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Politik fordert Perspektive für Görlitz

Im Bundestag kommt Siemens wegen seines Sparkonzeptes schlecht weg. Am Donnerstag erlebt Berlin eine große Demo der Beschäftigten.

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© nikolaischmidt.de

Von Sebastian Beutler

Seit Mittwoch treffen sich 600 Siemens-Betriebsräte und 1 500 weitere Beschäftigte in einem Berliner Hotel, um gegen den geplanten Stellenabbau zu protestieren. Sie nutzen dazu die Jahrestagung der deutschen Siemens-Betriebsräte in Berlin-Neukölln. Hauptprotesttag wird der heutige Donnerstag sein, wenn nicht nur SPD-Vorsitzender Martin Schulz vor dem Kongress sprechen wird, sondern Tausende Siemens-Mitarbeiter für ihre Arbeitsplätze demonstrieren werden. Darunter sind auch 300 Beschäftigte des Görlitzer Werkes, deren Busse gegen drei Uhr in der Nacht zum Donnerstag in Richtung Bundeshauptstadt starten.

Die angekündigte Schließung des Görlitzer Siemens-Werkes findet immer noch ein breites Echo. Journalisten von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeiner Zeitung, den beiden wichtigsten nationalen Tageszeitungen in Deutschland, beschreiben in Beiträgen die Auswirkungen eines solchen Aus für die Mitarbeiter und für die Stadt. Auch die leserstärkste Zeitschrift im Osten Deutschlands, die „Super-Illu“, wird demnächst aus Görlitz berichten. Die Absicht des Siemens-Vorstandes, den Betrieb an der Lutherstraße bis spätestens 2023 zu schließen, ruft auch weiterhin Kritik in Görlitz hervor. So erklärte sich der katholische Bischof von Görlitz, Wolfgang Ipolt solidarisch mit den Arbeitern, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren sollen. „Ich hoffe mit ihnen, dass Siemens auch bereit ist, nach anderen Lösungen Ausschau zu halten als die Schließung des Werkes in Görlitz.“

Das gesamte Sparprogramm war am Dienstag Thema im Bundestag. Auf Antrag der SPD beschäftigte sich das Parlament mit den Entwicklungen. Der geplante Abbau tausender Arbeitsplätze bei Siemens ist dabei nach Auffassung von SPD-Chef Martin Schulz „völlig inakzeptabel.“ Er sprach von „verantwortungslosen Managern“ und kritisierte: „Wenn es hart wird, muss am Ende die Belegschaft bluten.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn forderte ein neues Fördersystem für strukturschwache Regionen wie Görlitz. Die Linkspartei erwartet in einer Resolution von Siemens, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen und keine Werke zu schließen.

Streit gab es darüber, ob die Energiewende und Klimapolitik der rot-grünen und schwarz-roten Bundesregierungen seit 1998 an der Entwicklung eine Mitschuld tragen. Während das Torsten Herbst (FDP) und der Görlitzer Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla (AfD) bejahten, stand für Thomas Jurk (SPD) aus Weißkeißel im Vordergrund, dass die von Schließung bedrohten Werke in Görlitz und Leipzig gerade nicht für große Atom- oder Kohlekraftwerke Anlagen produzierten. Allerdings hat Siemens seine Schließungsabsichten damit begründet, dass der Markt für große Gas- und Dampfturbinen dauerhaft schrumpfe. Sie entstehen in Berlin und Mühlheim. Diese Werke sind damit nicht ausgelastet. Durch Personalabbau und die Verlagerung der Produktion aus Betrieben wie Görlitz sollen diese Standorte gesichert werden. Jurk hält die Begründung von Siemens für das Aus des Görlitzer Maschinenbaus für verlogen. Angesichts einer Gewinnmarge von zehn Prozent in der Kraftwerkssparte habe er kein Verständnis für die Schließung der Betriebe. Er appellierte an Siemens, in die zu investieren und lud Siemens-Chef Joe Kaeser nach Görlitz ein.

Die Strategie der Politik scheint derzeit auf zweierlei zu zielen. Zum einen will sie, dass Siemens die tatsächlichen Gründe für das Sparkonzept auf den Tisch legt. „Wir wollen das aufklären“, kündigte der designierte sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer an. Und zum anderen will die Politik Siemens dazu bewegen, wenn schon die Industriedampfturbinen-Produktion in Görlitz nicht zu halten ist, über alternative Produktionslinien für Görlitz nachzudenken. „Jedes mittelständische Unternehmen würde neue Produkte entwickeln“, sagte Kretschmer. „Das kann man erst recht von einem großen Industriekonzern erwarten.“ Auch FDP-Bundestagsabgeordneter Torsten Herbst aus Dresden äußerte sich so: Siemens sollte noch mal über neue Perspektiven für seine Standorte nachdenken.

Auch wenn die Betriebsräte und die IG Metall zunächst einmal Verhandlungen mit der Siemens-Spitze über das Sparkonzept verweigern, verhindern können sie es mit der Blockadehaltung nicht. Zwar schreibt das Betriebsverfassungsgesetz vor, dass bei Standortschließungen, Stellenabbau und anderen „Betriebsänderungen“ die Arbeitnehmervertreter eingebunden werden müssen. Verweigert der Betriebsrat aber Verhandlungen, kann der Arbeitgeber die sogenannte Einigungsstelle anrufen, erklärt der Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing von der Universität Bonn. In diesem betrieblichen Schiedsausschuss verhandeln Arbeitgeber und Betriebsrat unter dem Vorsitz eines neutralen Dritten – häufig eines Arbeitsrichters. Können sich die Parteien auch dann nicht auf einen Sozialplan verständigen, entscheidet am Ende der Vorsitzende der Einigungsstelle.

Doch heute in Berlin wird die IG Metall erneut versichern, was ihr Vorstandsmitglied und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner bereits in dieser Woche erklärte: „Wir werden dann mit der Siemens-Führung über die Schließungspläne verhandeln, wenn diese zurückgenommen werden. Vorher gibt es nichts zu besprechen.“ Als letztes Mittel schloss Kerner auch Streiks nicht aus, um den Konzern zum Einlenken zu bewegen. (mit dpa)