Merken

Pilot lässt Dresden-Passagiere stehen

Mathias Schirmer war wie mehr als 70 andere Reisende bereits am Flieger, als dieser losrollte. Die Airline spricht von „keiner großen Sache“.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa/dpaweb

Sandro Rahrisch

Halb fünf am Samstagmorgen hat Mathias Schirmer endlich wieder Dresdner Boden unter den Füßen. Eine fast zwölfstündige Reise liegt hinter dem Geschäftsmann, der am Freitagabend nur von Köln nach Dresden fliegen wollte. Die Sonne ist inzwischen wieder aufgegangen, als er vorm Klotzscher Flughafen völlig übermüdet aus einem Taxi steigt.

Die Odyssee beginnt, als ihm das Bodenpersonal am Kölner Airport mitteilt, dass sein Eurowings-Flug gestrichen wird. Grund: Die Maschine hängt noch in Italien fest - Fluglotsenstreik. „Da kann die Fluggesellschaft nichts dafür, das kann passieren“, sagt Schirmer, der als Vertriebsleiter beim Edelstahlmöbel-Hersteller KEK arbeitet, oft im Flugzeug unterwegs ist und zu diesem Zeitpunkt noch Verständnis für die Lage aufbringen kann. „Wir sind dann mit dem Taxi nach Düsseldorf gefahren worden. Dort sollte um 19.05 Uhr ein Flieger nach Dresden gehen.“ Aber auch diesen soll er nicht bekommen.

Der Abflug wird verschoben, erst um eine Stunde, dann um zwei Stunden. „Die Passagiere sind immer unruhiger geworden.“ Kurz nach 21 Uhr wird der Flug dann aufgerufen. Rund 40 Fluggäste füllen den ersten Bus, der sich auf den Weg zum Flugzeug macht. Schirmer muss zusammen mit über 70 anderen Passagieren auf den zweiten warten. Im Bus erlebt er dann die Szene, die ihm so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen wird. „Ich stand beim Fahrer, sah die Maschine schon aus dem Fenster und habe mich gewundert, dass keine Treppen mehr an den Türen stehen. Plötzlich rollte das Flugzeug los.“

Schirmer denkt zunächst, dass die Piloten einen Fehler gemacht haben. Nicht wussten, dass noch ein zweiter Schwung Passagiere kommt. „Der Busfahrer war genauso irritiert wie ich, hat sofort Kontakt zum Bodenpersonal aufgenommen.“ Aber die Maschine rollt weiter in Richtung Startbahn. Und hebt ab - samt Gepäck. Der Bus kehrt dagegen zum Terminal zurück, mit vielen wütenden Fluggästen an Bord. „Am Schalter stand noch eine Dame, über die dann alles hereinbrach. Sie tat mir leid.“ Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass es zu Handgreiflichkeiten zwischen Passagieren kommt, berichtet Schirmer. Das Flughafenpersonal alarmiert die Bundespolizei. Vier Beamte rücken mit Schlagstöcken und Waffen an ihren Uniform an. Sie können die Lage beruhigen. Ein Wunder, nachdem sie vom Bodenpersonal erfahren, was der Kapitän gesagt haben soll: „Ich habe keine Lust in Köln zu stranden, ich mach‘ jetzt los.“

Der übliche Vorgang nach einem gestrichenen Flug ist es, dass die Passagiere auf einen späteren umgebucht werden. Also den am Samstagmorgen. „Da stellte sich dann heraus, dass nicht alle in die nächste Maschine hineinpassen.“ Mathias Schirmer bekommt von der Airline Gutscheine, mit denen er sich ein Taxi nach Dresden nehmen kann.

Eine Eurowings-Sprecherin bezeichnet den Vorfall gegenüber der SZ am Samstag als „keine große Sache“ und spricht von äußeren Umständen. Der Köln-Flug musste wegen des Lotsenstreiks abgesagt werden, der Düsseldorf-Flug habe sich wegen des Wetters verspätet. Der Kapitän habe sich entscheiden müssen, sofort zu starten oder noch die restlichen Passagiere einsteigen zu lassen. Das Problem: Ab 21.50 Uhr dürfen wegen der Nachtflugbeschränkung eigentlich keine Flugzeuge mehr starten. Und landen dürfen verspätete Linienflieger in Düsseldorf bis spätestens 23.30 Uhr. Während für den Start noch 30 Minuten Luft gewesen wären, wäre der Flieger möglicherweise nicht mehr rechtzeitig aus Dresden zurückgekommen und hätte nach Köln ausweichen müssen. In Absprache mit der Eurowings-Verkehrszentrale sei das Boarding dann vorzeitig abgebrochen worden, so die Sprecherin weiter. Die Fluggesellschaft habe einen Bus nach Dresden organisiert.

Inzwischen kann Mathias Schirmer über die Strapaze lachen, sagt er am Samstagmittag, nachdem er sich ausgeschlafen hat. Andere Passagiere reagieren nicht so gelassen. „Ein echt starkes Stück, was ihr euch da geleistet habt“, schreibt ein Dresdner auf die Eurowings-Facebook-Seite. Ob der Flug noch rechtliche Folgen hat, ist unklar. Denn eigentlich dürfen Fluggesellschaften nicht das Gepäck von Passagieren befördern, die nicht an Bord sind. Eine Sicherheitsmaßnahme, nachdem Attentäter 1988 einen Koffer samt Bombe für einen Pan-American-Flug aufgegeben hatten, selbst aber nicht in das Flugzeug stiegen.