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Pionier bei den Gigalinern

Auch nach der Regelzulassung ebbt die Kritik am Gigaliner nicht ab. Sachsen fühlt sich vom Bundeserlass überfahren.

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© Ronald Bonß

Von Michael Rothe

Europas größte Frachtbörse Timocom hat künftig ein lukratives Angebot mehr im Portfolio: Fuhren per Lang-Lkw. Im fünfjährigen Testbetrieb noch kein Thema, soll der um bis zu 50 Prozent zusätzliche Laderaum nach der jüngsten Regelzulassung jener Gigaliner mit ins Portfolio, heißt es vom Unternehmen bei Düsseldorf.

Die Planungen liefen, auch wenn es „keine vermehrten Nachfragen seitens unserer Kunden im deutschen Sales Department“ gegeben habe. Firmensprecher Marcel Frings empfindet „den Lang-Lkw als gute Evolution im Transportsektor“. Seit 1997 am Markt, mauserte sich die Erkrather Timocom Soft- und Hardware GmbH zu einer Transportplattform, auf der täglich bis zu eine halbe Million Fracht- und Laderaumangebote eingestellt werden – ein Logistik-netzwerk mit über 36 000 Unternehmen. Zahlreiche Nutzer sitzen in Sachsen.

Einer der Anbieter ist Weck+Poller in Zwickau, eine Gruppe aus sechs Firmen an acht Standorten und mit rund 850 Mitarbeitern – darunter 590 Brummi-Fahrer – Sachsens größte Spedition. Das Unternehmen zählt zu den Pionieren bei den Lang-Lastern und transportiert mit mittlerweile fünf Gigalinern Autoteile für Daimler von Zwickau nach Bremen – „täglich 1 000 Kilometer, zweischichtig und unfallfrei“, wie Fuhrparkleiter Jörg Schmetzer betont.

Er kann die Hysterie der Kritiker nicht verstehen. Auch Lang-Lkw dürfen nur 40 Tonnen, im kombinierten Verkehr 44 Tonnen, wiegen. Mit im Schnitt 28 Litern auf 100 Kilometern brauchten die Riesen nur einen Liter mehr Sprit als herkömmliche Laster und das bei deutlich mehr Ladevolumen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nennt weitere Vorzüge: Zwei Lang-Lkw-Fahrten ersetzten drei Fahrten normaler Laster, kein erhöhter Erhaltungsaufwand für die Infrastruktur, keine Verlagerungseffekte von der Schiene auf die Straße. All das kannte sein Amtsvorgänger Peter Ramsauer (CSU) schon vor fünf Jahren. Nach dem Test sind für Dobrindt die Vorzüge erwiesen. Ende Dezember verordnete er den „unbefristeten streckenbezogenen Regelbetrieb“ auf fast 11 600 Kilometern Straße – gut der Hälfte des deutschen Autobahnnetzes und etwa einem Prozent des sonstigen Straßenbestandes.

In Sachsen sind fast alle Autobahnabschnitte für Lang-Lkw freigegeben, dazu knapp 60 Zubringer und andere Straßen. Nicht dabei sind das letzte Stück der A4 Görlitz–polnische Grenze und auf der A17 die Strecke von Pirna zur tschechischen Grenze. Zugelassene Sonderziele sind die Güterverkehrszentren Dresden-Friedrichstadt und Leipzig-Radefeld.

Der Probebetrieb war 2012 in sieben Bundesländern gestartet. Damals hatten die Initiatoren 400 Megatrucks prophezeit. Selbst zu Beginn des Regelbetriebs ist es nicht einmal die Hälfte. Die Bundesanstalt für Straßenwesen weist auf ihrer Website 161 Lang-Lkw von 60 Unternehmen aus. In Sachsen sind bislang zwölf Firmen auf 38 Streckenabschnitten unterwegs, heißt es vom dortigen Wirtschaftsministerium. Anfangs hatten sich fast alle von SPD und Grünen geführten Bundesländer verweigert. Doch die Front bröckelte, ein Quartett blieb. Da sich künftig auch Rheinland-Pfalz und das Saarland beteiligen und Sachsen-Anhalt Fahrten über seine Autobahnen duldet, bleibt nur Berlin als Ignorant übrig.

Auch in Sachsen, einem der wichtigsten Transitländer, gab es einen Sinneswandel. Ex-Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD) hatte selbst Ausnahmegenehmigungen ausgeschlossen. Schon ein Lkw mit nur zehn Tonnen verursache den gleichen Schaden wie 160 000 Pkw, hieß es 2007. Doch Nachfolger Sven Morlok (FDP) hatte die Bedenken vom Tisch gewischt und die Teilnahme am Feldversuch durchgesetzt. Dessen politischer Erbe Martin Dulig (SPD) macht zwar aus seiner Ablehnung kein Hehl, ist aber an die Entscheidung gebunden. Partei- und Landtagskollege Jörg Vieweg, auch Funktionär im Automobilclub ACE, sieht Sachsen „in einer Sackgasse“.

Schon lange vor der Regelzulassung zum 1. Januar hatte es Streit in der Bundesregierung gegeben, weil Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Entscheidung pro Lang-Lkw schon im Sommer 2015 vorweggenommen und im Herbst 2016 im Alleingang verkündet hatte, ohne sich mit dem Umweltministerium abzustimmen. Laut Verkehrsministerium war das Umweltressort einbezogen und „mit der Ausnahmeverordnung grundsätzlich einverstanden“, hieß es auf SZ-Anfrage. Auch seien die Länder angehört worden, es habe „keine grundsätzlichen Bedenken“ gegeben.

Das sieht Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister anders. Dobrindt habe erneut Fakten geschaffen, kritisiert Martin Dulig. „Die Interessen der Länder fanden in der Vorgehensweise des Bundes keinerlei Berücksichtigung.“ Tatsächlich sei der Freistaat Ende November um Stellungnahme gebeten worden. Doch weder seine Erklärung noch die der anderen Länder „zur zunächst vorzunehmenden Auswertung des Versuchs sowie einer angemessenen weiteren Beteiligung der Länder“ seien berücksichtigt worden. Dabei habe er „die Vorgehensweise kritisch bewertet und hinterfragt und eine Verlängerung des Feldversuches angeregt“. Der Abschlussbericht zum Feldversuch sei seinem Haus nicht mal offiziell übermittelt worden, schimpft Dulig.

Für den sächsischen Bundestagsabgeordneten Stephan Kühn (Bündnis 90/Die Grünen) bestätigt jenes Papier der Bundesanstalt für Straßenwesen die Sicherheitsrisiken der Riesenlaster. „Lang-Lkw passen weder in Nothaltebuchten der längeren Straßentunnel noch in die Schrägparkplätze auf Autobahnrastplätzen“, so der verkehrspolitische Sprecher seiner Fraktion. Die Allianz pro Schiene, ein Bündnis von 23 Non-Profit-Organisationen mit gut 2,5 Millionen Mitgliedern, prüft sogar eine Klage gegen die aus ihrer Sicht „Nacht-und-Nebel-Aktion“. „Lastwagen sind schon jetzt an jedem fünften tödlichen Unfall beteiligt, und sie sollen nach der Regelzulassung noch länger werden“, heißt es.

Sachsens Wirtschaftsministerium will diesen Prozess nicht befördern. „Erweiterungen des Streckennetzes schließen wir aus“, heißt es. Auch sei „kein weiterer Ausbau zusätzlicher Infrastruktur vorgesehen“. Anpassungen gingen nicht auf Kosten des Landes. Der Bund sei in der Pflicht.