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Puppenspielen hilft benachteiligten Kindern

Anne Swoboda und Annekatrin Heyne waren vier Monate in Görlitzer Kitas unterwegs.

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© nikolaischmidt.de

Von Ines Eifler

Anne Swoboda fragt in die Runde: „Nun, wer von euch möchte ein Schmetterling sein? Und wer eine Schnecke?“ Viele Arme eilen nach oben, die Görlitzer Puppenspielerin zählt ab, wählt drei Kinder aus und bald schweben, tanzen zwei Mädchen und ein Junge zu freundlicher Gitarrenmusik durch den Raum, die Schwingen ausgebreitet. Drei andere Kinder kriechen als Schnecken über den Boden. Genauso gelingt es bei Ziege und Gans. Jeder möchte mal dran sein, sich die bunte, gebastelte Pappmaske aufs Gesicht setzen und spielen, wie die beiden unterschiedlichen Tiere einander begegnen.

Die 50 Kinder, die am Donnerstagmorgen im großen Kreis in der Görlitzer Kinderbibliothek sitzen, freuen sich sichtlich, hier zu sein. Auch einige Eltern der Vier- und Fünfjährigen sind gekommen, um zu erfahren, was sich hinter diesem „theaterpädagogischen Langzeitprojekt“ verbirgt, an dem ihre Kinder seit August teilnehmen. Für die Puppenspielerin Anne Swoboda und die Puppengestalterin Annekatrin Heyne ist „Meine Puppe spricht – Wege zu Sprache und Kommunikation“ seit 2012 das dritte große, insgesamt fast das zehnte gemeinsame Projekt mit Kindern aus Görlitzer Kindertagesstätten. Diesmal mit der ASB-Kita Wirbelwind von der Cottbuser Straße und der DRK-Kita Lustiger Borstel aus Königshufen.

In jedem dieser Vorhaben haben Anne Swoboda und Annekatrin Heyne Wege konzipiert, ausprobiert und gefunden, Kinder zu ermutigen und zu fördern. Mal ging es mehr um die sprachliche Entwicklung, mal um Toleranz, mal um die Schulung sozialer Fähigkeiten, mal um die deutsch-polnische Verständigung. Häufig sind in den Kindergruppen Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund, auch Flüchtlingskinder. „Unsere Projekte sind speziell auf Kinder mit mehrfachen Benachteiligungen ausgerichtet“, sagt Anne Swoboda. „Aufgrund ihrer Herkunft oder sehr schwieriger sozialer Lebensverhältnisse mangelt es diesen Kindern häufig an sprachlichen, emotionalen oder sozialen Kompetenzen.“

Zu Beginn jedes Projekts sind die Kinder oft schüchtern, in sich gekehrt und kaum bereit, sich zu beteiligen. Nun jedoch, nach vier Monaten theaterpädagogischer Arbeit, sind die Kinder wach, offen und interessiert bis begeistert. In diesen vier Monaten haben sich Anne Swoboda und Annekatrin Heyne an 13 Vormittagen pro Kita und vier Begegnungstagen in der Bibliothek mit ihnen beschäftigt. In Kleingruppen haben sie ihnen aus dem Buch „Blöde Ziege – Dumme Gans“ vorgelesen, in dem es um Streit und Versöhnung geht und der Konflikt aus mehreren Perspektiven betrachtet wird. Sie haben die Kinder gefragt, was sie verstanden haben, und sie gebeten, das zusammenzufassen. Sie haben mit ihnen gereimt, gebastelt und sie animiert, sich auf großen Flächen in Farben auszuleben, um ihren Gefühlen Raum zu geben. Sie haben sie Figuren aus dem „Theaterkoffer“ zusammenstellen und kleine Teile des Buches nachspielen lassen. Mit der Stadtbibliothek als Partner haben sie die Kinder in die Welt der Bücher eintauchen lassen.

Am Donnerstag in der Bibliothek wird deutlich, dass die Kinder inzwischen einige Erfahrungen gesammelt haben. Als Ziege und Gans maskiert, berühren sie einander an den Händen, machen sich bekannt. Den Streit zwischen Ziege und Gans spielen sie nicht selber nach, sondern mit den Puppen, die sie schon aus dem Theaterkoffer kennen. Ein Junge wählt einen Ziegenkopf, dazu einen Stab und ein braunes Kleid. Ein anderer Junge steckt einen Stab in den Gänsekopf und wählt ein weißes Kleid. Sie spielen, wie ein Tier ein Bild malt und sich das andere darüber lustig macht. Anne Swoboda fragt: „Wie fühlt sich die Ziege jetzt?“ „Traurig.“ Ein anderes Kind wandelt die Geschichte ab: Zum Streit kommt es erst gar nicht. „Das war ein langer Weg“, sagt Anne Swoboda. Einige Kinder hätten sich während des Projekts zwar geöffnet, aber mit ihren Gefühlen nicht adäquat umgehen können. Manche seien aggressiv geworden. „Gerade Kinder mit Sprachdefiziten haben meist nicht gelernt, Konflikte gut zu lösen.“ Alternativen haben sie nun kennengelernt.

Für Anne Swoboda ist es nicht immer einfach, so ein Theaterprojekt wieder zu beenden. „Das Loslassen fällt mir schwer“, sagt sie. Wir haben uns ja intensiv mit den Kindern beschäftigt, sie in ihrem Kita-Alltag kennengelernt und teils am Rande, auch ohne Hintergrundwissen, erfahren, mit welchen schwierigen Umständen einige von ihnen schon umgehen müssen.“ Viele der Kinder werden nächstes Jahr in die Schule gehen und dem Blick Anne Swobodas und Annekatrin Heynes entschwinden. „Aber wir sind zuversichtlich“, sagt die Puppenspielerin. „Vielleicht wirkt so ein Langzeitprojekt in den Kindern nach.“ Und vielleicht gibt es 2017 ein neues Projekt, an dem noch mehr Görlitzer Kitas teilnehmen können.