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Preisverdächtig

Der Lebenstraumgemeinschaft Jahnishausen winken 60 000 Euro. Sie könnte das Geld sehr gut gebrauchen.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Riesa. Große, alte Bäume. Wucherndes Grün in den Vorgärten. Bunte Fassaden. Eine Sitzecke, ein Spielplatz, überall Blumenkübel. Wer in Jahnishausen über den Hof des einstigen Volkseigenen Guts spaziert, versteht, warum die Bewohner das Projekt Lebenstraumgemeinschaft genannt haben. Gut 40 Erwachsene und vier Kinder bevölkern das Ensemble sanierter und unsanierter Gebäude, das mal den Wettinern, mal der Treuhand gehörte und nun von einer Genossenschaft bewirtschaftet wird.

Dazu gehören Alwine Schreiber-Martens und Gunter Bechstein, die beide das Rentenalter erreicht haben – aber längst kein gewöhnliches Rentnerdasein führen. „Bei uns machen auch die alten Menschen bei allen Tätigkeiten mit, ob beim Kochen oder bei der Gartenarbeit“, sagt Bechstein, der 73 Jahre alt ist, aber gut zehn Jahre jünger wirkt. „Alfons, unser Elektriker, ist sogar schon 78 Jahre alt.“

Zu tun gibt es auf dem dreieinhalb Hektar großen Grundstück am Riesaer Stadtrand mehr als genug: Mal ist eine Dachrinne kaputt, mal eine Türklinke. Etliche Öfen brauchen Holz. Kein Wunder, wenn man nicht nur eine Reihe Wohnhäuser zu betreuen hat, sondern zum Beispiel auch ein Schloss, eine Remise, ein Storchenhaus und eine frühere Kartoffelschnaps-Brennerei, deren Schornstein mitten im Grundstück in die Höhe ragt.

Langeweile gibt es also nie. Und das findet Alwine Schreiber-Martens auch gut so. „Gemeinsam etwas zu tun, das hält die Gemeinschaft jung“, sagt die frühere wissenschaftliche Angestellte, die vor neun Jahren von Köln nach Jahnishausen gezogen ist. Die Hälfte der Erwachsenen in der Lebenstraumgemeinschaft ist älter als 60. Aber schon die Kinder im Alter von zwei bis zwölf sorgen dafür, dass es nicht allzu ruhig zugeht. Alle nennen sich gegenseitig beim Vornamen – so ist das Sitte in der Mehrgenerationen-WG.

Dort macht man sich gerade berechtigte Hoffnungen auf einen Preis, der mit 60 000 Euro dotiert ist: den Deutschen Alterspreis der Robert-Bosch-Stiftung, die Initiativen fördern will, die kreativ auf den demografischen Wandel reagieren. Immerhin schaffte es die Lebenstraumgemeinschaft mit ihrem Konzept bei knapp 150 Bewerbern bereits unter die letzten sieben: Von denen bekommt der Erstplatzierte 60 000 Euro, der Zweite 40 000 Euro, der Dritte 20 000 Euro. Wer gewinnt, wird am Dienstag in Berlin bekannt gegeben.

„Wir könnten das Geld sehr gut gebrauchen“, sagt Gunter Bechstein. Denn der Platz in der Lebenstraumgemeinschaft wird langsam eng: Was früher schon Wohnraum war, ist längst für neue Bewohner vorgerichtet – zuletzt wurden aus einem alten Dachboden zwei Dreier-WGs. Um aber frühere Ställe in Wohnraum umzuwandeln, wären Genehmigungen für Nutzungsänderungen und ein aufwendiger Umbau nötig. „Wir bauen gerade eine Wohnung für eine Familie um, die bei uns einziehen will“, sagt der Ex-Leipziger, der zu DDR-Zeiten in der Papierindustrie gearbeitet hat, später Heilpraktiker lernte und dann als vom Gericht eingesetzter Betreuer arbeitete. Noch eine zweite Familie würde in absehbarer Zeit gern einziehen – aber noch ist unklar, ob der Platz dafür reicht.

Ohnehin läuft es mit neuen Gemeinschaftsmitgliedern etwas anders, als in einem gewöhnlichen Mehrfamilienhaus: In Jahnishausen stimmen die Bewohner gemeinsam darüber ab, ob jemand in das Ensemble passt. Dann schließt sich noch ein Jahr Probezeit an. „Beide Seiten müssen lernen, ob sie wirklich zueinanderpassen“, sagt Alwine Schreiber-Martens. „Schließlich pflegen wir hier ein enges Miteinander.“ Dazu gehört nicht nur das tägliche Frühstück und Mittagessen, das gemeinsam eingenommen wird. Dazu kommen regelmäßige Sitzungen – und gemeinsame Aktivitäten. Da gibt es eine Singegruppe, eine Gruppe für freies Musizieren, eine Gymnastikgruppe, eine Yogagruppe, eine Gruppe, die zeichnet und malt.

Und dann gibt es da auch noch einen großen Garten, in dem die Bewohner Tomaten, Gurken, Kartoffeln, Möhren, Bohnen und Berge von Salat anbauen. Selbst ein zweieinhalb Hektar großes Feld wurde jetzt dazu gekauft, das noch verpachtet ist, aber auch mal selbst bestellt werden soll. In Jahnishausen warten noch einige Lebensträume darauf, verwirklicht zu werden.