Von Lars Kühl
Es gießt. Knips! Die Sonne kommt raus. Knips! Ein Regenbogen zeigt sich. Knips! Zack, die Bilder an Freunde geschickt oder bei irgendeinem sozialen Medium hochgeladen. Die Wolken haben noch nicht einmal den nächsten Stadtteil erreicht, und schon gibt es erste Reaktionen im Netz. So funktioniert das heute, wenn etwas mehr oder weniger Spannendes passiert.
Postkarten-Ereignisse: 18 Fakten + 1 Fälschung
Die Schnelllebigkeit dank Internet mit Bildern und Videos quasi in Echtzeit gehört für viele inzwischen zum alltäglichen Informationswahnsinn. Angst etwas zu verpassen und das Bedürfnis sich mitzuteilen, auch wenn das Ereignis noch so nichtssagend ist, bestimmen das Tun am Smartphone nicht nur Jugendlicher. „Guck mal, bei mir gab es ein Ei zum Frühstück!“, „Ich bin gerade auf dem Flughafen!“ oder einfach ein Selfie, wenn man irgendwo im Nirgendwo ist. Nichts ist zu banal.
Längst vergessen die Zeiten, als man seine Infos zuerst vorm TV oder sogar ausschließlich aus der Tageszeitung bezog. Schaut man gar ein gutes Jahrhundert zurück, gab es ein ganz anderes Medium, das die Aufgabe übernahm, über aktuelle Ereignisse zu berichten: die gute, alte Postkarte. Sie war ab den 1870er-Jahren ein „beliebtes und vor allem preiswertes Kommunikationsmittel“, erklärt Holger Naumann, leidenschaftlicher Sammler der kleinen bedruckten Pappen. Im Oktober erscheint im Saxo-Phon-Verlag ein neues Buch von ihm mit ausgewählten Dresden-Motiven.
Darunter sind auch mehrere Ereigniskarten. „Es ist interessant, wie schnell Herausgeber auf Aktuelles reagierten und das Geschehene auf Postkarten bannten“, sagt Naumann, der im Haus der Presse als Archivar arbeitet. „Bereits wenige Tage nach dem Ereignis waren die Karten auf dem Markt und bildeten eine optimale Ergänzung zu den Tageszeitungen, in denen in dieser Zeit nur wenige Fotografien Eingang fanden.“ Ihr dokumentarischer Wert ist wertvoll, ob es sich um festliche Einweihungen von Gebäuden und Denkmälern, Jungfernfahrten von Straßenbahnen, Militärparaden, Volksfeste, aber auch Unfälle, Havarien oder Naturkatastrophen handelte.
Zu Letzteren zählt beispielsweise das Weißeritz-Hochwasser vom 30. Juli vor 120 Jahren. In ganz Mitteleuropa gingen 1897 schwere Regengüsse nieder. In Dresden traf es Löbtau, Cotta und Plauen besonders hart. Die Ufermauer zur Weißeritz wurde zerstört, ein Haus brach ein, vieles rissen die Fluten fort. Das neue Löbtauer Rathaus stand kurz vor seiner Einweihung, wurde aber unterspült, und der kunstvolle Bau stürzte zum Teil ein. Das Unglück ist festgehalten auf einer Postkarte in Naumanns Sammlung. Dort findet sich auch eine von einem hohen Besuch im selben Jahr. Ab dem 24. August machte König Chulalongkorn von Siam (heute Thailand) Dresden für drei Tage seine Aufwartung. Schon kurz darauf erhielten Adressaten davon eine bebilderte und beschriebene Botschaft. 1897 hatte tragisch begonnen. Am 16. Februar brannte die Kreuzkirche aus und wurde danach bis 1900 im Neubarock mit Jugendstilelementen neu gestaltet. Von dem Feuer existieren mehrere Ansichten.
Überhaupt sind im Design der Postkarten Entwicklungen erkennbar. Umso neuer sie sind, desto mehr setzen sich reine Fotokarten durch, ohne dass die künstlerisch Gestalteten gänzlich verschwinden. Ereignisse wie das schwere Eisenbahnunglück am 22. September 1918 wurden mehrfach fotografiert. Ein Lokführer hatte in Pieschen ein Signal falsch gedeutet, weil er, was erst später bekannt wurde, farbenblind war und Rot mit Grün verwechselt hatte. Statt „Halt“ dachte er so, er habe „Freie Fahrt“. Zu spät leitete der Lokführer den Bremsvorgang ein, sein Schnellzug fuhr vor der Einfahrt zum Bahnhof Neustadt auf einen anderen auf. 38 Menschen fanden den Tod, 118 wurden verletzt. Bilder von dem verheerenden Unfall gingen anschließend auf Karten um die Welt.
Gleiches geschah, als die Elbe 1904 kaum noch Wasser führte, auch als sie 1929 zugeeist war, als es 1909 auf der Vogelwiese brannte oder als am 22. Februar vor 85 Jahren Tausende den Trauerzug für Sachsens letzten König, Friedrich August III., säumten. Es sind würdevolle Motive, viele ästhetisch, einige rein dokumentarisch. Sinnfreie Posts vom ersten Weizen im Biergarten oder der gelaufenen Jogging-runde sind nicht dabei.