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Plötzlich gelähmt

Eine junge Familie muss ihr Leben komplett umstellen. Dabei gibt es viel Unterstützung – auch von den Kollegen.

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© Dietmar Thomas

Von Sylvia Jentzsch

Hartha/Wallbach. Den 27. Oktober 2015 wird Familie Girbig aus Wallbach nicht vergessen. Mit einem Schlag veränderte sich ihr Leben. Familienvater Jörg Girbig konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen. Er wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Ein normaler Magen-Darm-Infekt löste das sogenannte Guillain-Barré-Syndrom aus. Das wurde recht schnell festgestellt. „Zunächst gingen die Ärzte in der Wermsdorfer Klinik davon aus, dass die Lähmung innerhalb von drei Monaten weg ist, später wurde ein halbes Jahr daraus und nun ist schon mehr als ein Jahr vergangen“, sagt Jörg Girbig. Ab Ende November 2015 wurde er im Neurologischen Rehabilitationszentrum Leipzig in Bennewitz behandelt.

Doch es geht aufwärts. Am Mittwoch ist er aus der Rehaklinik entlassen worden. Jörg Girbig sitzt noch im Rollstuhl, das Anfassen von Dingen ist etwas kompliziert und er wird von den Mitarbeitern von Pflege mit Herz unterstützt – aber er ist endlich wieder daheim. Die Familie ist glücklich. Schöner könnte die Vorweihnachtszeit nicht beginnen. „Die Kinder genießen es, mit ihrem Vater zu spielen. Oft hat er den Schoß voller Spielsachen“, sagte Sandra Girbig. Hinter ihr und ihrem Mann sowie ihren Töchtern Klara (3) und Ida (5) liegt eine schwierige Zeit. Doch wenn Girbigs davon sprechen, machen sie kein Drama daraus. Der Optimismus und die Lebensfreude sind förmlich zu spüren.

Als ihr Mann auf der Intensivstation lag, fuhr Sandra Girbig täglich nach der Arbeit in einer Roßweiner Zahnarztpraxis nach Wermsdorf. Die Betreuung der Kinder übernahmen Oma und Opa Weidelt. „Große Unterstützung bekam ich von meinem Chef und meinem Team. Ich musste nur noch einen Spätdienst übernehmen“, so Sandra Girbig. Ihren Kindern sagte sie, dass der Vater sehr krank sei und deshalb lange im Krankenhaus bleiben müsse. „Die Kinder haben viel gefragt und ich war immer ehrlich zu ihnen“, so die Wallbacherin. Die Kinder hätten eine ganze Mappe mit Bildern gezeichnet und die Kindergärtnerin von Ida habe mit ihr sogar Briefe an den Vater geschrieben.

In der Reha durften dann die Kinder ihren Vater am Wochenende besuchen. Weihnachten rückte näher. Noch immer konnte sich Jörg Girbig nicht bewegen. In Absprache mit den Therapeuten packte Sandra Girbig einen Weihnachtsbaum samt Kugeln und Lichterkette ins Auto und ein Therapieraum wurde weihnachtlich geschmückt. So konnten die Girbigs mit Bruder Heiko Weidelt und seinem Sohn ein Weihnachten in Familie feiern. Das war nicht die einzige Überraschung, die Jörg Girbig erleben durfte.

Seine Frau singt bei den Noten-Chaoten und war der Techniker. Die Sänger gaben am 3. Januar für ihn ein kleines Konzert. „Überhaupt sind wir von den Noten-Chaoten großzügig unterstützt worden“, so Sandra Girbig. Doch die Sänger sind nicht die einzigen, die der Familie zur Seite standen und weiterhin stehen. „Ohne meinen Bruder und seine Frau sowie meine Eltern hätten wir das nicht geschafft“, sagte Sandra Girbig. Und noch mehr Leute wollten etwas für Jörg Girbig und seine Familie tun. Erst waren es vor allem die Kollegen der Logistikabteilung der Firma Pietsch Haustechnik aus Ostrau. „Immer, wenn wir eine Auslieferung in diese Gegend hatten, besuchte der Fahrer Herrn Girbig“, so Claudia Piefel, Leiterin Logistik. Auch sie und Prokuristin Christa Müller gehörten zu den Besuchern.

Bis Februar gab es keine sichtbaren Erfolge der Therapie. „Ich wurde gefragt, wie es weitergehen soll, falls die Kasse die Reha nicht weiter unterstützt. Entweder sollte mein Mann ins Pflegeheim oder zu Hause gepflegt werden“, sagte Sandra Girbig. Für sie habe von Anfang an festgestanden, dass ihr Mann nicht ins Pflegeheim soll. Also machte sie sich mit Fachleuten Gedanken, wie die Pflege daheim realisiert werden kann, wo das Pflegebett stehen könnte und wie Jörg Girbig in die obere Etage des Hauses kommen soll.

Wer die junge Frau kennt, weiß, dass sie die Ärmel hochkrempeln kann. Neben Besuchen, den Kindern und der Arbeit managte sie ab März noch die Umbaumaßnahmen. Auch hier packte ihr Bruder wieder mit an. Fast alles wurde zur Zufriedenheit gelöst. Nur das Problem mit dem Überwinden des Stockwerks steht noch. Ein Treppenlift kann wegen der räumlichen Gegebenheiten nicht eingebaut werden. Was möglich ist, ist der Anbau eines Balkons, von dem aus eine entsprechende Treppe nach unten führt.

Neben der Hilfe von Bekannten und Freunden war und ist die Selbsthilfegruppe für die Bewältigung der Probleme sehr wichtig. „Es ist gut, wenn man sich mit Leuten unterhalten und Erfahrungen austauschen kann, die selbst vom Guillain-Barré-Syndrom betroffen sind. Die Gespräche haben mir und meinem Mann geholfen“, so Sandra Girbig.

Helfen wird der Familie auch die finanzielle Unterstützung der Kollegen von Pietsch Haustechnik aus ganz Sachsen. „Zuerst haben wir einen Aufruf in der Logistikabteilung gestartet. Weil das so gut angekommen war, dachten wir, dass wir einen Schritt weiter gehen wollen“, sagte Claudia Piefel. Ein Mail erreichte alle 180 Kollegen in ganz Sachsen. Die Inhaber von Pietsch Haustechnik verdoppelten den Betrag und rundeten auf.

„Sicher gibt es jetzt viele Dinge, die zusätzlich angeschafft werden müssen. Außerdem haben sie Tausende Kilometer zwischen Wallbach, Krankenhaus und Rehaklinik zurückgelegt, die hohe Spritkosten verursachten“, sagte Claudia Piefel. Sie bewundert die Geduld und die Kraft, mit der sich Jörg und Sandra Girbig der Herausforderung stellen, die die Auto-Immunkrankheit von ihnen fordert. Den Optimismus und das Lächeln habe Jörg Girbig nie verloren. Ein paar Tränen der Rührung gab es trotzdem, als Christa Müller und Claudia Piefel ergreifende Worte sprachen und das Geschenk übergaben.