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Posaunen vor Pretzschendorf

Der Posaunenchor der Kirchgemeinde feiert seinen 90. Geburtstag. Verändert haben sich vor allem die Zeiten.

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© Egbert Kamprath

Von Jane Jannke

Pretzschendorf. Das war noch was, als die Pretzschendorfer Bläser im Winter mit dem Schlitten durchs tief verschneite erzgebirgische Land zum Weihnachtsgottesdienst fuhren. Lange ist das her. Marie Oppelt kann sich von solchen Begebenheiten nur erzählen lassen. Von Heinz Wenzlaff etwa, der seit 57 Jahren im Chor Trompete spielt. Oder von Manfred Neubert, Waldhornist und seit fast 60 Jahren dabei. Die beiden alteingesessenen Pretzschendorfer symbolisieren das, wofür das Ensemble seit nunmehr 90 Jahren steht: Kontinuität, Tradition und das Bekenntnis zum Gottglauben.

Der Chor 1927 ein Jahr nach seiner Gründung vor der Pretzschendorfer Kirche. Hier übt und spielt er noch heute.
Der Chor 1927 ein Jahr nach seiner Gründung vor der Pretzschendorfer Kirche. Hier übt und spielt er noch heute. © Posaunenchor Pretzschendorf

Bis heute ist der Posaunenchor eine feste Burg in Pretzschendorf. 72 Auftritte bestritt das Ensemble im vergangenen Jahr – von der Hochzeit über Gottesdienste bis hin zur Beerdigung. Vieles läuft hier immer noch wie früher, wenn auch weniger konservativ als in den ganz alten Zeiten, als schon ein Notenwechsel hin zu neumodischen Klängen zu Revolten und sogar Austritten führen konnte. Die Mehrzahl der heute 26 Mitglieder ist um die bzw. über 60. Dem Wandel der Zeiten hat man sich aber dennoch nicht verschlossen. Marie Oppelt ist mit ihren 28 Jahren die Zweitjüngste, nichtsdestotrotz auch schon seit zwölf Jahren dabei. Akribisch führt die Posaunistin die Chorchronik. Mit ihrer akkuraten Handschrift ist sie wie geschaffen dafür, das Gedächtnis des Chores zu pflegen – traditionell handschriftlich, wie es sein Gründer, Dorfpfarrer Horst Heinke, einst begonnen hat.

Als Heinke den Chor 1926 aus dem Jungmännerverein heraus ins Leben ruft, sind seine acht Mitglieder noch ausschließlich männlichen Geschlechts. Das Ensemble bildet die soziale Struktur des Dorfes ab. Die Musiker kommen vor allem aus der Landwirtschaft. Als vor vielen Jahren mit dem längst verstorbenen Günther Braune auch ein Bürgermeister mitspielt, ist das ein denkwürdiges Ereignis, das einen Sondervermerk in der Chronik verdient.

Aus dem Jungmännerverein wird später die Junge Gemeinde, und neben 18 männlichen Bläsern sind heute auch acht Frauen mit von der Partie. Marie Oppelt ist eine davon. „Ich kam damals zum Chor, weil sie Mitspieler suchten und meine Mutter dort anfing“, erzählt die 28-jährige Ingenieurin. So sei das fast immer gewesen, bestätigt Chorleiter Heinz Wenzlaff (74). Mit dem Unterschied, dass heute die wenigen Jungen, die den Weg zum Chor noch fänden, mit diesem längst nicht mehr alt würden, wie er selbst noch. „Die Jugend zieht heute beizeiten fort, zur Ausbildung oder zum Studium.“ Auch das derzeit jüngste Mitglied, ein Zwölfjähriger, wird diesem Beispiel wahrscheinlich irgendwann folgen.

Den Lauf der Zeit wird auch die zunehmende Öffnung des Chores hin zu populärer und moderner Musik kaum aufhalten. Dennoch: „Der Herr wird diesen Chor nicht einschlafen lassen, sonst hätte er ihn nicht so lange erhalten“, ist Hornist Manfred Neubert (76) überzeugt. Und von „Schlafen“ kann derzeit auch keine Rede sein. Auftritte wie 2011 beim Kirchentag in Dresden oder gerade erst in diesem Jahr bei den Posaunentagen bilden unvergessliche Höhepunkte. „20 000 Bläser bei brütender Hitze im Dynamo-Stadion – das war unglaublich beeindruckend“, schwärmt Marie Oppelt. Erwähnt sei auch das Konzert in der gerade eröffneten Dresdner Frauenkirche im Jahr 2005 – noch so ein Gänsehaut-Moment. Als das Ensemble 2012 Sachsens erstem Mann Stanislaw Tillich ein Ständchen gibt, kommt auch Gänsehaut auf, allerdings aus anderen Gründen: Sprengstoffhunde nehmen die Instrumentenkoffer der Musiker ins Visier – aus Sicherheitsgründen.

Jeden Donnerstag trifft sich der Posaunenchor ab 20 Uhr im Pretzschendorfer Pfarramt zur Probe. Mitspielen kann jeder, der Interesse an Blasinstrumenten wie Trompete, Tuba, Horn oder Posaune hat. Allerdings sollte derjenige eine stattliche Zahl an Auftritten im Jahr einplanen – gerne dann, wenn andere besinnlich im Kreis der Familie zusammensitzen, etwa zu Weihnachten oder anderen Feiertagen. Diesen Sonntag, 21. August, wird der Chor zunächst sein 90. Jubiläum gebührend begehen. Den Auftakt macht um 14 Uhr ein Festgottesdienst in der Pretzschendorfer Kirche mit anschließendem Kaffeetrinken im Pfarrhof. Ab 17 Uhr folgt eine gemeinsame Serenade mit Bläsern aus anderen Chören auf dem Friedhof. Jeder, der will und kann, ist eingeladen, mit einzustimmen.

Die Zukunft wollen die Bläser einfach auf sich zukommen lassen. Zu sehr schweiße das Vereinsleben zusammen, als dass man sich dieses Gemeinschaftsgefühl von Zukunftssorgen verderben lassen will.