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Radebergs vergessener Marktbrunnen

Radebergs langjähriger Stadt- Planer Peter Lunze erinnert sich in einer SZ-Serie an die „wilden“ Nachwendejahre. Heute die Frage: Braucht Radeberg im Zentrum einen neuen Brunnen? Einen Bierbrunnen sogar?

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© Willem gr. Darrelmann

Von Jens Fritzsche

Wenn in Radeberg das Wort Brunnen fällt, wird’s strittig – und die Sprache kommt dann schnell auf den modernen und in den Vorwendetagen auch bewusst streitbar gestalteten Glasmacher-Brunnen vorm Rathaus. Und da ist dann auch schnell die Rede von einem lange geplanten neuen Brunnen auf dem Marktplatz. Nicht zuletzt, weil jüngst Radebergs OB Gerhard Lemm (SPD) die Idee ins Spiel gebracht hatte, bis zum anstehenden Stadtjubiläum 2019 – dann feiert Radeberg das 800. Jubiläum seiner ersten Erwähnung – einen neuen Brunnen am Markt zu platzieren. Und in diesem Zusammenhang war sogar schon mal von einem Bierbrunnen mitten in der Bierstadt die Rede gewesen…

Ein Brunnenbecken gibt es dabei schon seit gut 25 Jahren, weiß Dr. Peter Lunze. Denn das hatte der Radeberger Architekt als Stadtplaner mit der gesamten Marktplatz-Neugestaltung damals entworfen. „Aber beim Marktbrunnen ging uns 1990 die Luft aus, richtiger gesagt, das Geld – dann war anderes wichtiger und später gab es unterschiedliche Auffassungen“, sagt er heute mit Blick auf das in Beton ausgeführte Hochbeet an der Südseite des Marktplatzes. Denn das sollte damals eigentlich ein Brunnenbecken werden. Ein Brunnen, dessen zumindest gedankliche Ursprünge bereits im Jahr 1987 liegen. „Als man an den entscheidenden Stellen auf Drängen des damaligen neuen Bürgermeisters Siegfried Hennig endlich in der entscheidenden SED-Kreisleitung begreifen musste, dass nun endlich in der Innenstadt Radebergs etwas baulich passieren muss“, blickt Lunze zurück. Und so hatte man dann in Vorbereitung des 1989 anstehenden 40. Jahrestags der DDR ein Initiativ-Programm „Markt Radeberg“ ausgerufen. „Es ahnte ja keiner, dass man diesen Jahrestag auf einem neu gestalteten Marktplatz gar nicht mehr mit Glanz und Gloria feiern würde…“ Denn wenig später trat das Land DDR von der weltpolitischen Bühne ab…

Wochenmarkt gab es zunächst nicht

Der Marktbrunnen war damals jedenfalls Teil eines durchaus ehrgeizigen Projekts gewesen. Ein Projekt, das den Markt als zentralen Ort der Radeberger Innenstadt beleben sollte. „Ein Wochenmarkt wie heute, war ja 1988 auf unserem Marktplatz nicht denkbar“, beschreibt Dr. Peter Lunze. Und so gab es damals Überlegungen, „einen für die zusätzliche Gemüseversorgung der Stadt an der Röderstraße befindlichen sogenannten Frischemarkt, bestehend aus je einer HO- und einer Konsumbude als richtigen Wochenmarkt an den Marktplatz zu holen“. Gedacht war an den Bereich der Hauptstraße 1 bis 8; „und wir erfanden dafür den Begriff Kleinmarkt“. Einmal in der Woche sollten Gärtner und Bauern aus der Umgebung und vielleicht auch Kleingärtner, Gemüse, einheimisches Obst und Blumen aus eigener Produktion anbieten.

Aber zu dieser Zeit führte der Durchgangsverkehr der Hauptstraße noch geradeaus am Rathaus vorbei, „und die Pirnaer Straße war so gut wie eine Abbruchbaustelle – und so wurde nicht gleich etwas aus der Idee…“

Ziel war es für 1989 jedenfalls, den Markt zu einem Festplatz werden zu lassen. Und dafür sollte der Markt völlig umgestaltet werden. Mit „heißer Nadel“ hatte da sehr schnell aufs Papier gezeichnet werden müssen, was alles neu oder umgestaltet werden sollte: Fassaden und viele gestalterische Einzelheiten, wie Poller, Geländer und deren Details, Bänke… „Und für die Putzarbeiten, die Schlosser, den Kunstschmied, die Formmacher in der Gießerei waren maßgenaue Zeichnungen erforderlich“, schildert Lunze, der das Ganze als riesige Chance sah, wie er rückblickend sagt, in seiner Heimatstadt etwas zu bewirken. „Einen großen Plan für die Neugestaltung des Marktes habe ich auf dem Fußboden unserer Wohnung aus einzelnen Vermessungsblättern zusammengestellt und dann gezeichnet – die großen Reißbretter für das Stadtplanungsamt waren noch nicht fertig gewesen…“, erinnert sich Peter Lunze an diese intensive Zeit.

Und so wurde der Markt also tatsächlich der „Festplatz“. Ein Platz, der noch heute so vorzufinden ist, „wenn er mal nicht vollgeparkt ist“, fügt der einstige Stadtplaner einen kleinen Seitenhieb an. Ein Festplatz, der in den 25 Jahren bis heute dann auch wirklich viele Feste erlebt hat; „viel mehr, als wir es uns hätten damals träumen können…“ Nur den geplanten Marktbrunnen gibt es noch nicht…

2019 steht nun mit dem Radeberger Gründungs-Jubiläum das nächste große Fest an. „Und wenn man sich etwas mehr vornehmen will, wird es vielleicht wieder ein Initiativ-Programm.“ Wobei Peter Lunze natürlich weiß, dass auch Radeberg beim Thema Finanzen nicht nur aus dem Vollen schöpfen kann. Aber das Thema Marktbrunnen könnte bis zum Jubiläum nun doch noch angepackt werden. Vielleicht, so findet Lunze, ja sogar ein Bierbrunnen… „Und auch in heutiger Zeit geschehen ja manchmal kleine Wunder, wie die neu hergestellte Postdistanzsäule zeigt, die anlässlich des Jubiläums 600 Jahre Stadtrecht vor zwei Jahren auf Initiative von Gerhard Schlegel wieder aufgestellt wurde.“ Gerhard Schlegel war viele Jahre der Oberkonservator für technische Denkmale in Sachsen gewesen.

Wobei Radeberg immer auch Radeberg bleiben soll, findet Peter Lunze: „Gestaltungsspinnereien sind wir auch vor 25 Jahren nicht nachgejagt; und das war auch bis heute kein Thema.“ Dennoch, ist er überzeugt, „wo keine Ideen entwickelt werden, gibt es auch keine Auseinandersetzung damit“. Ohne Ideenstreit gehe es nicht.

Suche nach dem Typischen

Dennoch sieht der einstige Radeberger Stadtplaner die Stadt durchaus auf einem guten Weg. Vor allem, dass sich Radeberg aufmacht, zur „Grünen Stadt Radeberg“ zu werden, möchte Dr. Peter Lunze als „Un-Ruheständler“ gern im Rahmen seiner Möglichkeit tatkräftig begleiten, sagt er. „Denn ich habe den Programm-Entwurf ja als Initiator mit auf den Weg gebracht.“ Ein Entwurf der vorsieht, dass sich der Uferbereich der Großen Röder, der die Innenstadt zu zwei Dritteln umschließt, wieder weitgehend öffentlich sichtbar werden soll, könnte ein echtes Pfund werden, mit dem die Stadt wuchern kann. „Etwas neues Typisches für Radeberg könnte daraus werden“, findet Lunze. An der Röderbrücke, wo die Dresdener Straße zur Hauptstraße wird – dem Eingang zur Innenstadt – also, „soll das Grün als Parkanlage die Innenstadtbesucher begrüßen, ein wunderbarer Auftakt“, schwärmt er. Und diesen Auftakt nimmt dann die Bepflanzung aus den 1990er Jahren auf und führt die Besucher ins Zentrum, entlang der Hauptstraße, wo es schon heute einige grüne Akzente gibt – so die Idee. Und Lunze ist überzeugt, dass „da noch manches ergänzt werden könnte“.

Doch das wohl wichtigste Moment der Ideensuche für die künftigen Jahre ergebe sich für Radeberg aus seiner Geschichte, ist Peter Lunze überzeugt. „Und dabei besonders aus der Geschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Radeberg in kürzester Zeit zur Industriestadt wurde“, fügt er an. Dazu wird ja bekanntlich nach Ostern auf Schloss Klippenstein ein neuer Bereich der Dauerausstellung eröffnet, der sich mit dem Thema Radeberger Industriegeschichte befasst. Vielleicht gibt auch das Anregungen fürs „Gestaltungs-Spinnen“, wie von dieser Historie etwas in die Innenstadt geholt werden könnte, gibt Lunze zu bedenken. „Ein paar Hingucker oder Anfasser an geeigneter Stelle…“, sagt er.

Wobei sich die Industrie-Entwicklung Radebergs natürlich nicht in der historischen Innenstadt abgespielt hat. „Und sie ist auch nur indirekt am baulichen Bestand der damals entstandenen Wohn-Geschäftshäuser ablesbar, denn damit entstand auch lebendiges Geschäftsleben in der Innenstadt“, beschreibt Lunze. Und präzisiert: „Eigentlich entstanden überhaupt erst mal Geschäfte mit Schaufenstern, die es ja vordem überhaupt nicht gab…“ Wobei sich die damalige Entwicklung „aus dem Versorgungsbedarf der schnell wachsenden Stadt ergab“, macht er deutlich. Und blickt ins Jetzt: „Im Gegensatz zu der heutigen extremen Entwicklung der Großmärkte, die ausschließlich auf Profitoptimierung orientiert sind, mit fatalen Folgen für den Bestand an Geschäften, den Bestand an Geschäftshäusern und für die Schaufenster, die eine Geschäftsstraße, ein geschäftiges Stadtzentrum interessant machen.“

Es braucht mehr Management

Für den einstigen Stadtplaner Lunze stellt sich damit zwangsläufig die Frage, „ob mit der Umsetzung von Ideen zur Gestaltung des Straßenraums dem Geschäftsleben im Stadtzentrum wirklich auf Dauer wirksam geholfen werden kann“. So recht überzeugt sei er davon nicht, gibt er zu. „Aber schöner wird’s dadurch auf jeden Fall…“ Allerdings gehöre auch schon noch etwas mehr an Management dazu, ist Lunze überzeugt. „An gesellschaftlich und städtisch geführtem Management in einer großen Bandbreite, zu der man sich gemeinsam durchkämpfen muss.“ Und er wünscht sich auch gemeinsames Durchstehvermögen.

Allerdings nimmt der Radeberger durchaus auch die Einwohner als Kunden in die Pflicht. Die, so ist Dr. Peter Lunze überzeugt, „müssen ihr Kaufverhalten bedenken“. Eine Stadt, beschreibt er, sei ein „Stadtorganismus“ –  und dafür brauche es ein funktionierendes Herz. Eines, fügt er an, das auch identitätsstiftend sei. Dafür sei Grün wichtig, wo es sinnvoll ist, „oder eben auch ein Marktbrunnen, dort wo sein Becken schon steht“, sagt er. Ganz wichtig aber, ist er überzeugt, sei vor allem das gemeinsame Nachdenken… Bis hin zu vermeintlichen Kleinigkeiten, wie Blumenkasten an den Fenstern, wie an einigen Hauseingängen an der Kirchstraße zum Beispiel, findet der einstige Stadtplaner. „Oder eben auch Kleinigkeiten wie das Verständnis, eine Zigarette oder Bonbonpapier nicht auf die Straße zu werfen…“

Mit diesem Teil schließen wir unsere große Serie mit Rückblicken Dr. Peter Lunzes ab.