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Rätselhaftes „Versteckum“

Kulturinsel-Chef Jürgen Bergmann hat sich eine neue Attraktion einfallen lassen – im polnischen Dorf Bielawa Dolna.

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© nikolaischmidt.de

Von Rita Seyfert

Bielawa Dolna. Braun gebrannte Männer stehen auf Baugerüsten und malen die Fugen eines jüngst sanierten Bauernhauses mit Türkisfarbenem Acryllack aus. Im Turius-Winkel unweit vom Erlensumpf in Bielawa Dolna (Nieder-Bielau) herrscht emsiges Treiben. In der polnischen Nachbarwelt der Kulturinsel wird gehämmert, verputzt und gepinselt. Jenseits der Neiße, etwa fünfhundert Meter von der schwimmenden Brücke entfernt, durchläuft das kleine, polnische Dorf derzeit eine Metamorphose. Eine Verwandlung in einen Ort der Magie, aber auch der Naherholung.

Das neue „Seh Café“ der Kulturinsel Einsiedel in Bielawa Dolna ist seit Mitte Juli offen. Fugen in Türkis zwischen den Feldsteinen und Ziegeln heben die Geschichte des etwa 150-jährigen, entkernten Bauernhauses hervor.
Das neue „Seh Café“ der Kulturinsel Einsiedel in Bielawa Dolna ist seit Mitte Juli offen. Fugen in Türkis zwischen den Feldsteinen und Ziegeln heben die Geschichte des etwa 150-jährigen, entkernten Bauernhauses hervor. © nikolaischmidt.de

Der künstlerische Leiter der Kulturinsel, Jürgen Bergmann begreift das Tor nach Osten als Chance. Aus den derzeit vier Prozent polnischen Gästen könnten irgendwann 40 werden. Dabei seien die aktuellen Entwicklungen gar nicht so übel. Nach neuesten Hochrechnungen könnte 2016 mit rund 110000 Besuchern ein Rekordjahr werden. 320000 müssten es sein, damit sich der Abenteuerfreizeitpark trägt.

Ein neuer Trend zeichne sich ab. Immer mehr Übernachtungsgäste hängen an ihren Aufenthalt einen zweiten oder dritten Tag ran. „Da brauchen wir mehr Angebote“, sagt Visionär Bergmann. Ein Besuch im polnischen Erlebnisdorf könnte eine neue Attraktion sein. Das Sehcafé ist seit Mitte Juli offen. Kaffee gibt es dort aber noch nicht. Die Hygiene-Genehmigung steht noch aus. Das zuständige Amt mache derzeit Sommerpause, so Bergmann.

Spätestens zum Folklorum am nächsten Wochenende soll das Sehcafé aber schon als Festzentrum dienen. Bislang ist das Haus eine Informationsstelle. Eine der Tafeln, die im Erdgeschoss hängt, zeigt Bilder des romantischen Malers Christoph Nathe, der 1753 im damaligen Nieder-Bielau geboren wurde. Eine andere widmet sich dem Schicksal von je drei polnischen und deutschen Flüchtlingsfamilien. Und eine dritte zeigt Bilder des historischen Grafen Welldone, dem Neffen eines zwielichtigen Typen, der sich der Geistheilung verschrieb. Und mit diesem Graf ist eine weitere Attraktion verbunden, die derzeit in einem Zimmer vom Dachgeschoss entsteht.

Es ist eine dieser Geschichten zwischen Mysterium und Vermarktungskonzept. Direkt unterm Dach, im Obergeschoss des ehemaligen Bauernhauses, das heute das neue Sehcafé beherbergt, soll sich Graf Welldone ein Zimmer gemietet haben. Dort forschte er. „Er dachte, er kann was finden“, erzählt Bergmann. „Und er fand was.“ Als die russische Front anrückte, verschwand der Graf. Das Haus wurde zerschossen. Nur seine Dachkammer blieb unversehrt. Erst ein Bauer entdeckte das Geheimnis. Und die Besucher sollen es lüften. Ausgestattet mit einem Koffer voller Equipment, haben sie dafür eine Stunde Zeit. „Keine Minute länger, das könnte der geistigen Gesundheit schaden“, so Bergmann. Mehr wolle er aber nicht verraten. Nur so viel: Möbelrücken und Schlösser knacken sind erwünscht.

„Ein Rätsel, drumherum eine Story mit einer verrückten Inszenierung, das ist unsere Kernkompetenz“, erklärt der Künstler. Unermüdlich lässt der 57-Jährige Holzbildhauer seine Ideen in Formen fließen. Seine jüngste Schöpfung taufte er „geheimes Versteckum“. Es ist ein „Escape Room“, ein Raum, aus dem die Teilnehmer flüchten müssen. Nur Erwachsene dürfen mitmachen, Gruppen bis sechs Personen. Das Computerspiel-Prinzip wird in die reale Welt übertragen. Die Teilnehmer sollen erleben, was sonst nur in der virtuellen Realität möglich ist. Zusammenarbeit ist gefragt, Hinweise sammeln und Rätsel lösen mit dem Ziel zu entkommen. Die Testphase steht kurz bevor. Nur ein paar Handgriffe fehlen noch. Und während ein Handwerker die Dachkammer derzeit noch mit Netzen und doppelten Böden versieht, verteilt ein Bagger vorm Sehcafé Schotter auf den Wegen. Ein anderer Mann schiebt eine Schubkarre mit Zement zu seinem Kollegen, der neben einem Tümpel kniet und die graue Masse mit seinem Spatel glatt reibt. Das Ungarische Wollschwein soll nach dem Suhlen in seinem Badeteich nicht durch Modder waten.

Ein Drittel der Mitarbeiter in der Kulturinsel kommt aus Polen. Die meisten der Helfer, die im Turius-Winkel auf Stundenbasis arbeiten, stammen aus Bielawa Dolna. Die Kooperation mit der Gemeinde funktioniert. Man profitiert voneinander. Das Ortsbild verändert sich zusehends. Der Aufschwung sprach sich herum. Inzwischen siedeln sich neue Anwohner an.

Zugleich prallen Welten aufeinander. Was nicht direkt jemandem gehört, wird wie Volkseigentum betrachtet. Buntmetalle sind beliebt. Selbst die Stahlseile der Schwimmenden Brücke wurden bereits gekappt, Motorsägen entwendet. Nichts dürfe nach Feierabend liegen bleiben. Alarmanlagen sind ein Muss. Hier wird es noch manche Rückschläge geben, ist sich Jürgen Bergmann bewusst.

Nichtsdestotrotz, die Steg-Anlage mit den Baumhäusern im Erlen-Sumpf mit Blick auf Wasserbüffel, Yak, Auerochse und Hochlandrind wächst seit drei Jahren und dehnt sich immer weiter aus. „Wir haben eine neue Qualität erreicht. Es ist ein eigener Park.“ Es gibt ein Tretautoparcour, Paddel-Labyrinth, einen Campingplatz, dazwischen überall Skulpturen – und bilinguale Lehrpfade. Sprechende Holzfiguren, die über elektronische Bewegungsmelder reagieren, erklären den Grenzgängern den Grundwortschatz. Zahlen, Farben, Verben, in Polnisch und Deutsch.