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Ramadan im Flüchtlingsheim

Weil viele Asylbewerber Muslime sind, spielt der Fastenmonat nun auch in Dresden eine größere Rolle – wie in Laubegast.

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© Sven Ellger

Von Tobias Wolf und Ghith Al Haj Hossin

Der Andrang am Ausgabefenster ist trotz der Uhrzeit groß. Eilig werden Brötchen, Wurst, Käse, ein paar Tomaten und verschweißte Plastikschalen herausgereicht. Ein paar Männer verschwinden mit den Paketen auf den Zimmern, um zu essen, zu beten und zu schlafen. Pünktlich zum Sonnenuntergang ist es die erste Nahrung nach 18,5 Stunden, die die jungen Muslime um halb zehn zu sich nehmen. 25 Menschen, ein Drittel der Bewohner des Flüchtlingsheims in der Laubegaster Gustav-Hartmann-Straße, feiern Ramadan, den islamischen Fastenmonat.

Faouzi Benamar ist nach dem Abendgebet im Speisesaal geblieben. Der Trubel der Essensausgabe hat sich gelegt. Hungrig stopft der 29-Jährige ein Brötchen in den Mund. Den eingeschweißten Bohneneintopf mit Hühnchen hebt er sich für später auf. Er wird ihn gegen halb drei Uhr morgens in die Mikrowelle schieben und aufwärmen. Wer am Ramadan teilnimmt, darf nur nachts Nahrung zu sich nehmen.

Morgen ist ein neuer Tag ohne Essen, Trinken, Rauchen oder Geschlechtsverkehr. Üble Nachrede, Verleumdungen, Lügen und Beleidigungen aller Art sind während des Ramadan ebenfalls verboten. Diese Pflichten gelten für jeden Moslem während des Fastenmonats – von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang. Benamar verspeist als süßen Nachtisch ein Marmeladenbrötchen. „Ich nehme den Ramadan sehr ernst“, sagt der junge Marokkaner. „Weniger wegen der Religion, mehr weil diese Tradition in unserer Familie lebt.“ Seit er 18 ist, praktiziert der ausgebildete Koch den Ramadan.

Enthaltsam zu sein, soll die Seele reinigen, die Gläubigen näher an Gott heranführen und erinnern, dass viele Menschen hungern. Es ist eine von fünf Säulen des Islams. Die anderen sind das Glaubensbekenntnis, die tägliche Gebetsabfolge, Spenden und eine Pilgerreise in die heilige Stadt Mekka. Nicht selten steigen die Monatsausgaben muslimischer Familien während des Ramadans auf das Doppelte. Beim Fasten geht es auch um moralische Werte wie Mitgefühl, Geduld und Willensstärke. Am Ende steht das große Fest des Fastenbrechens.

Erst im November war Benamar über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Ob er Asyl bekommt, ist unsicher. Die Bundesregierung arbeitet daran, Asylbewerber aus den sogenannten Maghreb-Staaten schneller abschieben zu können. Benamar will trotzdem alles auf eine Karte setzen und hier studieren, weil es zu Hause keine Perspektive gebe. Landsmann Hassan Boumarouane geht es ähnlich. Der 26-Jährige ist seit einem Jahr in Deutschland, ohne zu wissen, wie es weitergeht.

Zu dritt sitzen sie am Tisch. Wären sie zu Hause, würden sie in Familie essen. Benamras Tischnachbar Omran Andarabi hat Glück, mit seinem Bruder Eiraj untergebracht zu sein. Der 22-Jährige aus der nordafghanischen Provinz Baghlan hat eine Ausbildung als Journalist absolviert, bevor er fliehen musste. „Wir hatten ein gutes Leben, mein Bruder und ich haben studiert“, erzählt er. „Bis die Morddrohungen gegen meinen Vater kamen, der Polizist war.“

Fastenbefreiung im Ausnahmefall

Wer der Regierung dient, wird zur Zielscheibe der Taliban. „Sie haben ihm in Bein und Hals geschossen“, sagt Anderabi. Der Vater überlebte den Anschlag, Bleiben war aber keine Option. Den Ramadan feiert der junge Mann mit dem dünnen Bart ohne Vater, Mutter und den jüngsten Bruder. Sie sind in einem Heim in Bischofswerda. Wann sie wieder vereint sind, ist unklar.

Viele traditionelle Lebensmittel, die beim muslimischen Fastenbrechen gegessen werden, gibt es weder im Heim noch in den Supermärkten der Gegend. Süße Datteln werden durch Kekse und Marmelade ersetzt. Nicht jedem Bewohner schmeckt das Essen in der Unterkunft. Auch wenn die Johanniter keinen Luxus bieten können, haben sie sich doch auf den Ramadan eingestellt. Für die Dresdner Helfer ist es die erste muslimische Fastenzeit. Neben den Standardzeiten für Frühstück, Mittag und Abendbrot gibt es eine vierte Essensausgabe von neun bis halb elf am Abend.

Die Cateringfirma Canape Manufaktur liefert das Essen, der Chefkoch kommt jeden Tag vorbei, um zu gucken, ob das Essen auch schmeckt, sagt Heimleiter Jens-Peter Schöne. Falls nötig, werden die Zutaten angepasst. Dazu gibt es Ayran, ein Getränk aus Joghurt, Wasser und Salz.

„Wir haben uns kundig gemacht, ich selbst habe muslimische Freunde“, sagt der 51-Jährige. Während der Flüchtlingskrise 2015 wurde der langjährige Fahrer für Kinder und Behinderte plötzlich zum Einrichtungschef in Leipzig, bevor es wieder nach Dresden zurückging. „Die Menschen haben ein Recht, den Ramadan gemäß ihrer Religion zu absolvieren, daran gibt es nichts zu deuten“, sagt Schöne. „Das zeichnet unser Land schließlich aus.“ Auch weil jede muslimische Nation den Ramadan ein bisschen anders praktiziert, könne es angesichts von 13 Nationen aber nicht jedem zu 100 Prozent recht gemacht werden.

Dafür gibt es die Möglichkeit für jene, die bisher nicht fasten, sich jeden Tag dafür entscheiden. „Wir sind absolut flexibel und können die Essenslieferungen anpassen.“ Eine Befreiung von den religiösen Pflichten des Ramadan dürfte in dem von jungen Männern bewohnten Heim ohnehin kaum greifen. Die gilt nur für kleine Kinder, Alte, Kranke, Schwangere und Reisende. Wie im Christentum nimmt aber nicht jeder die Religionspflichten allzu ernst.