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Radebeuls Ziegenmutti

Der Kulttreff am Elberadweg von Ramona Pierschel hat viele Fans. Zurzeit entzückt besonders der Nachwuchs. Darunter ist auch ein Sorgenkind.

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© Norbert Millauer

Von Ulrike Keller

Radebeul. Die unbändige Lust am Knabbern macht auch vor menschlicher Haarpracht nicht halt. Ramona Pierschel kann das Böcklein von ihren schwarzen Locken kurz lösen. Im nächsten Moment ziept es schon wieder in ihren Haaren. „Vielleicht nennen wir ihn Motte“, sagt sie lachend, während sie ihn wie einen Welpen streichelt. „Motten fressen sich auch überall hinein.“

Ramona Pierschel ist wohl Radebeuls bekannteste Ziegenhalterin. „Mein Hobby“, sagt die 57-Jährige strahlend. Auf einem Bauernhof in Altkötzschenbroda groß geworden, braucht sie zum Wohlfühlen einfach Tiere um sich herum. Lange waren es Pferde. Dann wurden es Ziegen. „Sie haben mir schon immer gefallen, weil sie so aufgeweckt und gesellig sind“, erzählt sie. Die ersten zogen bereits vor 18 Jahren in ihren Garten in Kötzschenbroda ein. Seit 13 Jahren hält sie ununterbrochen Ziegen – sehr zur Freude so manches Radlers und Spaziergängers. Denn der Elberadweg führt unmittelbar an dem Grundstück vorbei. Seitdem sich nun dort der Nachwuchs tummelt, ist das Freigehege zu einer kleinen Attraktion geworden. Täglich versammeln sich Eltern und Großeltern mit Kindern am Zaun und verfolgen gebannt das possierliche Treiben im Ziegenkindergarten.

Die Ältesten der zwölf Kleinen sind jetzt genau sechs Wochen alt. „Nur zwei bis drei kann ich zu meinen neun großen noch behalten“, sagt Ramona Pierschel. Zwei Lämmer hat sie bereits mit deren Mama an einen Ponyhof in Altkaditz vermittelt. Fürs Streichelgehege. Dass sie es schön haben, idealerweise als Öko-Rasenmäher zum Einsatz kommen, und nicht beim Schlachter landen, das zählt für sie. „Wer die Voraussetzungen hat, kann sich gern bei mir melden“, so die Radebeulerin. Voraussetzungen heißt Wiese und nahezu perfekte Umzäunung. Denn Ziegen fressen schlichtweg alles von Beeten, Bäumen und Büschen ab.

Auch ihren Zuchtbock hat sie jüngst in vertrauensvolle Hände abgegeben. Als natürliche Maßnahme der Geburtenregulierung. „Sonst werden meine Ziegen doch Gebärmaschinen.“ In jedem Fall bleibt der freche Haarknabberer bei ihr. Denn das Kerlchen war dieses Jahr ihr großes Sorgenkind. Schon seine Geburt war keine leichte. Ziegenmutti Winni warf zum ersten Mal und hatte zu allem Pech, ein Junges in Steißlage zu bewältigen. Als das Böcklein endlich auf der Welt war, regte es sich kaum. „Es hatte tüchtig Fruchtwasser geschluckt“, erzählt Ramona Pierschel. Weil sie gerade auf Arbeit war, gab sie ihrer Tochter übers Telefon Tipps, was sie vor Ort tun kann: massieren. Eine halbe Stunde dauerte es, bis sich der Winzling richtig zu bewegen begann.

Knöpfchen antwortet mit sanftem Meckern

Dann der nächste Schrecken: Seine Mama wollte nichts von ihm wissen. Um die beiden aneinander zu gewöhnen, sperrte Ramona Pierschel sie gemeinsam ein. Winni brach aus, entwickelte regelrecht Panik vor ihrem Lamm. Also melkte die zweibeinige Ziegenmama das Muttertier und gab dem Kleinen die Flasche. Doch damit sah das Böcklein prompt sie als seine Mutter an. Eine problematische Folge, wie sie von ihrer neunjährigen Ziege Knöpfchen weiß. Nachdem deren Mama kurz nach der Geburt gestorben war, zog sie das Tier von Hand auf. Knöpfchen ist bis heute zutraulicher als die anderen, hört auf ihren Namen und antwortet mit sanftem Meckern.

Dafür hat sie sich aber nie wie die anderen in die Herde integrieren können. „Sie verhält sich manchmal richtig hinterhältig gegenüber ihren Artgenossen, boxt sogar Kleine in den Stromzaun, wenn ihr etwas nicht passt“, berichtet Ramona Pierschel. „Wenn es ums Futter geht, kann sie regelrecht hysterisch werden.“ Ihrem Sorgenkind wollte sie von vornherein hundert Prozent sozialen Anschluss ermöglichen. Dabei kam ihr Ziege Susi zu Hilfe. Das sechsjährige Tier warf wenige Tage später Zwillinge. Und tat, worauf Ramona Pierschel gehofft hatte: Sie nahm das mutterlose Geißlein mit an.

Amüsant dabei ist, dass sie ihrem Adoptivziegenkind sogar wesentlich ähnlicher sieht als dessen leibliche Mutti. Und das Leben meinte es zum ersten Mal richtig gut mit dem Kleinen. Denn weil das verstoßene Böckchen etwas älter und damit auch stärker als seine Halbgeschwister war, kam es an der mütterlichen Milchbar ordentlich zum Zug. Doch kurz darauf ein neuer Rückschlag. Plötzlich humpelte das Ziegenlamm, wollte nicht mehr fressen. Wieder machte sich Ramona Pierschel große Sorgen um das Kerlchen, rief den Tierarzt, hoffte und bangte.

Schließlich versuchte sie es einfach mit einem alten Ziegen-Hausmittelchen: Tee aus aufgebrühtem Heu. Und der wirkte Wunder. Dieser Heiltrank brachte das Sorgenkind wieder vollends auf die Ziegenbeine.