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„Pegida ist nicht ausländerfeindlich“

Mit Kathrin Oertel saß bei Günther Jauch erstmals eine Vertreterin von Pegida in einer Talkshow - und das ziemlich reglos.

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© dpa

Von Andrea Schawe

Berlin. Am Ende gab es ein Schulterklopfen. Als die Kameras aus sind, streicht Alexander Gauland seiner Sitznachbarin Kathrin Oertel väterlich über die Schulter. „Hast du gut gemacht“, will der stellvertretende AfD-Parteichef der Pegida-Sprecherin wohl sagen. Tatsächlich waren die beiden in der ARD-Talkshow bei Günther Jauch ein relativ gutes Team. Sie ließ sich nicht zu extremen Aussagen hinreißen, wirkte defensiv und gemäßigt. Der AfD-Vize Gauland übernahm die Stammtischparolen. Auch wenn sie sich sonst nicht viel zu sagen hatten.

Mit Kathrin Oertel stellte sich am Sonntagabend zum ersten Mal ein Mitglied des Organisationsteams der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ der von ihnen kritisierten „Lügenpresse“. Unter dem Motto „Politik trifft auf Protest“ diskutierten Oertel und Gauland mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Jens Spahn, dem ehemaligen Präsident des Bundestages, Wolfgang Thierse und Frank Richter, dem Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind strenger als sonst, die Polizei patroulliert aber jede Woche mit Spürhunden über das Gelände. Am Sonntag wurde bekannt, dass es Morddrohungen gegen die Pegida-Organisatoren gibt. „Es sind eigentlich alle immer gemeint, es wird Angst geschürt“, sagt Kathrin Oertel in der Live-Sendung.“Aber es ist natürlich gegen eine Person ganz gezielt gewesen. Und das ist der Organisator Lutz Bachmann.“ Der montägliche Spaziergang in Dresden wurde von Pegida abgesagt, die Polizei hat alle Versammlungen unter freiem Himmel verboten.

„Ich bin in allererster Linie für die Menschen hier, die jeden Montag mit uns auf der Straße sind“, sagt die 36-Jährige. „Sie haben es verdient, objektiv betrachtet zu werden.“ Applaus in der ersten Reihe der Zuschauer. Dort sitzen die Begleiter von Kathrin Oertel und Alexander Gauland, darunter Pegida-Mitorganisator Siegfried Däbritz, Ex-CDU-Stadtrat Thomas Tallacker, Achim Exner, der Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbands Dresden ist, und der ehemalige stellvertretende Landeschef der AfD in Sachsen, Thomas Hartung. Er hatte im vergangenen Jahr Menschen mit Trisomie 21 die Fähigkeit abgesprochen, den Beruf eines Lehrers ausüben zu können und musste danach alle Ämter niedergelegen. Die Begleiter schauen die meiste Zeit mit vor der Brust verschränkten Armen zu und spielen für Oertel und Gauland die Anklatscher. Meist spenden sie allerdings allein Applaus.

„Eine normale Frau aus dem Volk“

„Wer sind Sie“, fragt Günther Jauch. „Ich bin eine normale Frau aus dem Volk“, sagt die Coswigerin, freiberuflich, drei Kinder, schon immer politisch interessiert aber parteilos. „Die Abendspaziergänger, wie wir sie nennen, sind wie Sie und ich, Herr Jauch.“ „So wie Sie vielleicht - nicht so wie ich“, kontert Jauch. Ausschlaggebend für die Gründung der Pegida-Bewegung seien die Unruhen in Hamburg und Celle gewesen. Dann gab es auf der Prager Straße in Dresden eine Veranstaltung, bei der forderten Linke Waffen für die PKK. „Da haben wir gedacht, wir müssen einfach etwas tun“, sagte Oertel. „Pegida will wachrütteln und auf Defizite aufmerksam machen, die durch die Regierung zustande gekommen sind.“ Günther Jauch nennt das „wolkig umschrieben“.

Während der kompletten Sendung sitzt Kathrin Oertel fast regungslos da. Die Beine übereinander geschlagen, die Hände in den Schoß gelegt. Sie trägt einen schwarzen Mantel über dem auffälligen, schwarz-weiß gemusterten Kleid. Ab und zu wippt sie mit ihrem Fuß, der in hochhackigen Stiefeln steckt. Sie wirkt ein bisschen angespannt, guckt meist zu Boden, auch wenn sie im Blitzlicht der Fotografen sitzt. Sie antwortet nur auf Fragen, ab und zu nickt sie zustimmend.

Für das Diskutieren sind die anderen zuständig. Allen voran Alexander Gauland. Der AfD-Vize sieht in dem Demonstrationsverbot für Pegida den „Beginn der Islamisierung, wenn wir Grundrecht nicht mehr ausüben dürfen“. „Das ist doch kein Zeichen für die Islamisierung“, kontert CDU-Politiker Jens Spahn. „Doch!“ „Sie können das jetzt nicht so billig machen!“ Spahn kündigte vorher auf Twitter an, er sei bereit für einen Perspektivwechsel, während der Sendung ist er aber derjenige, der die Aussagen von Oertel und Gauland am meisten entkräftet. Er und Thierse versuchen es mit sachlichen Argumenten und zeigen sich dialogbereit.

„Kardiologische Ferndiagnose der Kanzlerin“

Die Rolle des Vermittlers nimmt Frank Richter ein. Der Direktor der sächsischen Landeszentrale plädiert immer wieder für den Dialog mit den Pegida-Anhängern und warnt vor undifferenzierter Verurteilung, kritisiert manche Reden aber auch als „hetzerisch“. Die Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel nennt Richter „eine kardiologische Ferndiagnose der Kanzlerin über die Ereignisse in Dresden. Das ist nicht hilfreich.“ Merkel hatte dazu aufgerufen, nicht mehr zu Pegida zu gehen, weil die Menschen auf den Demos „Kälte in ihren Herzen tragen.“

„Frau Oertel, ich würde Ihnen vorschlagen, den Namen Pegida zu überdenken“, sagt Richter. Die meisten Demonstranten hätten eigentlich ganz andere Sorgen als die Islamisierung. Oertel widerspricht: Es gehe um die Geschehnisse in Deutschland, die aufgrund der Islamisierung passieren. „Wie kann es sein, dass in Deutschland Parallelgesellschaften entstehen, dass Friedensrichter Recht sprechen dürfen, dass in Koranschulen Hass auf deutsche Bürger geschürt wird?“

Günther Jauch zeigt Aufnahmen von den Demonstrationen in Dresden. Die Leute sprechen offen, sie sagen Sätze wie „Ich bin hier, weil ich gegen Ausländer bin“, „0,2 Prozent Muslime in Sachsen sind 0,2 Prozent zu viel“. Kathrin Oertel sitzt ganz still in ihrem Sessel. Dann sagt sie: „Man kann nicht sagen, dass Ausländer und Migranten nicht zu Deutschland gehören.“ Pegida sei keine ausländerfeindliche Organisation. „Aber Deutschland braucht eine geregelte Einwanderung.“ Der SPD-Mann Wolfgang Thierse appelliert an die Demokratie. „Durch schnelles Wünschen verändert sich nichts“, sagt er. „Demokratie verlangt Geduld. Sie ist nach ihrer Natur langsam. Nur ein Diktator kann schnell entscheiden.“ Die Mehrheit der 273 Zuschauer applaudiert.

Mehr als Parolen, Enttäuschung, Frust?

Das Klima wird rauer. „Demonstrationen sind noch keine Politik und Parolen keine Gesetze. Geht es wirklich um die 19 Punkte? Geht es nicht generell um Enttäuschung über Politik? Haben Sie Frust?“, fragt CDU-Mann Jens Spahn. Oertel sitzt da wie versteinert. „Ich persönlich habe keinen Frust, aber viele andere schon“, sagt sie. „Viele Themen waren tabu. Man durfte nicht über Migranten oder Asyl sprechen oder über eine Einschränkung der Einwanderung.“ Wenn Oertel über Asylpolitik spricht, wird ihre Stimme lauter, sicherer. Spahn habe sich viele Reden angehört: „Dass hier Hass mitschwingt, kann keiner bezweifeln.“

Schaden solche Biografien wie die von Lutz Bachmann Pegida?, will Jauch wissen. Der Pegida-Günder ist vorbestraft und saß im Gefängnis. „Jeder macht Fehler“, meint Oertel und zieht einen Vergleich zu Cem Özdemir, auf dessen Balkon eine Hanfpflanze stand, und dem steinewerfenden Ex-Außenminister Joschka Fischer. Ein Vergleich, der womöglich hinkt, meint Jauch. „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, sagt Oertel. Das gelte auch für straffällige „Asylanten“. Nicht jeder soll ausgewiesen werden, aber wer eine lange Liste von Straftaten hat, schon. Viele Menschen würden nicht verstehen, warum Gesetze nicht durchgesetzt werden. „Dann helfen Sie mit, dass es in Dresden mehr Verständnis gibt“, fordert Spahn. „Natürlich“, antwortet Oertel.

Im Gegensatz zum AfD-Vize Alexander Gauland wirkt Kathrin Oertel zahm. Gauland war selbst schon auf einer Pegida-Demonstration in Dresden. „Ich habe keinerlei rassistische oder ausländerfeindliche Äußerung gehört“, sagt er. Nur gegen die Medien ging es. „Dass die Menschen nicht wissen, dass das Wort Lügenpresse aus dem Dritten Reich stammt, liegt an unserem Geschichtsunterricht. Der ist ja nicht so toll“. Aber viele der Dinge, die auf den Demonstrationen gesagt werden, höre man in jedem Wahlkampf oder an jedem Stammtisch. „Auch sie haben ein Recht, gehört zu werden.“ Kathrin Oertel schaut ihn nicht einmal an, wenn er redet. Applaus aus der ersten Reihe.

„Wir sind das Volk“ als Anmaßung

„Wir Politiker haben zuzuhören, aber nicht nur“, sagt Wolfgang Thierse. Es sei „anmaßend“, dass Pegida „Wir sind das Volk“ ruft. „Der Spruch richtete sich gegen eine Diktatur. Jetzt richtet er sich gegen eine demokratisch gewählte Regierung.“ Zwei Drittel der Bürger würden Pegida ablehnen. Oertel widerspricht: Der Spruch sei aus dem Volk entstanden, das montags demonstriert. „Dieses Volk gehört dazu. Wie werden abgestempelt als Rattenfänger, Nazi-Schweine.“ Um das Volk besser zu beteiligen, fordert Oertel mehr direkte Demokratie. Das unterstützt auch Thierse. „Dafür braucht man aber auch Mehrheiten.“

Auch in Zukunft will Pegida Druck auf die Regierung ausüben. „Wir geben nicht auf“, sagt Kathrin Oertel direkt in die Kamera. Auch wenn es immer schwieriger werde, weil in den Reihen von Pegida auch Hooligans und Rechte demonstrieren, „das bestreiten wir nicht“. Unter den Gegendemonstranten gebe es auch Linksextreme. „Die machen uns das Leben schwer, weil da immer ein riesiges Polizeiaufgebot nötig ist.“ Pegida werde eine Möglichkeit finden, das Recht auf Demonstration wahrzunehmen. Pegida gehöre zu keiner Partei, auch nicht zur AfD. „Wir sind eine Bürgerbewegung und unparteilich.“ Jauch hakt nach: „Gehen Sie wählen?“ „Ja.“ „Darf ich fragen, wen Sie wählen?“ Oertel sagt: „Ich war klassische FDP-Wählerin, aber bei der letzten Wahl habe ich AfD gewählt.“

Mitarbeit: Nancy Riegel und Karin Schlottmann

Die Sendung in der ARD-Mediathek