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Passt das zusammen?

Eierschecke und Fischbrötchen – dazwischen die Elbe. Seit 30 Jahren verbindet eine Städtepartnerschaft Dresden und Hamburg. In einem persönlichen Essay sucht eine Hamburgerin, die zur Dresdnerin wurde, nach dem Grund für eine Hassliebe.

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© Arvid Müller, plainpicture

Johanna Lemke

Bevor man Hamburg erreicht, muss man abtauchen. Gerade hat man den Hafen passiert, diese monströse Stadt in der Stadt, schon verschwindet die A7 im Boden. Runter geht es in den Elbtunnel, um den Fluss zu unterqueren, mehrere Hundert Meter ist er hier breit. Noch vor viereinhalb Stunden hatte man ihn in Dresden beschaulich durch das Tal fließen sehen. Hier muss man ihn tunnelwärts kreuzen, eine Brücke gibt es an dieser Stelle nicht. Da würden die großen Pötte nicht drunter durchpassen, die hier täglich ein- und ausfahren.

Man hat sich durchgekämpft. Aus dem Tal heraus im vierten Gang, vorbei an Perlenschnuren von tschechischen und polnischen Lkw, hat Dresden hinter sich gelassen, das von oben so aussieht, wie ein Zehnjähriger eine Stadt malen würde, wenn man ihm sagte: „Mal eine Stadt.“ Alles in Dresden wirkt organisch, es fügt sich, die Gebäude sehen aus wie vor einhundert Jahren, es gibt nicht zu viele Menschen und nicht sehr viel Dreck, wenige Ausländer sowieso, und man kann sich einigen auf eine regionale Spezialität, die es hier, und nur hier in akzeptabler Qualität zu kaufen gibt.

Hamburg hat nicht nur keine Eierschecke, Hamburg hat auch keine echten Dampfschiffe, keinen Brückenstreit und auch kein Mittelgebirge in der Nähe. Dennoch verbindet die beiden Städte seit
30 Jahren eine offizielle Städtepartnerschaft, was 1987 bei der Unterzeichnung einigermaßen spektakulär war – zwei Jahre vor dem Mauerfall. Der Grund indes war wenig romantisch: Der damalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi bemühte sich um eine saubere Elbe, die als Brühe ins schöne Hamburg geflossen kam. Ohne Dresden war das nicht zu erreichen. Zumal auch hier in den letzten DDR-Jahren angeblich das gesamte Abwasser der Stadt ungeklärt in die Elbe floss.

Wie poetisch: Ein Fluss wird zum verbindenden Element im Kalten Krieg. Der Fluss ist es auch, der Dresden und Hamburg noch heute aneinander bindet, emotional, denn die Elbe ist etwas, das man nicht aus seinem Herzen rauskriegt, egal, wo man groß wurde.

Dabei könnte sie nicht unterschiedlicher sein, in Dresden fast ein Bächlein, gesäumt von Wiesen, in denen sich seltene Tierarten tummeln. In Hamburg ist es ein anderes Ufer, auf der einen Seite Hafen, nur Hafen, einer der größten der Welt, Tag und Nacht in Bewegung, sein dumpfes Dröhnen hört man über viele Kilometer bis in die Schlafzimmer. Durchbrochen vom Wiuwiu der Gabelstapler und dem Krachen, wenn Container abgeladen werden. Hamburg hat ein Grundbrummen, das man nur aus Großstädten kennt. In Dresden hingegen wird es vielerorts nachts fast still, und man horcht beinah auf, wenn mal ein Martinshorn ertönt.

Von Hamburg nach Dresden zu gehen, bedeutet, sich an saubere Parks zu gewöhnen, an Kopfsteinpflaster und Dunstglocken über der Stadt, die Demse genannt werden. Es heißt auch, eine Fremdsprache zu lernen, und damit ist nicht Sächsisch gemeint. Dresdnerisch besteht vorwiegend daraus, nichts zu sagen. „Grüß dich“. „N’Tag“. Pause. „Und?“ „Najo.“ Pause. „Nu.“ Pause. „Mmh“. Pause. Pause. Pause.

Es gibt sie, die Dresdner, die einem mit „Na hallo, meine Gudste!“ fast ins Gesicht springen und deretwegen man sie dann doch in sein Herz schließt, doch dominant ist das Schweigen. Das einander Beobachten, bevor man zu sprechen beginnt. Merkwürdig, dass man ausgerechnet Hamburgern vorwirft, kühl zu sein, wird dort doch jede Redepause gefüllt mit Smalltalk in dieser Tonart, die immer ein bisschen genervt klingt. Hamburgerisch wurde wahrscheinlich genau für das inhaltsleere, aber Kontakt aufbauende Reden erfunden – es gibt auch ein eigenes Wort dafür: Schnacken.

In Dresden steht man immer wieder in Menschengrüppchen, in denen geschwiegen wird, und die Leute fühlen sich trotzdem nicht unwohl miteinander. Vermutlich fühlen sie sich fast zu wohl. Mit ihrer Stadt, mit den Naherholungsgebieten, mit der barocken Geschichte. Dem Außenstehenden signalisieren sie in aller Deutlichkeit: Das verstehst du eh nicht.

Kann es Zufall sein, dass die Grenzen verherrlichende Pegida-Bewegung seit drei Jahren in Dresden ihren Hotspot hat, während sie von anderen Städten, auch von Hamburg, wie ein lästiger Ungeziefer-Befall abgeschüttelt wurde? Die Hamburger leben seit Jahrzehnten mit Griechen, Portugiesen, Afrikanern – mit allen Problemen, die Integration mit sich bringt. Natürlich ist man genervt von Müttern von türkischen Schulkindern, die keinen Sinn darin sehen, Deutsch zu lernen, man hat auch keine Lust auf albanische Clans. Aber es zieht auch niemand ernsthaft in Betracht, das wieder ändern zu wollen.

Andererseits ist auch das Verklärung, wie das Gespräch mit einer Hamburger Verkäuferin neulich zeigte: „Aus Dresden kommen Sie? Wie schön! Da ist es so sauber, es gibt so schöne Häuser! Und so wenige Ausländer, das hat mir gefallen.“ Die Frau arbeitete in einem Geschäft am Neuen Wall, das ist da, wo auch Tiffany’s einen Laden hat und Dolce & Gabbana. In Hamburgs Reichen-Wohnviertel Harvestehude verhinderte eine Bürgerinitiative lange ein Flüchtlingsheim. Das krudeste Argument: Wie fühlen sich die Syrer denn, wenn täglich Porsches an ihnen vorbeifahren?

Bürger mit Sorgen in Villenvierteln gibt es also hier wie dort, wenngleich an Dresdner Villen den Putz abblättert, das soll auch so, wohl als Kontrast zum Panamera vor der Tür. Aber man kann nicht über Hamburg sprechen, ohne auch über Geld zu sprechen – es ist vielleicht der augenfälligste Gegensatz zu Dresden, das in Sachen Nettoeinkommen am anderen Ende der Leiter liegt. Hamburg war immer schon die Stadt der Krämer und Kaufleute, mit ihrem Geld schufen sie den stilvollen Prunk, der für jemanden aus dem Osten wie ein Disneyland des gehobenen Geschmacks wirkt. Heute hat Hamburg nicht nur Kaufleute, sondern auf rund 1,8 Millionen Einwohner auch 42 000 Millionäre und 18 Milliardäre. Jeder achte Hamburger gilt alt reich. Gleichzeitig wächst jedes vierte Kind in einer Hartz-IV-Familie auf. Die Kluft ist immens. Urbanes Leben ist im Grunde nur noch Wohlhabenden vorbehalten, weil die Mietpreise zu den höchsten in ganz Deutschland gehören. Die Stadt schafft es ziemlich gut, das im Außenbild auszublenden. Hamburg-Besucher kichern, wenn an der U-Bahn das Ziel „Mümmelmannsberg“ steht, genau wie sie bei „Poppenbüttel“ kichern. Sie würden sich ungläubig die Augen reiben, setzte man sie in die Bahn und führe sie nach Mümmelmannsberg, nachdem sie gerade die Hafencity gesehen haben, in der man Penthäuser für zwei Millionen Euro kaufen kann. Mümmelmannsberg ist das Dresden-Gorbitz von Hamburg, hier wohnen die Menschen mit dem geringen Einkommen. Dennoch kostet die Dreizimmerwohnung tausend Euro kalt. Immerhin hat Hamburg die etwas halbherzig durchgesetzte Regel, dass es in jedem größeren Neubau ein Drittel Sozialwohnungen geben muss. Was wäre das für ein Modell für Dresden, wo man den Wohnungsmarkt komplett dem Zufall und anonymen Investoren überlässt, so dass er ebenso zu explodieren droht wie in der Partnerstadt. Das wäre doch mal ein Thema für den Austausch: Wie sichert man günstigen Wohnraum in Zeiten des Immobilienbooms?

Vielleicht ist es auch so, dass man Hamburg und Dresden einfach nicht vergleichen kann. Vielleicht gibt es keine zwei Städte, die unterschiedlicher sind. Hamburg, wo man unerträglich saure Rhabarberschorle trinkt und rohen Fisch aufs Brötchen legt – dagegen Dresden, das seinen Stollen mit eigenen Straßenumzügen feiert und sogar Filet mit Käse überbäckt und daraufhin noch in Sauce ertränkt. Wie soll eine Hamburgerin Dresden verstehen, wo man im Tal das ganze Jahr über in Wandersandalen unterwegs ist? Wie kann ein Dresdner mit Hamburg warm werden, wo sogar die Punks Markenklamotten tragen?

Zumindest in einem sind sie sich einig: Sie leben in der schönsten Stadt der Welt. Der Lokalstolz ist hier wie dort immens. Dazu beigetragen haben auch die historischen Nachkriegstraumata, die wiederum mit Wasser zu tun haben: 1962 wurde Hamburg Opfer einer verheerenden Sturmflut, 2002 war Dresden dran – in Hamburg nahm man empathisch daran teil, viele glauben allerdings immer noch, die Elbe sei über die Ufer getreten, nicht die Weißeritz. Wer soll es auch sein außer dieser geliebten, gefährlichen Elbe, die jedes Jahr wieder den Hamburger Fischmarkt unter Wasser setzt und Autos von einzelnen Dummköpfen schluckt, die sie nicht rechtzeitig weggeparkt haben. Aber daran hat man sich gewöhnt – nicht so in Dresden, wo auch das Hochwasser 2013 wieder Panik auslöste.

Es war das Erste, was die Hamburger nach der Wende forcierten: Sie schickten Ingenieure und Technik nach Dresden und halfen bei der Elbsanierung. Heute kann man in beiden Städten in dem Fluss wieder baden. Wobei sich das in Hamburg, mitten in dem Diesel schleudernden Hafen, nicht wirklich gut anfühlt. Die Dresdner sind da schmerzfrei, und von einer Wiese aus badet es sich auch leichter. Hin und wieder springt einer nackt hinein. Irgendwie sind sie in all ihrer Zurückhaltung dann doch sehr offen.

Fährt man mit dem Zug von Hamburg nach Dresden, hat man manchmal Glück und man landet in einem tschechischen Eurocity. Da gibt es dann frisches Spiegelei im Bordrestaurant und tschechisches Bier und man kann sich schon mal einstimmen auf die Stadt, die geografisch und vielleicht auch im Herzen näher an Prag liegt als an Hamburg, wie kann man es ihr verdenken? Und man fragt sich, was wäre, wenn hier noch eine Mauer stünde, wie viele Familien gäbe es dann nicht, wie viele Kinder wären nicht geboren und wie viele Menschen hätten nicht voneinander gelernt?

Nach dem Mauerfall fuhren Sonderzüge mit Dresdnern nach Hamburg und mit Hamburgern nach Dresden. Sie alle kamen beieinander unter, zeigten sich die jeweils schönste Stadt der Welt, und, wer weiß, vielleicht blieben ja manche. Die Elbe, immerhin, hätten sie behalten.

Die Autorin wurde 1981 in Hamburg geboren und wuchs dort auf, seit 2010 lebt sie in Dresden.