittlerweile weisen an jedem Automaten Aufkleber darauf hin, dass Ermäßigungen in Görlitz nur für die Sechs- bis 14-Jährigen gelten.

Oft wird übersehen, dass auch für Hunde jeder Größe sowie Fahrräder bezahlt werden muss. Manchmal kaufen Auswärtige in der Bahn ihr Ticket, wissen aber nicht, dass man es auch entwerten muss. „An einem erhöhten Beförderungsentgeld kommt auch da aber keiner vorbei.“

Das bekamen auch fünf Damen aus Berlin zu spüren. Sie kauften um 12.20 Uhr am Bahnhof eine Kleingruppenkarte, stiegen 12.25 Uhr in eine Bahn, setzten sich alle hin und wurden 12.30 Uhr kontrolliert. Da das Ticket nicht entwertet war, wurden fünfmal 60 Euro fällig. „Wir fühlen uns abgezockt“, schrieben die Damen. „Nein“, sagt VGG-Chef Müller, „hier gilt nicht mal eine fehlende Ortskenntnis, denn auch in Berlin werden Tickets nach dem Einsteigen entwertet. Ob Vorsatz oder Unkenntnis: Wo soll Kulanz anfangen, wo aufhören?“

Eine Görlitzerin löste 2015 eine Geldforderung auf besondere Weise. Sie zahlte zwar 60 Euro, die sich ihre Tochter eingehandelt hatte, ließ diese dann aber einen Tag lang Haltestellen reinigen. Die Jugendliche und die VGG machten mit. „Seitdem vergesse ich nie wieder, einen Fahrschein zu lösen“, sagt die jetzt 18-Jährige.