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Pirnas Körperwelten

Der diesjährige Skulpturensommer ist in dieser Form bislang einmalig – und schafft den Sprung aus dem Nischendasein.

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© Kristin Richter

Von Thomas Möckel

Pirna. Die junge Frau scheint fast ein wenig zu frösteln. Ihre schmalen Arme sind vor der Brust gekreuzt. Der Kopf ist zur Seite geneigt, den Blick richtet sie schüchtern, fast verlegen, gen Boden, der Körper ist unverhüllt. Erst wenn man sie näher betrachtet, lässt sich erkennen, dass sie sich gerade etwas überzieht. Wer sie ist, wie sie heißt, bleibt geheim, in der Erinnerung bleibt ihre zarte Gestalt haften, gegossen in Bronze, die Skulptur trägt den Namen „Christine, Hemd überstreifend“. Geformt hat diesen wohlproportionierten Körper Gerhard Marcks, einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer, 1980 hat der Künstler das Antlitz der Jugend auf Dauer verewigt.

Frau mit Schatten: Gerhard Marcks schuf die Skulptur „Venus, sich die Haare aufbindend“ im Jahr 1960.
Frau mit Schatten: Gerhard Marcks schuf die Skulptur „Venus, sich die Haare aufbindend“ im Jahr 1960. © Kristin Richter
Christian Höpfner verewigte seinen Freund Gerhard Marcks im Jahr 1980 als Bronze-Porträt.
Christian Höpfner verewigte seinen Freund Gerhard Marcks im Jahr 1980 als Bronze-Porträt. © Kristin Richter
Das Porträt „Atsuko Hayase“ schuf der Bildhauer Christian Höpfner. Die Bronzeskulptur entstand 1980.
Das Porträt „Atsuko Hayase“ schuf der Bildhauer Christian Höpfner. Die Bronzeskulptur entstand 1980. © Kristin Richter
Gerhard Marcks schuf 1980 mit „Christine, Hemd überstreifend“ eines seiner bildhauerischen Meisterwerke.
Gerhard Marcks schuf 1980 mit „Christine, Hemd überstreifend“ eines seiner bildhauerischen Meisterwerke. © Kristin Richter

Die zarte Schöne ist Teil einer beidruckenden Schau, die derzeit in den Bastionen der Festung Sonnenstein zu sehen ist. Für den diesjährigen Pirnaer Skulpturensommer reiht sich eine figürliche Plastik an die andere, die Räume in den früheren Wehranlagen lassen ihnen aber genügend Raum, um auf den Betrachter zu wirken. Unterschiedlich einfallendes Licht lässt die Skulpturen ungemein dreidimensional wirken, eine raffinierte Anordnung der Werke lässt aus verschiedenen Blickwinkeln immer neue Blickbeziehungen entstehen.

Und das Besondere: Eine Ausstellung in dieser Form hat es noch nicht gegeben. „Uns ist da schon etwas Einzigartiges gelungen“, sagt Kuratorin Christiane Stoebe.

Die Ausstellung im einstigen Verteidigungsbollwerk vereint mehrere Künstlergenerationen, deren Werke in dieser Formation so nie zusammen zu sehen waren. Mit dem Gerhard-Marcks-Haus in Bremen, den Kunstsammlungen Chemnitz und dem Georg-Kolbe-Museum Berlin gelang es der Kuratorin und der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna (KTP), drei bedeutende Museen für die Ausstellung zu gewinnen. Hinzu kommen viele private Leihgaben. KTP-Chef Christian Schmidt-Doll pries die künstlerische Liaison schon vorab als Schau von nationalem Rang.

Den Aufstieg in die Bildhauer-Bundesliga verdankt Pirna in erster Linie der Auswahl jener Künstler, deren Werke zu sehen sind. Der Skulpturensommer zeigt Plastiken von Richard Scheibe (geboren 1879), Gerhard Marcks (geboren 1889), Waldemar Grzimek (geboren 1918), Christian Höpfner (geboren 1939) und Marianne Dietz (geboren 1957). Interessant dabei: Sie sind alle auf eine besondere Art miteinander verbandelt – als Lehrer, Schüler oder Vorbild. Die Schau trägt daher auch den Titel „Wahlverwandtschaft“, weil sich die Wege der Bildhauer immer wieder kreuzten, auch wenn sie verschiedenen Generationen angehören.

Die mit vielen Superlativen bedachte Schau dürfte durchaus das Zeug zum Klassiker haben, auf alle Fälle könnte der Skulpturensommer damit endgültig den Sprung aus dem Nischendasein schaffen. Belegen lässt sich das neben dem künstlerischen Anspruch mit dem gesteigerten Interesse an dieser Art Kunstgenuss. Wollten im vergangenen Jahr gerade einmal 1 500 Gäste den Skulpturensommer sehen, verbucht die KTP in diesem Jahr starken Zuwachs. „Bis jetzt sind es schon deutlich mehr Besucher als gesamten Vorjahreszeitraum“, sagt Schmidt-Doll. Konkrete Zahlen will er aber erst nach Abschluss des Skulpturensommers präsentieren. Die Schau läuft noch bis zum 25. September. Laut dem KTP-Chef seien bislang auch die Führungen gut angenommen worden und die Wandelkonzerte gut besucht gewesen.

In seiner vierten Auflage betrachtet Schmidt-Doll den Skulpturensommer als etabliert. „Die Schau wird jetzt ganz anders wahrgenommen als früher“, sagt er. Das zeigt schon die Zahl jener, die extra für die Ausstellung in den Bastionen anreisen, beispielsweise aus Hamburg, Bremen und Berlin.

Gleichwohl sieht der KTP-Chef in dem guten Skulpturensommer erst den Beginn einer Entwicklung. Aus seiner Sicht müsse forciert werden, die Bastionen noch präsenter zu machen. „Leider finden viele den Weg nicht dorthin, obwohl das so ein besonderer Ort ist“, sagt er. Verstärkte Werbung, auch vonseiten der Stadt, soll helfen, diesen licht- und luftdurchfluteten Ausstellungsort noch stärker ins Bewusstsein zu rücken – vor allem in das der Pirnaer.

Gelingen könnte dies auch mit dem Skulpturensommer 2017, der vom 7. Mai bis 30. September stattfinden wird. Die Schau im kommenden Jahr soll anlässlich ihres 150. Geburtstages ganz im Zeichen der Bildhauerin Käthe Kollwitz stehen. Pirna kooperiert dabei mit seiner tschechischen Partnerstadt, eine Ausstellung wird im Deciner Schlosspark, die anderen hier zu sehen sein.

Die Exponate des diesjährigen Skulpturensommers können immer mittwochs bis sonntags von 14 bis 17 Uhr in den Bastionen besichtigt werden. Der Eintritt kostet drei, ermäßigt zwei Euro. Kinder und Schüler zahlen nichts.