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Plötzlich Kleingarten-Chef

Torsten Tietze ist neuer Vorsitzender der Anlage Reiter. Es war eine Bauchentscheidung.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Die ersten zwei Nächte nach der Wahl habe er verdammt schlecht geschlafen, sagt Torsten Tietze. Und sich dabei selbst eine Frage gestellt, die er auch von vielen Freunden und Bekannten zu hören bekam: „Hast du dir das gut überlegt?“ Seit 18. März ist Torsten Tietze Vorsitzender des Kleingartenvereins Reiter. Geplant war das nicht. In der dramatischen Mitgliederversammlung hatte sich der 31-Jährige spontan zur Wahl gestellt. Dabei hatte der junge Riesaer selbst erst seit ein paar Tagen einen Garten in der Anlage. „Es war einfach eine Bauchentscheidung“, erzählt Tietze. „Ich habe mich geärgert, dass niemand das übernehmen wollte – auch nicht die Leute, die schon länger da waren.“

Erst im vergangenen Jahr hatten Torsten Tietze und seine Freundin nach einem Garten gesucht. „Vor allem für den Kleinen“, erzählt er. Mit einem Zweijährigen einfach nur die Straße hoch und runter, das sei doch nichts. Im Reiter wurden sie fündig. „Die Pächterin hatte keine Zeit mehr für den Garten und hat deshalb einen neuen Nachfolger gesucht“, erzählt Tietze. Seit 10. März ist die Parzelle offiziell das kleine Reich der vierköpfigen Familie. An einem blühenden Strauch neben der Hollywood-Schaukel summen die Bienen.

Im Schatten eines Kirschbaums steht ein kleiner Sandkasten in Form eines Bootes. Auch die kleine Laube ist zu einem guten Teil mit Kinderspielzeug gefüllt, vom Ball bis zum Bobbycar. Die Gestaltung des Gartens überlässt der frischgewählte Kleingarten-Chef in erster Linie seiner Lebensgefährtin. „Ich bin ihr auch sehr dankbar dafür.“ Er sei dann eher für die groben Arbeiten zuständig, erzählt er und schmunzelt. Auch der 13-jährige Sohn habe gleich zu Beginn ein eigenes Beet eingefordert. „Da ist man als Vater schon stolz.“

Ein Unbekannter ist der Riesaer in der Kleingartenanlage aber nicht. Seit Ende der 80er Jahre haben seine Eltern schon einen Garten im Reiter. Man kennt sich also – zumindest in der direkten Nachbarschaft. „Bei vielen bin ich schon als Zweijähriger durch den Garten gerannt.“ Tietze kann sich an viele schöne Sommer in der Anlage erinnern. Ganze Tage habe er im elterlichen Garten verbracht. „Damals gab es in der Nähe noch das Bad, den Spielplatz und den Fußballplatz der Marinekameradschaft.“

Und wenn der Zirkus direkt neben dem Gartengelände haltmachte, dann halfen die Kinder beim Aufbau der Zelte, erinnert sich der 31-Jährige. Eine der wenigen negativen Erinnerungen betrifft das Hochwasser. Auch die Laube seiner Eltern sei davon betroffen gewesen. „So hoch stand das Wasser in der Laube“, sagt er und hält die Hand etwa auf Brusthöhe in den Türrahmen. Die Lage außerhalb des Überschwemmungsgebiets war deshalb ein entscheidendes Kriterium bei der Gartensuche. Das andere war die Größe. Neben dem Gärtnern wolle er eben auch noch Zeit fürs Fußballspielen und fürs Fitnessstudio haben.

Und dann wäre da ja noch die neue Vorstandstätigkeit, die auch Zeit frisst. Dass er gewählt wurde, das musste er erst einmal sacken lassen, sagt Tietze. „Ich hab’ meine Freundin angerufen und ihr gesagt: Du, ich hab was ganz Blödes gemacht.“ Seine Lebensgefährtin habe erst einmal an einen dummen Scherz geglaubt.

Mittlerweile hat er damit begonnen, sich einzuarbeiten. Auch dafür wird noch einiges an Zeitaufwand erforderlich sein. Er könne viele Kleingärtner verstehen, die schon deshalb nicht für den Vorstand kandidieren konnten. „Ich bin da in der glücklichen Situation, dass ich flexible Arbeitszeiten habe“, sagt Tietze, der für eine Krankenkasse als Kundenberater im Außendienst arbeitet. Davon profitiert er auch noch in anderer Hinsicht, sagt er. Einfach, weil er viele Leute in Riesa kenne.

„Dieses Wissen, an wen man sich bei bestimmten Fragen wenden kann – das ist sicher ein Vorteil.“ Überhaupt habe schon so mancher Gratulant auch gleich seine Unterstützung angeboten. Und dann seien da ja noch drei andere Kleingärtner, die an jenem 18. März gewählt wurden. Der Vorstand, der bestehe ja zum Glück nicht nur aus seiner Person. Es gebe in jedem Fall die Chance, etwas zu bewegen. Wohlgemerkt, ohne das Rad ganz neu zu erfinden.

In welche Richtung sich die Kleingartenanlage unter dem neuen Vorstand entwickeln wird, das lässt Tietze noch offen. Er bittet die anderen Kleingärtner vor allem um Zeit, denn die vier Neuen müssen sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Im April stehen erst einmal Gespräche mit den Wegewarten an. Dann werde man weitersehen, verspricht er. Klingt gar nicht so sehr nach Bauchentscheidung. Sondern vielmehr: gut überlegt.