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Perfektion aus Beton

Das Architektenduo LeinertLorenz steht für klare Strukturen, die bei modernen Bauten aber oft verloren gehen.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Die Holzfenster mit dem Aluminiumrahmen sind dreifach verglast, die Wände mit einer soliden Innendämmung. „Das ist auch heute noch State of the Art“, sagt Architekt Falk Leinert und klopft mit der Faust gegen die Bürowand. Es schwingt Anerkennung mit für die Leistung der Architekten, die das Bürogebäude in den 1980er-Jahren in der Dresdner Tannenstraße geplant, gebaut und schließlich selbst genutzt haben. Hier, zwischen der Dresdner Neustadt und der Heide, ist das Architekturbüro von Falk Leinert und Dirk Lorenz zu Hause. Sechs Mitarbeiter, alle durchweg studierte Architekten, sitzen hier, umgeben von der schlichten Eleganz der betongrauen Wände. Im Besprechungszimmer zieren mannhohe Skizzen die Wände. Sie zeigen die Entwürfe für das Landratsamt in Görlitz. „Wir haben den Zuschlag leider nicht bekommen“, sagt Falk Leinert nüchtern.

Drei Monate Arbeit umsonst? Auf den ersten Blick vielleicht. Doch das Architektenduo Leinert und Lorenz gewinnt jedem Projekt etwas ab, am meisten natürlich den vollendeten, wie dem Mehrfamilienhaus in der Dresdner Gret-Palucca-Straße. Ein Siebengeschosser in der Dresdner Altstadt, der mit seiner geradlinigen Fassadengestaltung überzeugt. 2017 erhielt das Architektenbüro dafür den Betonaward, quasi ein Ritterschlag für die kreativen Bauplaner und ein Aufstieg in die Champions League in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

„Ein Architekt braucht eine Haltung“, sagt Dirk Lorenz und er fügt an: „Die unsrige zeichnet sich durch Klarheit und Konsequenz aus.“ Wer bei den Entwürfen der beiden Dresdner Verspieltheit erwartet, der wird enttäuscht. Wer Detailverliebtheit und Experimentierfreude sucht, der ist richtig. Falk Leinert zeigt auf den mausgrauen, leicht glänzenden Fußboden im Architektenbüro. Er schluckt Geräusche, ist extrem pflegeleicht und einfärbbar. „Eine Eigenentwicklung von uns“, so Leinert. Sie ist preiswert und wird von Bauherrn, die eine Sachlichkeit bevorzugen, gern genutzt, auch weil der deutlich preiswerter ist als Beton-Estrich mit vergleichbaren Eigenschaften.

LeinertLorenz experimentieren gern. Sie entwerfen Holzlamellenfenster als Sichtschutz oder funktionieren alte Dachbalken zu Sitzbänken um. Sie schaffen Unikate, auch mit dem Sichtbeton, der in der Gret-Palucca-Straße verarbeitet wurde und die Jury überzeugt hat.

Lange galt Beton als schlicht, grau, unfertig. Nun wird das Material entdeckt. „Vielleicht auch als Gegenbewegung zu den Panelen und Verkleidungen, die in den 1990er-Jahren massenweise verbaut wurden“, so Falk Leinert. Heute wird nicht mehr versteckt, sondern offen präsentiert. Das schafft neue Herausforderungen, denn Sichtbeton ist alles andere, als leicht zu verarbeiten, ganz unabhängig von dem Gewicht der oft großen Einzelteile. Die Oberflächen verzeihen keine Fehler bei der Einschaltung. Eine Falte bleibt eine Falte und eine Blase eine Blase. Da lässt sich nichts übermalen oder retuschieren. Das fordert die bauausführenden Firmen, aber auch die Architekten, die den Bau idealerweise vom ersten Pinselstrich bis zur Schlüsselübergabe mit begleiten.

Doch genau da beginnedas Problem, sagt Falk Leinert. Es gebe heute kaum noch Architekten, die den gesamten Bauprozess durchleben. Mit dem Ziel, Kosten zu sparen, minimierten Bauherrn und Generalauftragnehmer die Architektenleistung immer weiter. Das hat Folgen, sagt Dirk Lorenz. „Viele Bauprojekte fangen mit einer klaren Struktur an, die dann aber während des Bauprozesses nicht mehr bis zum Ende durchgehalten wird und immer weiter verwässert“, so der Architekt. Trotz aufwändigen Computerprogrammen und Animationen, viele Prozesse lassen sich auf dem Papier nur erahnen. Entschieden werden müssen sie in der Realität, auf den Baustellen.

Falk Leinert und Dirk Lorenz kennen sich schon seit Schultagen. Die beiden, Jahrgang 1973 und 1974, besuchten den gleichen Bioleistungskurs während ihrer Abiturzeit in den Nachwendejahren. Doch bevor die beiden das Studium begannen, hat der eine Metallbau und der andere Tischler gelernt. Schon während der Unizeit arbeiteten sie an ersten Projekten, waren dann getrennt für verschiedene große Architekturbüros auch international tätig. „Das war eine schöne und wichtige Lehrzeit, aber nichts, was uns auf Dauer glücklich gemacht hätte“, so Leinert. Die Dresdner sehen sich als Generalisten, nicht als Zeichner, Planer oder Plotter, zu solchen Spezialisierungen ist man in den ganz großen Büros oft gezwungen. „Da macht jeder nur das, was er besonders gut kann“, so Falk Leinert.

Ginge es nach dem Dresdner Duo, würde man sogar noch die Inneneinrichtung der Häuser übernehmen. Das allerdings gestattet, aus Kostengründen, längst nicht jeder Bauherr. Immerhin, bei der Planung der Rabatten, Gehölze und Sträucher sind die Kunden schon williger, fachkundigen Rat anzunehmen. „Da entscheidet nicht nur die Wuchshöhe, sondern auch die Laubfärbung“, sagt Falk Leinert, und man erahnt, hier spricht der Perfektionist.

Das Streben nach dem Perfekten wurde belohnt. 2017 gab es für das Architektenduo auch den ersten Preis im sächsischen Landeswettbewerb „Ländliches Bauen“. Im ostsächsischen Struppen haben die Architekten ein ehemaliges Wohnstallhaus vor dem Abriss bewahrt. Das Obergeschoss war völlig marode, die Außenwände im Erdgeschoss mussten komplett neu aufgestellt werden, um dann die Dachlast zu übernehmen. Balken, die noch zu retten waren, wurden von einem Tischler aufgearbeitet und in eine Sitzbank umfunktioniert. Das Neue wagen, ohne das Alte zu zerstören, so das Motto von Leinert und Lorenz. Dabei geht es ihnen nicht nur um einzelne Projekte, sondern um die Architektur allgemein als Ausdrucksform einer Gesellschaft. Sie sorgen sich um die Nachhaltigkeit, aber auch um die Beliebigkeit. Bauen und Gestalten sei ein fortwährendes Ringen um die beste Lösung. Aber dieses Ringen ist anstrengend und heute leider nicht mehr selbstverständlich, so ihr Appell.