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Dorf fällt auf Fake-News rein

Wirbel um die Villa Kunterbunt. Angeblich wollen Erben von Astrid Lindgren Geld für die Kita-Namensrechte.

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© Kristin Richter

Von Jörg Richter

Priestewitz. Die Priestewitzer Bürgermeisterin Susann Frentzen verkündete jetzt im Gemeinderat eine Nachricht, die aufhorchen ließ: Die Kita „Villa Kunterbunt“ soll umbenannt werden, um einem möglichen Rechtsstreit aus dem Weg zu gehen. Die Gemeindeverwaltung reagiert mit der Umbenennung der Priestewitzer Kita auf einen Hinweis einer ehemaligen Erzieherin, die mittlerweile in Rente gegangen ist. Sie hatte im Internet mehrere Medienberichte gelesen, in denen angeblich Kindereinrichtungen in Deutschland von einer Erbengemeinschaft der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren (1907 bis 2002) aufgefordert wurden, für den Namen „Villa Kunterbunt“ eine Lizenzgebühr zu bezahlen. Denn so heißt das Haus, in dem Astrid Lindgrens berühmteste Kinderbuchfigur Pippi Langstrumpf lebt.

Der Name „Villa Kunterbunt“ stammt aus der Feder der 2002 verstorbenen Schriftstellerin Astrid Lindgren.
Der Name „Villa Kunterbunt“ stammt aus der Feder der 2002 verstorbenen Schriftstellerin Astrid Lindgren. © dpa

Besonders ein Fall aus dem baden-württembergischen Eppelheim klangt sehr authentisch. Nicht zuletzt deshalb, weil er durch die Rhein-Necker-Zeitung bekannt wurde. Sie schrieb zwei große Artikel dazu, die erst der Priestewitzer Ex-Erzieherin und später der hiesigen Gemeindeverwaltung Anlass zur Sorge gaben. Danach habe die Stadt Eppelheim Anfang des Jahres den Kontakt zu möglichen Lindgren-Erben gesucht, um auf Nummer sicher zu gehen, dass der dortige Kindergarten „Villa Kunterbunt“ seinen Namen behalten darf. Die Eppelheimer recherchierten im Internet und erhielten wenig später Antwort aus Schweden – von Astrid Lindgrens Urenkel Johan Palmberg persönlich. Der 27-Jährige arbeitet seit 2009 in der Familienstiftung Saltkråkan AB, die die Werke seiner Urgroßmutter vermarktet und schützt. Palmberg soll geantwortet haben, dass die Stadt Eppelheim den Namen „Villa Kunterbunt“ für ihren Kindergarten weiter verwenden darf. Allerdings für eine jährliche Lizenzgebühr von 500 Euro.

Das kommt für Priestewitz nicht infrage. Deshalb las Bürgermeisterin Frentzen am Mittwoch im Gemeinderat eine Erklärung vor: „Um einem rechtlichen Gezerre aus dem Weg zu gehen, hat sich das Kita-Team gemeinsam mit der Verwaltung und den Elternvertretern entschlossen, den Namen Villa Kunterbunt in Kinderhaus Kunterbunt zu ändern.“ Bisher habe sich zwar die Erbengemeinschaft noch nicht in Priestewitz gemeldet, um eine ähnliche Forderung aufzumachen. Es gebe also eigentlich keine dringende Veranlassung zur Namensänderung, heißt es aus dem Gemeindeamt. „Aber wir akzeptieren natürlich die Namensrechte der Erbengemeinschaft“, sagt Hauptamtsleiterin Manuela Gajewi und fügt hinzu: „Wir haben nicht gewusst, dass es ein geschützter Name ist.“

Seit 1999 trägt die ehemalige Dorfschule den berühmten Namen aus dem Kinderbuchklassiker „Pippi Langstrumpf“. Erst als Hort und seit 2000 als Kindertagesstätte. „Den haben damals Eltern und Kinder aus verschiedenen Vorschlägen gewählt“, erinnert sich die stellvertretende Kita-Leiterin Rita Breschke. „Es ist schade, wenn die Villa Kunterbunt jetzt umbenannt wird. Der Geist von Astrid Lindgren ist hier sehr lebendig. Sie hätte sicher nichts dagegen, wenn wir den Namen behalten.“ Erst im Herbst gab es hier eine Pippi-Langstrumpf-Projektwoche. In deren Ergebnis erhielten die Kita-Gruppen Namen, die an das beliebte Kinderbuch, das Astrid Lindgren bereits 1945 schrieb, angelehnt sind. Die Kinder der Krippe werden seitdem „Goldstücke“ genannt, die des Kindergartens „Ringelsocken“. Und der Hort, das sind die „Pippi-Langstrumpf-Piraten“. „Müssen wir sie jetzt auch alle wieder umbenennen?“ fragt Rita Breschke besorgt.

Nein, müssen sie nicht. Und auch nicht die Kita „Villa Kunterbunt“. Das bestätigte am Freitag der renommierte Hamburger Medienanwalt Dr. Ralph Oliver Graef auf Nachfrage der SZ. Er vertritt die Astrid-Lindgren-Stiftung Saltkråkan AB in Deutschland. „Es gibt keinen Ärger mit Namensrechten“, sagt er. „Das sind totale Fake-News! Wir haben mit solchen Artikeln leider viel Arbeit und Ärger, da sie eine Lawine von völlig überflüssigen Nachfragen auslösen.“ Der Fall „Villa Kunterbunt“ sei seinerseits schon seit Wochen ad acta gelegt worden. Dennoch hält sich das Märchen von den geldgierigen Astrid-Lindgren-Erben, wie Graef jetzt feststellen muss, nach wie vor in den Köpfen und nicht zuletzt im Internet.

Der Hamburger Anwalt betont, dass auch Kindergärten eine Erlaubnis haben müssen, den Namen „Villa Kunterbunt“ zu verwenden. „Aber Saltkråkan AB hat entschieden, in der Regel keine Lizenzgebühr zu verlangen und auch keine Gebühren rückwirkend geltend zu machen“, so Graef. „Es wurden und werden keine Briefe mit Forderungen verschickt. Die Kitas können unbesorgt sein. Noch nie musste eine Kita zahlen. Die Erbengemeinschaft möchte nur gefragt werden und wird dann einen Lizenzvertrag ausstellen.“