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Radsport-Asse lockten an den Grenzlandring

Vor 55 Jahren säumten 30 000 Zuschauer den Rundkurs und feierten in Neugersdorf Klaus Ampler als DDR-Meister.

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© Repro: Leutersdorfer Sportchronik

Von Bernd Dressler

Wehmut und Bedauern waren nicht zu überlesen, als SZ-Sportberichterstatter Reiner Seifert vor einem Monat über das Finale des Radsport-Etappenrennens „Tour de feminin“ in Varnsdorf berichtete. Dieser grenzüberschreitende Frauen-Elitewettkampf hatte von 1995 bis 2006 mit einer Etappe auch stets durch den Landkreis geführt, mit attraktiven Zielorten wie der Waltersdorfer Rübezahlbaude, dem Kottmar oder Schlechteberg. Dann war 2007 plötzlich Schluss, Sponsoren zogen sich zurück, es fehlten 3 000 Euro.

Täve Schur, hier 1958 mit dem Sieger Helmut Stolper (Mitte) und dem Leutersdorfer Streckensprecher Karlheinz Hauptmann, war immer umringt beim Grenzlandpreis.
Täve Schur, hier 1958 mit dem Sieger Helmut Stolper (Mitte) und dem Leutersdorfer Streckensprecher Karlheinz Hauptmann, war immer umringt beim Grenzlandpreis. © Repro: Leutersdorfer Sportchronik
Aber gewinnen konnte er ihn nie. Bei dem 1962 als DDR-Meisterschaft ausgetragenen Rennen siegte der Leipziger Klaus Ampler.
Aber gewinnen konnte er ihn nie. Bei dem 1962 als DDR-Meisterschaft ausgetragenen Rennen siegte der Leipziger Klaus Ampler. © picture alliance / dpa

Vor 55 Jahren waren den Radsport-Verantwortlichen solche Sorgen gänzlich unbekannt. Da gab es seit 1953 den Oberlausitzer Grenzlandpreis auf dem Grenzlandring. 1962 wurde er zum zehnten Mal ausgefahren, mit einer heute kaum noch vorstellbaren Aufwertung: Auf dem 18 Kilometer langen Rundkurs wurden die DDR-Meisterschaften im Straßenradsport der Frauen und Männer ausgetragen.

Am 5. August, einem Sonntag, gingen 9 Uhr zunächst die Frauen an den Start. Die nur 20 Teilnehmerinnen mussten außer mit dem bergigen Profil auch noch mit einem schweren Gewitterregen fertig werden. Als sich 11.30 Uhr, offenbar wie bestellt, beim Start des Männerrennens der Himmel aufgehellt hatte, da frohlockten die über 30 000 Zuschauer beim Blick in die über 150 Aktive umfassende Starterliste: Weißleder, Schober, Stolper, Eckstein, Schur, Lörke, Scheibner, Adler, Höhne und, und. Die gesamte DDR-Spitze war versammelt. Und sie schenkte sich nichts nach dem Start an den Neugersdorfer Rathäusern gegenüber der Buchhandlung Haußig. Dafür sorgten auf den zehn Runden nicht nur der Eiskellerberg, sondern vor allem der über einen Kilometer lange Oppeltberg zwischen Seifhennersdorf und Spitzkunnersdorf, ehe es über Leutersdorf und Neueibau wieder nach Neugersdorf ging. Der Oppeltberg als Scharfrichter war zusätzlich in den Rundkurs eingebunden worden, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen.

„Lange Steigungen, steile Abfahrten und viele Kurven“, wie das „Sportecho“ schrieb, hinterließen Spuren. Schon nach 50 km waren über 35 Fahrer ausgeschieden, darunter Friedensfahrtlegende Egon Adler, der zunächst das Rad wechseln musste und dann noch einen Schaltungsschaden hatte. Zu den Ausgeschiedenen zählte auch der Seifhennersdorfer Eberhard Kirchner. Aber er schlug sich trotzdem achtbar. Im Rennprotokoll ist zu lesen: „Fünf Runden kurbelte er tapfer mit vorn herum, dann mußte auch er dem unerhörten Tempo Tribut zollen.“

Bei Kilometer 120 fiel die Vorentscheidung, als sich eine 13-köpfige Spitzengruppe bildete, von der sich in der letzten Runde Schur, Ampler und Weißleder absetzten. Und nicht nur Rundfunkreporter Heinz-Florian Oertel dürfte aus dem Häuschen gewesen sein, als der aufstrebende Klaus Ampler plötzlich davon flog und nach 180 km den Meistertitel gewann, während Vorjahresmeister Gustav-Adolf Schur von Manfred Weißleder im Spurt auf den dritten Rang verwiesen wurde. Dennoch schrieben Journalisten dem Taktiker Täve die Meisterschaftsentscheidung zu, denn seine Überlegung war ihrer Meinung nach: Weißleder (Wismut Karl-Marx-Stadt) ist der Spurtschnellste von uns, also muss ich zugunsten meines Klubkameraden Ampler (SC DHfK Leipzig) den Spurt verhindern, lasse Ampler wegspringen und setze nicht nach. Bei der Weltmeisterschaft 1960 auf dem Sachsenring hatte Schur ähnlich kalkuliert und damit Bernhard Eckstein zum Regenbogentrikot verholfen.

Die Resümees dieser DDR-Meisterschaft auf dem Grenzlandring waren durchweg positiv. Sportlich war es eine gelungene Ausscheidung für die Ende August stattfindenden Weltmeisterschaften in Italien. Der Präsident des Deutschen Radsportverbandes zollte den vielen ehrenamtlichen Organisatoren große Anerkennung. Ein nicht alltägliches Lob gab es von einem Berliner Bildreporter: „Ich habe noch nie so viele hübsche Frauen auf einmal gesehen wie hier im Oberlausitzer Oberland.“

Wer von den Fans an jenem August-Sonntag 1962 nicht am Grenzlandring dabei sein konnte, bereute das zwar, zu verzagen brauchte er dennoch nicht. Schon zwei Wochen später kamen die Asse des DDR-Straßenradsports wieder in die Region. Am 18. August 1962 war Zittau Etappenort der DDR-Rundfahrt. Als Erster schaffte Täve den 182 km langen Weg von Zschopau in die Stadt im Dreiländereck. Am anderen Tag gewann Klaus Ampler das Einzelzeitfahren von Zittau über das Gebirge nach Görlitz.

Und heute? Radsportereignisse dieser, aber auch kleinerer Dimension dürften wohl für immer ein Traum bleiben, bedauert der verdienstvolle Seifhennersdorfer Radsportfunktionär Christian Metzke (77), der an der Organisation vieler Rennen in der Oberlausitz maßgeblich beteiligt war. Es sei nicht nur das fehlende Geld, es seien auch die immer größer werdenden Anforderungen an die Sicherheit und die verkehrstechnische Bewältigung. Zudem betont Christian Metzke: „Es muss jemanden aus der jüngeren Generation geben, der sich für solche Rennen den Hut aufsetzt.“