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Plötzlich Hausarzt

Zwei Internisten wagen sich heraus aus dem Klinik-Alltag. Sie starten in Pirna eine Praxis für Allgemeinmedizin.

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© Norbert Millauer

Von Christian Eissner

So entspannt wünscht man sich den Besuch beim Arzt. Eine freundliche Sprechstundenhilfe am Empfang, zwei lockere junge Ärzte, die ohne große Wartezeit ins helle Sprechzimmer bitten. Nicht nur die Presse hatte es an diesem Tag in der neuen Hausarztpraxis des Medizinischen Versorgungszentrums am Klinikum Sonnenstein so angenehm, auch die Patienten schienen zufrieden.

Bisher hat das Helios Klinikum Pirna kaum Werbung für die im Juli eröffnete Praxis gemacht. Dabei grenzt es schon an eine kleine Sensation, dass in der Region ein Allgemeinarzt neu zu praktizieren beginnt. In diesem Fall sind es zwei, die sich eine Stelle teilen. Denn um das Projekt Hausarzt überhaupt auf den Weg zu bringen, hat das Klinikum ein Stück weit in die Trickkiste greifen müssen.

Veit-Peter Veith und Stephan Große, beide Mitte 30, sind Fachärzte für Innere Medizin am Pirnaer Krankenhaus. Seit Juli bestimmt der Klinik-Alltag nur noch ihr halbes Arbeitsleben, die übrige Zeit ist jeder der beiden jetzt Hausarzt. Die zwei Klinikärzte haben eine Weile gebraucht, um sich mit der Idee anzufreunden, eine Praxis zu führen. Letztlich aber siegte der Wille zum Experiment, und sie scheinen zufrieden mit ihrer Entscheidung. „Wir planen auf jeden Fall längerfristig“, sagt Stephan Große.

Laut der aktuellen Bedarfsplanung des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Sachsen ist die Region Pirna mit Hausärzten unterversorgt. Sechs zusätzliche Allgemeinarzt-Praxen könnten hier eine Zulassung für Kassenpatienten bekommen. In der Region Dippoldiswalde sind noch vier Zulassungen frei, in Freital und Umgebung sogar elf. Nur im Gebiet Sebnitz/Neustadt ist die Praxis-Dichte rein rechnerisch so hoch, dass momentan keine neuen Hausarzt-Praxen für Kassenpatienten genehmigt würden.

Ein großer Teil des Landkreises kämpft also mit einem Problem, das derzeit ländliche Regionen überall in Deutschland beschäftigt: Es fehlt an Hausarzt-Nachwuchs. Der durchschnittliche praktizierende Allgemeinarzt im Landkreis ist 51 Jahre alt, einige Ärzte haben das Rentenalter längst erreicht, arbeiten aber weiter, weil sie keinen Nachfolger finden. Der Hausärzte-Mangel droht sich weiter zu verschärfen.

Der Grund ist so einfach wie schwerwiegend: Es ist für junge Mediziner nicht sehr attraktiv, Hausarzt zu werden. Gründet man eine Praxis, ist man nicht mehr nur Arzt, sondern plötzlich auch Unternehmer, man muss investieren und bindet sich für viele Jahre an einen Ort. Die meisten jungen Ärzte wollen aber flexibel bleiben und ziehen daher das Klinikleben vor. Zumal es darüber hinaus ein festes Gehalt und die Aussicht auf eine Karriere bietet.

Den Schritt in die Selbstständigkeit als Hausarzt hätten auch Veit-Peter Veith und Stephan Große noch nicht gewagt. Da ihre Praxis zum Medizinischen Versorgungszentrum an der Helios-Klinik gehört, bleiben sie Angestellte. So können sie Erfahrungen sammeln, ohne ein wirtschaftliches Risiko einzugehen.

Die Pirnaer Klinik springt mit der neuen Hausarzt-Praxis in eine Lücke, die immer schwerer zu füllen ist. Denn für die sechs freien Hausarzt-Zulassungen in der Pirnaer Region interessiert sich derzeit offenbar kein junger Mediziner. „Zulassungsanträge liegen uns nicht vor“, sagt Michael Rabe, Geschäftsführer der Bezirksgeschäftsstelle Dresden der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen.

Dabei unternimmt der Dachverband der niedergelassenen Ärzte viel, um junge Mediziner zu gewinnen. Die Kassenärztliche Vereinigung unterstützt sogar deutsche Studenten bei deren Medizinstudium im Ausland – verbunden mit der Verpflichtung, anschließend als niedergelassener Arzt in Sachsen zu arbeiten. Außerdem gibt es diverse Förderprogramme für Praxisgründungen auf dem Land. Doch auch Michael Rabe weiß, dass all das Grenzen hat. Man könne eben nicht alle Faktoren beeinflussen, um jungen Akademikern das Leben außerhalb der Großstädte schmackhaft zu machen, sagt er.

Die beiden jungen Sonnensteiner Ärzte Veit-Peter Veith und Stephan Große haben sich inzwischen eingearbeitet und Spaß gefunden am Job als Hausarzt. Sie planen, ab September die Öffnungszeiten ihrer Praxis zu erweitern. Denn eins wissen sie: So ruhig wie jetzt wird es nicht ewig bleiben. Dass es die neue Praxis gibt, hat sich auf dem Pirnaer Sonnenstein inzwischen herumgesprochen. Auch ohne Werbung.

Kontakt und Öffnungszeiten der Praxis für Allgemeinmedizin am Medizinischen Versorgungszentrum Pirna-Sonnenstein: www.sz-link.de/helios