Merken

Polnisch als Schulfach wird wichtig für die Arbeitssuche

Agnieszka Korman koordiniert den Polnisch-Unterricht am Augustum-Annen-Gymnasium. Wer in der Grenzregion beide Sprachen kann, hat bessere Chancen, sagt sie.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Frank Seibel

Einer von 15. So ist das, wenn man in eine Runde von Zehntklässlern fragt: Wer von euch lernt Polnisch? Der eine von 15 ist kein Überzeugungstäter, kein Polnisch-Fan. Er sieht‘s pragmatisch: Französisch kann er nicht gebrauchen; zu weit weg. Latein kann er auch nicht gebrauchen, zu tot. Also Polnisch. Weil’s halt nahe liegt.

Mit solchen Entscheidungen kann Agnieszka Korman schon ganz gut leben. Es muss ja nicht gleich Begeisterung sein, eine nüchterne Abwägung von Aufwand und Nutzen reicht ihr schon. Und sie ist sich sicher, dass das für Jugendliche in Görlitz eine vernünftige Entscheidung ist. Auch wenn sie immer wieder feststellen muss, dass kaum ein Schüler des Augustum-Annen-Gymnasiums öfter mal „rüber“ geht in die Nachbarstadt oder gar weiter hinein nach Polen.

Aber Agnieszka Korman klagt nicht. Es hat sich schon viel getan, seit sie vor 15 Jahren als Lehrerin am traditionsreichen Görlitzer Gymnasium angefangen hat. Im Jahresbericht des Kultusministeriums wurden für das Schuljahr 2002/2003 sachsenweit 400 Schüler gezählt, die Polnisch als Fremdsprache lernten. „Im zurückliegenden Schuljahr waren das 2 222.“ Sachsenweit hieß bis vor Kurzem: an fast allen Görlitzer Schulen und am katholischen St. Benno-Gymnasium in Dresden. Wer Polnisch als Sprache des Nachbarn betrachtet, denkt an die Neiße-Region – von Leipzig oder Chemnitz aus scheint Polen weit weg zu sein.

Aber so ist es nicht, betont Agnieszka Korman, die die Polnisch-Angebote am Augustum-Annen-Gymnasium koordiniert und weiterentwickelt. Denn die Nachbarn kommen zu uns, auch wenn wir nicht zu den Nachbarn gehen. So leben derzeit in Görlitz mehr als 3 000 Polen. Auch in den sächsischen Metropolen wächst deren Zahl. So soll auch dort jetzt verstärkt Polnisch als Unterrichtsfach angeboten werden.

Agnieszka Korman ist davon überzeugt, dass Polnisch-Kenntnisse daher für viele Schüler in Görlitz eine ganz praktische und zunehmend wichtige Funktion haben. Denn Polen, die hier leben, sind auch Kunden und Patienten. Katharina Poplawski von der Europastadt Görlitz-Zgorzelec GmbH unterstreicht diese These der Lehrerin. Sie ist gebürtige Polin und bei der Wirtschaftsförder-Gesellschaft der Stadt für die Entwicklung des Berzdorfer Sees verantwortlich. „Unternehmer entscheiden sich immer öfter für Bewerber, die Deutsch und Polnisch können“, sagt sie. Das gelte für die Gastronomie ebenso wie für Arztpraxen, Physiotherapien und andere Dienstleister – aber auch für Handwerk und Industrie.

Ob man sich für ein Land und seine Sprache interessiert, hat aber sehr oft mit dem Image dieses Landes zu tun, hat Agnieszka Korman erfahren. „Französisch ist eine etablierte Sprache, Polnisch nicht“, sagt sie. „Aber wo spricht man schon Französisch?“ Die meisten Görlitzer hätten noch immer alte Klischees über das polnische Nachbarland im Kopf. Billige Arbeitskräfte ist so ein Schlagwort.

Aber das entspricht längst nicht mehr der Realität, betont Wirtschaftsförderin Katharina Poplawski. Die Löhne und Gehälter seien in Polen deutlich gestiegen und mit denen in Deutschland vergleichbar. Und vor der Gruppe der 15 Zehntklässler betonte sie beim Europa-Projekttag des Gymnasiums, dass zwischen Görlitz und Breslau viele neue und moderne Betriebe entstehen und die Fachkräfte im polnischen Niederschlesien gar nicht ausreichen. Wer in der Oberlausitz Arbeit sucht, muss sich künftig immer öfter nach Osten wenden, betont sie. Und als eine Frau, die schon in mehreren Ländern gelebt und gearbeitet hat, ermutigt sie die Jugendlichen, den Schritt in die Fremde zu wagen – und es als Chance zu sehen, dass diese Fremde direkt vor der Tür, auf der anderen Seite des Flusses liegt, der durch die Europastadt fließt.

Als Agnieszka Korman vor 15 Jahren nach Görlitz kam, hatten Jugendliche meist überhaupt keine Zukunftsvorstellung, in der Görlitz eine wichtige Rolle spielte. Nach der Schule schnell weg und nicht wiederkommen, war die Devise. Das sei heute anders, hat die Lehrerin beobachtet. „Es gibt eine Menge Schüler, die sagen, dass sie nach dem Studium gerne zurück kommen möchten.“

Wer sich entscheidet, an der Schule Polnisch zu lernen, hat heute bessere Bedingungen als noch vor einigen Jahren. Vor 15 Jahren gab es am Augustum-Annen-Gymnasium zwei Polnisch-Lehrer, heute sind es sechs, darunter einige junge. Nimmt man zwei Fachlehrer aus Polen hinzu, kommt man auf acht polnische Muttersprachler. Diesen Trend gibt es auch an anderen Schulen. Und je attraktiver das Angebot, desto mehr Schüler ziehen mit, glaubt Agnieszka Korman. Schon jetzt lernt jeder vierte der 4 500 Schüler in Görlitz die Sprache des Nachbarlandes. Tendenz steigend.