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Poseidon der kleinen Fische

Bernd Schwabe war einer der renommiertesten Zierfischzüchter der DDR. Heute muss er Aquarien fern bleiben.

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Von Henry Berndt

Das erste Becken fasste kaum vier Liter. Bernd Schwabe war gerade sechs Jahre alt, als er zum ersten Mal seine eigenen Guppys und Zebrabärblinge bewundern durfte. Das Aquarium fand seinen Platz auf dem Kachelofen im Wohnzimmer und brachte den kleinen Jungen zum Schwärmen – bis im Herbst das erste Mal geheizt wurde. „Da sind schon ein paar Tränen geflossen“, erinnert sich Schwabe. Aber dies sei auch der Tag gewesen, als er beschloss, dass es den Fischen in seiner Obhut immer gutgehen solle.

Etwas mehr als 60 Jahre später blickt Bernd Schwabe auf ein Aquarianerleben zurück, das einzigartige Erfolge, aber auch gewaltige Enttäuschungen zu bieten hatte. Der gelernte Gärtner ist inzwischen Rentner und nebenbei gerade mal wieder Vorsitzender seines Dresdner Vereins „Kampffisch“, nachdem er eigentlich nach 30 Jahren im Amt schon feierlich verabschiedet und zum Ehrenvorsitzenden ernannt worden war.

Umzug mit 40 Wasserbecken

Jeden Monat lädt er zum Vereinstreffen ins Haus der Begegnung auf der Großenhainer Straße ein. „Nachwuchssorgen haben wir keine, nur den Job will niemand machen“, sagt er und lacht, dass seine weißen buschigen Augenbrauen nur so tanzen. Auf den ersten Blick wird klar: Dieser freundliche Herr wäre auch ein perfekter Mietweihnachtsmann.

Eher aber ist Bernd Schwabe so etwas wie der Poseidon der kleinen Fische. 1983 gründete er gemeinsam mit einem Freund die größte Zierfischzüchterei der DDR. In alten Gewächshäusern in Dresden-Briesnitz züchtete er über 80 Arten vom Schmetterlingsbuntbarsch bis zum eierlegenden Zahnkarpfen. „Wir haben das alles selbst gebaut, jedes Becken selber geklebt und die Gestelle geschweißt“, sagt er stolz. Einige Arten hätte man sonst nirgendwo im ganzen Land kaufen können. Einen Schwarm seltener Salmler kaufte er damals schon mal für 40 DDR-Mark pro Stück. „Heute gibt’s die für drei Euro in jedem Shop.“ 90 Prozent seiner Absätze gingen in den Westen, aber auch in Sachsen hatte Schwabe einen großen Kundenstamm an privaten Züchtern.

Dann kam das Jahr 1990. „Plötzlich wollte keiner mehr unsere Fische haben“, erinnert sich Schwabe. In Südostasien gab es den Nachschub jetzt für einen Bruchteil des Preises. „Als wir dann wirklich zugemacht haben, war das Geschrei groß. Doch genau diese Leute haben uns hängen lassen.“

In den Jahren nach der Wende setzte das große Vereinssterben ein. Von einst neun Dresdner Aquarienvereinen blieben nur zwei übrig. Strom und Wasser kosteten plötzlich richtig Geld. Privat wurde jetzt kaum noch gezüchtet. Bernd Schwabe unterstützte nun seine Frau bei der Arbeit in einer Zoohandlung. Erst in Dresden-Weißig, später in Radebeul. Privat lebte er unterdessen seine stetig wachsende Liebe zu Killifischen aus, das sind farbenprächtige Zahnkarpfen, von denen es weltweit mehr als 770 Arten gibt. Unwesentlich weniger hielt Schwabe lange Zeit in seinen etwa 40 heimischen Becken. Zweimal im Jahr zog er mit ihnen um. Im Frühjahr von der Platte in Gorbitz in seine Bühlauer Gartenlaube – und im Herbst wieder zurück. Bis heute stehen die Pokale, die er auf Leistungsschauen mit seinen Fischen gewann, in der Laube. Die Fische aber sind verschwunden.

„Vor einiger Zeit hat sich bei mir im Körper eine Amöbe eingenistet“, sagt Schwabe und wird ernst. Vermutlich war irgendein Wildfang schuld. Bernd Schwabe wurde krank und braucht seitdem regelmäßig teure Kuren. Vor vier Jahren riet ihm ein Arzt, sich von Fischen fernzuhalten. Aquarien als wahre Bakterienhorde könnten Schwabes Gesundheit noch mehr gefährden. „Darunter habe ich sehr gelitten“, sagt Schwabe. Wenn er sich heute in einem Zoogeschäft die Becken anschaut, dann erschrickt er häufig. „Der Zustand ist oft bedenklich. Viele Fische klemmen die Flossen ein oder haben die Weißpunktkrankheit.“ Beides sind Zeichen für schlechtes Befinden. Zu DDR-Zeiten habe er fast nie Probleme mit Fischkrankheiten gehabt. Und dann noch diese unsäglichen Dekoartikel: Roter, gelber und grüner Bodengrund und Totenköpfe aus Kunststoff, das hätte es bei ihm früher nicht gegeben, sagt er. Vor allem die Fachzeitschriften aus der Aquaristik haben vor Jahrzehnten seine Leidenschaft geweckt. Inzwischen hat er alle abbestellt.

In seinem Garten widmet sich Bernd Schwabe jetzt nur noch der Steingärtnerei, seinem zweiten Hobby. Ganz verabschieden kann er sich von seinen Fischen aber trotz allem nicht. Einmal Aquarianer, immer Aquarianer. Als „Prüfer für Sachkundenachweise Süßwasser“ ist er heute quasi der Fahrschulprüfer für angehende Zierfischzüchter und Zoohändler in Sachsen.

Und dann gibt es da noch die Ausstellungen seines Vereins – wie zuletzt im Dresdner Felsenkeller. „Zu DDR-Zeiten konnten wir mit Zierfischbörsen richtig Geld verdienen“, sagt Schwabe. „Heute bekommt man damit kaum noch die Miete rein.“ Börsen veranstaltet er deswegen keine mehr. Die Schauen des Vereins seien ihr kleines Eintrittsgeld aber immer wert.

Im Mai 2013 wartet noch einmal ein echter Höhepunkt auf den Herrn der Zierfische: Dresden ist Austragungsort der 43. Leistungsschau der Deutschen Killifischgesellschaft. Der Steingarten in Bühlau wird dann vermutlich wieder eine Weile warten müssen.