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„Politiker waren schäbig zu uns“

Seit Vattenfall die Braunkohlesparte in der Lausitz loswerden will, stehen die Umsiedlungsgemeinden Trebendorf und Mühlrose völlig Kopf. Bürgermeisterin Kerstin Antonius spricht im SZ-Interview Klartext.

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© Wolfgang Wittchen

Von Jost Schmidtchen

Vor einem Jahr gab es die erste offizielle Ankündigung von Vattenfall, die Braunkohle- und Kraftwerkssparte zu verkaufen. Sämtliche Pläne für die Bergbauregion – auf 20 Jahre und mehr ausgelegt – waren plötzlich das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Passiert ist bislang wenig. Und es zeigt sich, dass die Unsicherheit das größte Problem überhaupt ist. Die Stimmung in Trebendorf und Mühlrose: Aus Sorgen, Angst und Ungewissheit wächst langsam Trotz. Bürgermeisterin Kerstin Antonius erklärt, was vor Ort getan wird, um den Menschen in der Region wieder Planungssicherheit zu geben.

Kerstin Antonius, Bürgermeisterin für Trebendorf und Mühlrose, wünscht sich „Optimismus und Klarheit zur Braunkohle und für die Zukunft.“
Kerstin Antonius, Bürgermeisterin für Trebendorf und Mühlrose, wünscht sich „Optimismus und Klarheit zur Braunkohle und für die Zukunft.“ © Thomas Staudt

Frau Antonius, noch baggern die Bagger und produzieren die Kohlekraftwerke in der Lausitz. Beruhigt das?

Für unsere Gemeinde war 2015 ein Jahr zeitintensiver und anstrengender Arbeit, vor allem wegen den bergbaubedingten Aufgaben. Wir haben keine Klarheit für die zukünftige Lebensplanung, was die angedachten Umsiedlungen betrifft. Diese Ungewissheit beeinträchtigt das tägliche Leben in Trebendorf und Mühlrose.

Wer kümmert sich aktuell überhaupt noch um die Belange der Umsiedler?

Die bergbaulich geprägten Entwicklungen und Prozesse in Trebendorf und Mühlrose werden verantwortungsvoll durch den Beirat Bergbau Trebendorf und dem Beirat Umsiedlung Mühlrose begleitet sowie der Arbeitsgemeinschaft Wasser. Neben dem Gemeinderat leisteten im zurückliegenden Jahr auch die Mitglieder des Technischen Ausschusses und des Hauptausschusses eine intensive Arbeit. Über die Entwicklung wurden unsere Bürger in einer öffentlichen Sitzung der Gemeinderäte Schleife und Trebendorf informiert.

Wie ist denn der „Trebendorf-Vertrag“ mit Vattenfall aus dem Jahr 2008 bislang umgesetzt worden?

Recht gut und zuverlässig, das darf ich so sagen. Umfassende Erschließungsmaßnahmen, die kommunale Entwicklung, Straßenendausbau zu umsiedlungsbedingten Bebauungsgebieten mit vielen Gehölzpflanzungen, da kann ich nur lobend sagen: Die vielen realisierten Maßnahmen haben das öffentliche Erscheinungsbild der Gemeinde insgesamt sehr gut verändert.

Wie ist die Situation in Ihrem Ortsteil Mühlrose?

Im Rahmen des 2004 gegründeten „Bürgervereins Mühlrose 2004“ hatte sich das ganze Dorf zur Umsiedlung bekannt. Hauptgrund dafür waren die erheblichen Auswirkungen, die sich durch die restliche Tagebauführung Nochten I ergeben. In Mühlrose begann der Tagebau Nochten vor fast 50 Jahren, dort wird er auch wieder enden, kommt Nochten II nicht. Dann befindet sich das Dorf auf einer Insellage. Ohne Nochten II ist die Insellage besiegelt, aber auch die vorzeitig gewünschte Umsiedlung der Einwohner. Vattenfall hat im Plan für Nochten II deshalb der Umsiedlung zugestimmt.

Aber passiert ist seitdem nichts.

Es gibt bis heute keine verbindlichen Aussagen, und die 230 Einwohner von Mühlrose leben weiter in Ungewissheit. Eine Lösung ist vor dem Verkauf der Vattenfall-Braunkohlesparte nicht in Sicht, obwohl sich die Mühlroser bereits für ihren neuen Dorfstandort zwischen Schleife und Groß Düben entschieden haben und dort auch schon die Grundstücksvormerkungen erfolgten.

Was ist mit Klein Trebendorf?

Dasselbe wie in Mühlrose. Das Umsiedlungsgebiet in Trebendorf ist bereits erschlossen, es könnte sofort gebaut werden. Ohne Verträge bezüglich Nochten II geht das aber nicht.

Wie bewerten Sie da die aktuellen Bestrebungen der Bundesregierung zum Klimawandel?

Ganz einfach negativ. Ich habe den Eindruck, dass die Betroffenen der Umsiedlung bislang von der sächsischen Landespolitik mit Versprechungen umgarnt wurden und nun plötzlich jeder Politiker so tut, als hätte er davon nichts gewusst. Das ist schäbig, und Klimawandel hin und her, man könnte denken, dass die Bürger von Trebendorf und Mühlrose zum „Wechselgeld“ von Politfanatikern geworden sind. Ich erwarte vom Bundeswirtschaftsministerium zumindest eine verlässliche Erklärung zur zukünftigen Energiepolitik und der damit verbundenen Wirtschaftsentwicklung in der Lausitz. Und damit verbunden auch für unsere Gemeinde.

Kommen wir wieder zurück zur Kommunalpolitik. Wie sieht es denn da aktuell aus?

Unseren eindeutigen und gemeinsamen Standpunkt für die Fortführung des Abbaugebietes II des Tagebaues Nochten haben wir in einem „Gemeinsamen Offenen Brief“ zum Thema „Strukturwandel in der Lausitz“ Mitte Oktober klar und eindeutig formuliert, zusammen mit der brandenburgischen Seite, wo es ja ähnliche Probleme gibt. Darin haben wir verdeutlicht, dass die Braunkohleförderung und -verstromung für unsere Kommunen die Basis der Absicherung der hier lebenden Bevölkerung bis 2050 bildet.

Bleibt die Frage, ob sich demnächst etwas bewegt. Zurzeit scheint es ja so, als ob der Faktenstand immer noch der von vor einem Jahr ist.

Das Jahr 2014 endete mit Diskussionen um die Zukunft der Lausitzer Braunkohle und der Ankündigung des Eigentümers Vattenfall, einen Verkauf der Braunkohlesparte zu prüfen. Das Jahr 2015 endet mit der Ungewissheit zum Verkauf und damit verbunden mit einer riesigen Unsicherheit für die Gemeinde insgesamt. Die eingetretene Situation halte ich insofern für unbefriedigend, da familiäre und berufliche Planungen der Bürger und Umsiedler halb und halb zur Vakanz gestellt sind und ihnen keiner eine klare Antwort gibt. Wir fordern eine sichere Zukunftsperspektive für die gesamte Region Lausitz, was die Braunkohle betrifft.

Auffällig ist aber gewesen, dass die Menschen in der Region trotzdem zusammenkamen, feierten, die Kultur pflegten und den Eindruck vermittelt haben, nicht aufzugeben.

Erfreulicherweise. Herausragende Veranstaltungen waren der 80. Jahrestag der Freiwilligen Feuerwehr Trebendorf, das 20-jährige Jubiläum der Gründung des Frauenvereins Trebendorf e.V., das 70-jährige Jubiläum der Domowina-Ortsgruppe und der Kirmestanz als „Tag der Vereine“ im „Haus der Vereine“. Letzterer wurde mit dem Ortsteil Mühlrose mit einem sorbischen Trachtenfest verbunden. Zum 1. Advent gab es auf dem Schusterhof den traditionellen Backtag, und es kam auch das Trebendorfer Christkind.

Was wünschen Sie sich für 2016?

Optimismus und Klarheit zur Braunkohle und für die Zukunft. Mehr kann ich mir nicht wünschen.