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Rasierklingen im Briefkasten

Böse Falle: Eine 75-Jährige wollte offenbar verhindern, dass sie bestohlen wird – doch eine Postzustellerin wurde dabei schwer verletzt.

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Von Alexander Schneider

Wie jeden Tag hat Zustellerin Sylvia Sommer die Post in einem Hochhaus in der Florian-Geyer-Straße eingeworfen. Doch an jenem Mittag im Juli vergangenen Jahres wurde sie dabei schwer verletzt. Als sie ihre Hand aus dem Briefkasten zog, blieb ihr Finger an einer Rasierklinge hängen. Der mehrere Zentimeter lange, tiefe Schnitt erwischte Sehne und Arterie ihres rechten Ringfingers. Die klaffende Wunde blutete sofort stark, noch ehe die 59-Jährige den Schmerz spürte oder gar begriffen hatte, was geschehen war. Dann sah sie es: Im Briefkasten waren nebeneinander mit Klebeband drei Rasierklingen befestigt.

Ohne es zu ahnen, hatte Sylvia Sommer in eine Falle gegriffen. Mieter Jörg Schlechte kam zufällig hinzu, holte Verbandszeug und leistete Erste Hilfe. Unterdessen rief Sylvia Sommer selbst mit ihrem Handy den Rettungsdienst. Eine Dreiviertelstunde dauerte die Operation in der Uniklinik.

Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass eine 75-jährige Mieterin im Haus die scharfen Klingen in den Schlitz ihres Briefkastens geklebt hatte. Sie habe über Diebstähle geklagt, angeblich seien ihre DVB-Monatskarten und andere Sendungen verschwunden. „Wenn man seine Hand nicht reinsteckt, kann auch nichts passieren“, soll sie gesagt haben.

Sylvia Sommer, seit 23 Jahren Zustellerin, muss jedoch von Berufs wegen in den Briefkasten langen. Bis heute. „Bissl komisch ist es schon“, sagt die 59-Jährige, wenn sie jetzt in dem Johannstädter Hochhaus-Straßenzug die Post austrägt. Drei Monate war sie arbeitsunfähig, noch immer schmerze die Verletzung hin und wieder, sagt sie. Der Fall habe in ihrer Dienststelle für Entsetzen gesorgt. Als Postbotin habe man mit manchem Problem zu tun, wie etwa Hunden. Doch ein bewusst mit Rasierklingen manipulierter Briefkasten sei noch nicht dabei gewesen.

Wegen ihrer heimtückischen Falle sollte sich die 75-jährige Rentnerin gestern vor dem Amtsgericht Dresden verantworten. Doch die Frau ist überraschend nicht erschienen. „Ich vermute, sie ist in einer Klinik“, sagte Verteidigerin Margit Billerbeck. Die Frau sei in den letzten Wochen mehrfach in der Klinik gewesen, angeblich sei sie gestürzt. Nachbarn vermuten ein Alkoholproblem, Postdiebstähle aus Briefkästen seien jedoch kein Thema. Richter Markus Maier verurteilte die Angeklagte nach einem Rechtsgespräch wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem halben Jahr, die er zur Bewährung aussetzte. Den Strafbefehl wird wohl Sylvia Sommer wieder zustellen.