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Pulli-Provokation im Gerichtssaal

Im NSU-Prozess in München taucht der Angeklagte André E. mit einem merkwürdigen Kleidungsstück auf. Der Richter lässt es fotografieren – als ein Beweisstück.

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© ZVG

Von Karin Schlottmann, zzt. München

Der 114. Prozesstag hat längst begonnen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl will gerade den zweiten Zeugen aufrufen, als sich ein Nebenklägervertreter zu Wort meldet. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann verlangt, den Kapuzenpulli des Angeklagten André E. sicherzustellen. Auf dem schwarzen Kleidungsstück ist eine vermummte Figur mit zwei Sturmgewehren abgebildet.

Die Darstellung sei ein Bekenntnis zu den Morden und lasse Rückschlüsse auf die innere Haltung des Angeklagten zu, sagt der Anwalt. E. schweige seit Beginn des Strafverfahrens gegen ihn, Beate Zschäpe und drei weitere Angeklagte. Das Kleidungsstück mit dem martialischen Aufdruck sei deshalb als Äußerung zu verstehen und somit ein wichtiges Beweisstück für den Prozess, sagt der Anwalt.

In der Tat legt E. im Gegensatz zu Zschäpe und den anderen Angeklagten wenig Wert auf ein neutrales Auftreten. Häufig lümmelt er breitbeinig und gelangweilt auf seinem Stuhl. Tunnelohrringe, eine Lederweste, hin und wieder eine Sonnenbrille und nach hinten gekämmte Haare gehören zu seinem Outfit. Laut Medienberichten hat er sich die Worte „Die Jude die“ (Stirb Jude stirb) auf den Körper tätowieren lassen.

Kurzer Blick ins Internet

Auf dem schwarzen Pulli, den er am gestrigen Verhandlungstag trug, wirbt er deutlich sichtbar für die finnische Band „Satanic Warmaster“ und das Album „Black Metal Kommando“. Sie gilt als rechtsextrem. E.’s Verteidiger versucht, zu beschwichtigen: Sein Mandant habe das Shirt schon öfter im Gerichtssaal getragen, ohne dass es beanstandet wurde. Außerdem sei es unzulässig, von der Kleidung eines Menschen auf seine Haltung zu schließen. Götzl bittet E. kurz aufzustehen, damit er und die übrigen Prozessbeteiligten sich ein Bild machen können. Der weigert sich zunächst, stellt sich taub.

Dann beantragen mehrere Nebenkläger-Anwälte, den Kapuzenpulli zu beschlagnahmen. Ein kurzer Blick ins Internet habe ergeben, dass im Zusammenhang mit der Musikgruppe auch das Wort „Gas Chamber“ (Gaskammer) zu finden ist – der Pulli also eine Straftat darstellen könnte. E. steht schließlich auf, dreht sich ein wenig belustigt in alle Richtungen. Nach einer kurzen Beratungspause lässt Richter Götzl den Angeklagten in ein Nebenzimmer bringen, wo der Pullover fotografiert wird. Damit habe sich die Angelegenheit wohl erledigt, sagt der Richter und ruft den nächsten Zeugen auf.

E. stammt aus Johanngeorgenstadt. Er steht als Helfer des NSU-Trios vor Gericht. Nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks hat er inzwischen neuen Ärger mit der Polizei. Er soll auf dem Weg vom Oberlandesgericht München nach Hause ein Auto mit gefälschtem Kennzeichen gefahren haben.

Schusswunde im Kopf

Begonnen hatte der Prozesstag in München mit dem Gutachten eines Rechtsmediziners der Universität Jena. Der Sachverständige berichtete über die Untersuchung der Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 5. November 2011. Zu diesem Zeitpunkt war die Identität von Böhnhardt noch nicht bekannt. Die Daten von Mundlos hätten dagegen schon vorgelegen, sagt der Gutachter. Beide Männer seien nach den Schüssen sofort tot gewesen. Böhnhardt hatte eine Schusswunde im Kopf, Mundlos in der Mundhöhle. Ihre Gesichter waren stark entstellt, die Köpfe deformiert, die Gehirne durch die immense Wirkung der Schüsse so gut wie nicht mehr vorhanden.

Letzte Minuten rekonstruiert

Die Bundesanwaltschaft hat den Tod der beiden Rechtsextremisten im Wohnmobil in Eisenach mithilfe von Zeugenaussagen und Indizien rekonstruiert. Sie kommt in der Anklage zu dem Schluss, dass Mundlos Böhnhardt mit einer Flinte Winchester erschoss und Feuer legte, bevor er sich mit derselben Waffe selbst tötete. Ein Polizist sagte gestern im Zeugenstand, er habe drei Schüsse aus dem Wohnwagen gehört. Der erste sei auf ihn und seinen Kollegen abgefeuert worden. Nach dem dritten Schuss habe der Camper gebrannt.

Ob er Personen gesehen habe, fragt Bundesanwalt Herbert Diemer. Nein, niemand habe das Wohnmobil betreten oder verlassen. Den Verdacht, eine dritte Person sei im Wohnwagen gewesen und habe womöglich etwas mit dem Tod von Mundlos und Böhnhardt zu tun, bestätigte der Polizist damit nicht.