Merken

RAF-Anwalt und Grünen-Ikone

Hans-Christian Ströbele ist gelebte Geschichte. Der 78-Jährige macht es selbst Parteifreunden nicht leicht. Jetzt verabschiedet sich der Grüne mit dem roten Schal aus dem Bundestag - aber nicht aus der Politik.

Teilen
Folgen
© dpa

Teresa Dapp und Jenny Tobien

Berlin. Von seinem Schreibtisch aus schaut Hans-Christian Ströbele auf Jahrzehnte deutscher Geschichte. Säuberlich sortiert steht sie da in Aktenordnern, die „Vermögensteuer“ heißen oder „Miete“, „Folter“ oder „Irak“. Er ist sie alle durchgegangen, hat bunte Punkte auf die Etiketten geklebt. Die Ordner mit den roten Punkten lässt er in sein Anwaltsbüro bringen, mit denen hat Ströbele etwas vor: „Ich will schreiben, wie es wirklich war.“

Mit seinen Erinnerungen könnte dieser 78-Jährige Regale füllen. Ströbele gründete ein „Sozialistisches Anwaltskollektiv“ und verteidigte mit dem späteren Innenminister Otto Schily RAF-Mitglieder wie den späteren Neonazi Horst Mahler. Der 68er, der seit 50 Jahren verheiratet ist und keinen Alkohol trinkt, gründete die linke Zeitung „taz“ mit und saß 1985 erstmals im Bundestag.

Nach und nach wurde Ströbele zur links-grünen Ikone mit leuchtend weißem Haar, rotem Schal und Fahrrad. Sein Spruch „Gebt das Hanf frei“, vertont von Stefan Raab, ist Teil der Popkultur. Diese Woche tritt er wahrscheinlich zum letzten Mal als Abgeordneter im Bundestag ans Mikrofon.

Es geht noch einmal um Geheimdienste, um eines der großen Themen Ströbeles, der mit einem Besuch bei Whistleblower Edward Snowden in Moskau Schlagzeilen gemacht hat. Der Untersuchungsausschuss zum NSA-Abhörskandal habe viel erreicht, auch wenn Fragen offen blieben, sagt er. Aber die endlosen Sitzungen der vergangenen dreieinhalb Jahre haben auch gezehrt. „Wir haben manchmal bis Mitternacht gearbeitet und Zeugen befragt. Das hat mir sehr zu schaffen gemacht.“

Ströbele stützt sich beim Gehen schon eine Weile auf einen Stock. Er wirkt gebrechlich, eine Krebserkrankung hat ihn geschwächt. Die Nerven in den Beinen sind geschädigt, die Schenkel dürr. Fahrrad fährt er trotzdem noch, den Stock klemmt er sich aufs Rad. Jetzt also, mit 78 Jahren, die verdiente Rente, einfach mal zurücklehnen? Ströbele schüttelt den Kopf: „Ich werde mich nicht in den Ruhestand begeben und leider noch nicht Esel züchten.“

Das mit den Eseln, das hatte er sich eigentlich mal vorgenommen fürs Alter. Im Odenwald, wo seine Familie ein Holzhäuschen samt Wiese hat: „Man guckt die Tiere an und freut sich über sie, wie sie widerwillig sind und ihren eigenen Willen durchsetzen.“

Das passt zu einem Politiker, für den das eigene Gewissen stets entscheidend war, wichtiger als die Linie der grünen Fraktion oder auch der rot-grünen Koalition. Der einzige Grüne mit Direktmandat hatte eine Sonderstellung. Als es mal um einen Kriegseinsatz gegangen sei, da habe Ex-Außenminister Joschka Fischer gesagt: „Der Ströbele ist gewählt worden, weil er dagegen ist. Der darf das.“ Das Plakat von 2002 mit dem Slogan „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“ hängt über dem Schreibtisch im Büro Unter den Linden.

Es mag überraschen, dass Ströbele selbst sich gar nicht als notorischen Querkopf sieht: „Ich bin eigentlich gar nicht der Typ dafür. Mir fällt es sehr häufig schwer, dann wirklich aufzustehen und mich zu melden. Wenn ich merke, das ist gegen den gesamten Mainstream und alle gucken so böse oder sitzen nur schweigend da, da muss ich mich schon überwinden.“ Spaß mache es aber, wenn sich viele Leute darüber aufregten und er einen Wunden punkt getroffen habe.

Angeeckt ist Ströbele oft, nicht nur mit seinem strikten Pazifismus. „In der Politik vertreten wir bekanntlich in vielen Fragen diametral unterschiedliche Positionen“, sagt der frühere SPD-Innenminister Otto Schily. „Das hindert mich aber nicht, ihm meinen Respekt vor seiner politischen Lebensleistung zu bezeugen.“ Kennengelernt habe er Ströbele in den 60ern als „aufrechten, mutigen und kompetenten Anwaltskollegen“.

Dass der Sohn eines Chemikers aus Halle an der Saale überhaupt mal im Bundestag sitzen würde, hätte er Anfang der 1970er Jahre selbst als verrückt abgetan. Aber irgendwann hätten die sozialen Bewegungen sich gefragt, warum sie nicht im Parlament vertreten seien. „Das habe ich sofort eingesehen und mitgewirkt an der Gründung der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz und später der Grünen.“

Wie erträumt im Odenwald zurückgezogen den Starrsinn von Eseln genießen, das kann so ein Hans-Christian Ströbele gar nicht. „Ich will noch was verändern, ich will die Welt verändern.“ Für Politik müsse man ja nicht im Bundestag sein, das habe er ja schon früher gemacht. In der außerparlamentarischen Opposition, in Initiativen und Bewegungen, als Bundesvorsitzender der Grünen 1990 bis 1991, als Landesvorstand der Berlin Grünen.

„Ich werde mich weiter einmischen, ganz konkret“, kündigt Ströbele an. Gern wird er das „linke Gewissen“ der Grünen genannt, eine Rolle, in der er sich auch gefällt. Zuletzt diesen Monat beim Bundesparteitag der Grünen in Berlin, wo er bemängelte, im Wahlprogramm stehe kein Leitfaden für Kriegseinsätze der Bundeswehr. Der Parteitag erhob sich, jubelte und klatschte. Ströbele dazu lächelnd: „Es freut mich natürlich, wenn sie klatschen, aber mir wäre lieber, wenn sie auf mich hören würden.“ (dpa)