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Polnische Kunden stürmen die Zucker-Regale

Das Kilo Zucker kostet jenseits der Neiße doppelt so viel wie in Görlitz. Die ersten Märkte rationieren jetzt den Verkauf. Engpässe soll es aber nicht geben.

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Von Katrin Schröderund Sebastian Beutler

Dort, wo im Görlitzer Marktkauf der Zucker im Regal stehen sollte, herrscht gähnende Leere: „Es dauert keine Stunde, dann ist wieder eine Palette weg“, sagt Silvia Becker, Abteilungsleiterin Lebensmittel. Scharf auf die süße Ware sind vor allem Kunden aus dem Nachbarland. Denn in Polen ist der Preis für Zucker drastisch gestiegen. Derzeit kostet ein Kilo in Zgorzelecer Geschäften zwischen 4,60 und 5 Zloty (1,14 bis 1,24 Euro). Zum Vergleich: In deutschen Supermärkten kostet ein Kilo Zucker derzeit 0,65 Euro.

Die Folgen sind jetzt in den Görlitzer Einkaufsmärkten zu spüren. Puder- und Würfelzucker gibt es zwar fast überall, teilweise aufreizend breit in die Regale gestellt. Aber klarer Zucker ist in manchen Märkten schon selten anzutreffen. Beispielsweise gestern Vormittag im Norma-Markt im City-Center, im Lidl-Markt auf der Christoph-Lüders-Straße und bei Aldi auf der Emmerichstraße. Andere Märkte wie der Netto auf der Lüdersstraße und Kaufland in Königshufen informieren ihre Kunden mit kleinen Schildern, dass nur fünf Tüten an eine Person abgegeben werden. Solche Rationierungen sind nicht unüblich und werden beispielsweise bei Aktionsware oder bei Waschmitteln mitunter angewendet.

Doch ist der Ansturm auf die Zuckertüten kein ausgesprochen Görlitzer Problem. In Supermärkten entlang der deutsch-polnischen Grenzregion ist dasselbe Phänomen zu beobachten. Wie Sprecher verschiedener Supermarktketten auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa bestätigten, setzten von polnischer Seite aus vor ungefähr vier Wochen zwischen Usedom und Zittau zum Teil „Hamsterkäufe“ ein. Selbst in Löbauer Märkten werden teilweise nur fünf Packungen abgegeben. Es gibt freilich auch Gegenbeispiele. So hatte der Edeka-Markt auf der Dresdner Straße gestern Vormittag noch ausreichend Zucker und rationiert – jedenfalls nicht sichtbar – auch den Verkauf nicht. Der polnische Ansturm hat nun auch andere Folgen: Mancher Görlitzer greift mehr als nötig zu den Zuckertüten – in Sorge, es könnte demnächst ein Engpass auftreten, berichtet eine Kundin im Netto-Markt.

Der Grund für den Zuckerpreisanstieg in Polen ist europäischer und globaler Natur. 2006 wurde der europäische Zuckermarkt reformiert – wegen Überkapazität. Rund 21 Millionen Tonnen Zucker wurden 2005 in der EU produziert, aber nur 17,5 Millionen Tonnen verbraucht, rechnet die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza vor.

Daraufhin wurden die Quoten gesenkt, weshalb 2010 europaweit nur 13,5 Millionen Tonnen Zucker produziert wurden. Polen musste die Produktion von jährlich zwei Millionen Tonnen Zucker auf 1,4 Millionen Tonnen drosseln. Die Reformer glaubten, dass fehlende Ware jederzeit importiert werden kann. Doch sie sahen nicht voraus, dass Zucker auf dem Weltmarkt eine knappe Ware werden könnte–wegen klimabedingter Missernten und weil der weltgrößte Produzent Brasilien die Hälfte seiner Zuckerrohrernte zu Biosprit verarbeiten lässt. Hinzu kommt die Spekulation an den internationalen Rohstoffmärkten. Nun sah sich der polnische Landwirtschaftsminister zum Eingreifen genötigt. Vergangene Woche unterzeichnete Marek Sawicki eine Verordnung, die den Zuckerrübenbauern höhere Einnahmen verspricht. Bei der EU-Kommission beantragte er um 15 Prozent höhere Produktions- und Verkaufsquoten. Das Amt für Konsumentenschutz und zur Wahrung der Konkurrenz untersucht nun, wer für den drastischen Preisanstieg verantwortlich ist.

Bei Marktkauf werden jetzt nur noch zehn Kilo Zucker pro Person verkauft – wegen der Wiederverkäufer. Die Versorgung sei aber sicher, sagt Silvia Becker: „Wir können jederzeit nachbestellen.“ Das ist in diesen Tagen auch oft nötig.