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Plötzlich Dolmetscher

Marlis und Bernd Eulitz bringen Flüchtlingen Deutsch bei. Dafür musste das Paar aber erst einmal seine Russischkenntnisse auffrischen.

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© Dietmar Thomas

Von Cathrin Reichelt

Ostrau. Rosa sitzt auf einem Stuhl vor der Tafel. Pantomimisch öffnet Bernd Eulitz die imaginäre Tür eines Zugabteils und fragt die junge Frau, ob er neben ihr Platz nehmen darf. Locker beginnt er mit ihr zu plaudern. Er fragt sie nach ihrem Namen, dem Alter, der Adresse, dem Mann und den Kindern. Rosa antwortet, fast ohne zu zögern – auf Deutsch. Vor zwei Monaten konnte sie davon noch kein einziges Wort. Denn ihre Heimatsprache ist Russisch.

Rosa ist eine von sieben erwachsenen Flüchtlingen aus Tschetschenien und Dagestan, um die sich Marlis und Bernd Eulitz kümmern. Kennen gelernt haben sich das Lehrerehepaar und die Asylbewerber eher zufällig. Zu den vier Familien gehören auch 16 Kinder im Alter zwischen zwei und 14 Jahren. Als sie in das sogenannte „U“ in Ostrau zogen, stellte ihnen ein Ostrauer Unternehmen Möbel zur Verfügung. „Der Bürgermeister bat uns, zu dolmetschen“, sagt Bernd Eulitz. Denn er und seine Frau waren früher Russischlehrer.

Seitdem vergeht kein Tag, an dem die beiden Obersteinaer keinen Kontakt zu den Familien haben. Dafür mussten sie ihre eigenen Russischkenntnisse aber erst einmal wieder tief aus dem Gedächtnis ausgraben, wie Marlis Eulitz erzählt. Dass sie die Sprache regelmäßig vor Schülern gesprochen haben, ist 20 bis 25 Jahre her. Und die 72-Jährige und der 75-Jährige mussten dazulernen: Begriffe aus der Verwaltung und der Medizin. Sie begleiten die Frauen und Männer zu Fachärzten, besorgen Termine fürs EKG oder MRT und helfen bei Behördengängen. „Auch das gehört zur Integration“, meint Marlis Eulitz. Ihr Mann Bernd ist schon zwei Mal mitten in der Nacht von Obersteina nach Ostrau gefahren, weil sich eine Mutter mit ihren fünf Kindern ausgesperrt hatte. „Beim ersten Mal haben wir es allein hinbekommen. Beim zweiten Mal mussten wir den Schlüsseldienst holen“, erzählt er. Familie Eulitz hilft in fast allen Lebenslagen.

Grundlage, damit die Familien aus Tschetschenien und Dagestan möglichst bald selbstständig handeln können, ist die deutsche Sprache. Deshalb besuchen nicht nur die Jüngeren Kindereinrichtungen und Schulen, auch die Erwachsenen setzen sich seit Oktober zweimal pro Woche auf die Schulbank. „Sie sind sehr lernfähig und wollen das auch“, sagt Bernd Eulitz. Dabei mussten die Tschetschenen zuerst die lateinischen Buchstaben lernen – wie ein Erstklässler. Inzwischen haben sie sich mit den Angaben zur Person beschäftigt. „Dabei erklären wir ihnen die verschiedenen Ausdrucksformen“, so Bernd Eulitz. So lernen die Frauen und Männer nicht nur die Frage: Wie heißt du?, sondern auch Wie ist Dein Name? und Wer bist Du?, nennt er ein Beispiel. Auch einige Zahlen können die Flüchtlinge schon. In der vergangenen Stunde ging es um die Körperteile.

Für jeden Schüler hat Familie Eulitz einen Hefter angelegt. In dem die Arbeitsblätter mit den einzelnen Themen abgeheftet werden können. Die Blätter entwerfen die Russischlehrer selbst. Das Material, das von offizieller Seite angeboten wird, halten nicht nur sie für ungeeignet. „Wir haben auch für jeden ein Wörterbuch besorgt“, so Marlis Eulitz. Das ist aber nur ein Nachschlagewerk. „Wir wollen die Familien so fit machen, dass sie sich im Alltag verständigen können.“ Mehr sei nicht möglich. Dafür sei die deutsche Sprache zu facettenreich. Anfangs haben die Lehrer ihren Schülern auch Hausaufgaben aufgegeben, aber das hat nicht funktioniert. Deshalb werde jetzt zu Beginn jedes Unterrichts der Stoff der vorangegangenen Stunde noch intensiver wiederholt.

Parallel zur Sprache wollen die Lehrer auch die deutschen Bräuche vermitteln. Deshalb werde in der kommenden Woche der Tisch gedeckt, wenn eine der Frauen Geburtstag hat. Auch das Weihnachtsfest spielt bald eine Rolle. „Wir werden ihnen auch erklären, dass es bereits zwei bis drei Tage vor Silvester knallen kann und die Böller keinen Krieg bedeuten, sondern Ausdruck von Freude sind“, so Bernd Eulitz.