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Problemgrundstück

Das ehemalige Ambulatorium Seifhennersdorf ist ein gefährlicher Spielplatz. Will die Stadt handeln, braucht sie Geld.

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© SZ/Holger Gutte

Von Holger Gutte

Seifhennersdorf. Früher sind im ehemaligen Landambulatorium in der Otto-Simm-Straße 4 in Seifhennersdorf Babys zur Welt gekommen, Zahnschmerzen und anderes behandelt worden. Heute geht von dem Haus zunehmend Gefahr aus. Seit Jahren steht das riesige Gebäude leer, verwildert das Grundstück. Immer wieder entdecken es Kinder und Jugendliche als Abenteuerspielplatz für sich, ohne sich der hier lauernden Gefahren bewusst zu sein. Eine Familie lässt im Nachbargrundstück ihre Kinder nicht mehr in Zaunnähe spielen, weil von einem Baum ein Ast auf das Grundstück zu fallen droht. Der hängt nach einem Sturm sozusagen nur noch am seidenen Faden.

„In diesem Fall können und müssen wir jetzt sogar eingreifen“, sagt Bürgermeisterin Karin Berndt (UBS). Ein großer dürrer Baum stellt auf dem Grundstück ebenfalls eine Gefahr dar. Auch bei ihm will die Stadt nun handeln. Ansonsten sind ihr auf dem Grundstück bisher noch die Hände gebunden. Denn Haus und Grundstück befinden sich nicht im Eigentum der Stadt.

Bis zur Wende gehörte es zu den wichtigsten Gebäuden in Seifhennersdorf. Als Kleiderfabrik im 19. Jahrhundert gebaut, haben die Textilfabrikanten Gebrüder Hempel das Haus immer wieder erweitert. Dann gab es Anfang der 1950er Jahre ein Zwangsversteigerungsverfahren. Das Gebäude übernahm danach der VVB Berufsbekleidung Auerbach im Vogtland, kurzzeitig nutzte es noch der VEB Schuhfabrik Seifhennersdorf, bevor es der Stadt übertragen wurde. Ein Schreiben in einer der dicken Bauakten zur Otto-Simm-Straße 4 zeigt, dass die frühere Kreisverwaltung schon im Februar 1952 hier ein Landambulatorium plante. Und das wurde auch am 8. Mai 1955 eingeweiht. Eine allgemeine Ambulanz, eine Zahnarztstation mit Röntgeneinrichtung, eine Bäder- und Massage-Einrichtung sowie eine Röntgenabteilung, ein Labor und eine Entbindungsstation sind in dem Ambulatorium eingerichtet worden. „Ich wurde, wie viele Seifhennersdorfer, hier geboren“, sagt die Bürgermeisterin. 1994 erhielt schließlich der Alteigentümer nach seinem Restitutionsanspruch das einstige Fabrikgebäude zurück.

Produziert wurde hier aber nie wieder. Denn nach seinem Tod verkauften es dessen Söhne 2010 an eine Schweizer AG. Und die betrieb hier eine Hundeschule. „So schnell, wie sie bei Nacht und Nebel gekommen waren, sind sie am Ende auch wieder weg gewesen“, schildert Karin Berndt.

Immer wieder erhält sie oder die Stadtverwaltung Hinweise, dass sich auf dem verlassenen Grundstück Leute rumtreiben. Nach SZ-Informationen ist das riesige Gebäude regelrecht von Schrottdieben geplündert worden. In fast allen Räumen wurden die Heizkörper gestohlen. Alle Lichtschalter sind rausgerissen und zig Kabel abgezwickt. Wahrscheinlich ist so geprüft worden, ob es Kupferleitungen sind. Viele Räume im Haus sind vermüllt. Und auf dem Dachboden liegen noch Schwangerschafts-Karteikarten und andere Patienten-Akten aus der Zeit des Ambulatoriums. Im Februar ist nach einer Anzeige sogar mal die Polizei angerückt. Die erwischte zwar nicht die Personen, fand dafür aber in einer der Garagen auf dem Gelände einen seit fünf Jahren verschwundenen Toyota. Die 36-jährige Besitzerin aus Altenberg erhielt so ihr Auto wieder.

Die Stadt Seifhennersdorf würde das ehemalige Landambulatorium gern wegen nicht gezahlter Grundsteuern zwangsversteigern lassen. Aber das Amtsgericht Görlitz hat das von ihr im November 2017 beantragte Zwangsversteigerungsverfahren im Januar einstweilig eingestellt, weil es nicht möglich war, die Unterlagen dafür den Besitzern zu schicken.

Die Aktiengesellschaft ist in der Schweiz von Amts wegen, wie es im Behördendeutsch heißt, gelöscht worden. Und bei einer AG ist der Vorstand nicht persönlich haftbar. Seifhennersdorf hat deswegen vom Gericht die Auflage erhalten, einen Nachtragsliquidator in der Schweiz einzusetzen. Die Stadtverwaltung hat daraufhin beim zuständigen Schweizer Kantonsgericht recherchiert, was sie das kosten würde. Mit allen Nebenkosten müsste sie mit 6 500 bis 10 000 Euro plus Anwaltskosten rechnen. Nun sollen die Stadträte auf ihrer Sitzung in dieser Woche abwägen, ob sie das wollen. Seifhennersdorf büßte seit 2017 jährlich 2 200 Euro Grundsteuer ein. Vorher waren es 2 000 Euro jährlich. Eventuell könnte die Stadt auch gemeinsam mit dem Abwasserzweckverband zusammen einen Nachtragsliquidator anstreben. Denn im Grundbuch steht mit Stand vom 13. November 2017 für den Verband auch noch eine Summe von rund 29 000 Euro Erschließungsbeitrag offen.