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„Papa, es brennt“

Das Bauernhaus von Familie Cauvin in Constappel brannte aus. Und dennoch hatte sie Glück im Unglück.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Röhrsdorf. Hugues Cauvin steht an jenem Augusttag dieses Jahres mit seinem Sohn Noah in der Küche und kocht. Noah möchte sein Kuscheltier dazuholen, es soll beim Kochen zuschauen. Kurz darauf kommt der Dreijährige ohne Kuscheltier, aber mit Entsetzen im Gesicht zurück in die Küche: „Papa, es brennt“, schreit er. Im Wohnzimmer stehen die Flammen schon bis zur Decke. Löschversuche mit dem Feuerlöscher sind völlig zwecklos.

Zur gleichen Zeit liegt Jenny Cauvin in der Dresdner Uniklinik. Drei Tage zuvor hat sie die Zwillinge Raphael und Leopold zur Welt gebracht, am nächsten Tag sollen die drei entlassen werden. Ihre Mutter ist gerade zu Besuch, als Jenny von ihrer Freundin eine Kurznachricht bekommt. Sie will wissen, ob es bei ihr zu Haus gebrannt habe. Das erzähle man sich in Constappel. Die Sirenen hätten geheult, die Feuerwehr war gefahren. Jenny Cauvin schaut ihre Mutter an. Die weiß von nichts. Nein, das muss eine Verwechslung sein. Wenig später die nächste Kurznachricht. Sie möge dringend zu Hause anrufen, schreibt ihr ein Freund. Die 31-Jährige versucht das, erreicht ihren Mann nicht über Handy. Das ist ungewöhnlich, jetzt wird sie unruhig. Kurz darauf ruft ihr Mann an. „Was ist mit Noah?“, ist ihre erste Frage. Es geht ihm gut, er und sein Vater sind unversehrt. „Das war für mich das Wichtigste, alles andere ist Nebensache. Materielle Dinge kann man ersetzen“, so die Französisch- und Ethiklehrerin.

Es war wie im Film

Doch nach Hause mit den Zwillingen kann sie erst mal nicht. Das Bauernhaus ist unbewohnbar, fast alle Zimmer im Obergeschoss sind geschädigt. Zwei Tage kann die junge Frau noch mit den Zwillingen in der Klinik bleiben. Dann findet die nun fünfköpfige Familie Unterschlupf bei Bekannten der Mutter, im Haus von Klempnermeister Gert Lehnhardt in Constappel. Dort wohnt sie bis heute. „Es gibt genügend Zimmer, Platz für die Kinder, das ist total in Ordnung hier. Man wird pragmatisch in solch einer Situation“, sagt sie.

Tage später sieht sich Jenny Cauvin das ausgebrannte Haus an. „Es war wie im Film, so unwirklich. Ich mochte nicht glauben, dass ausgerechnet uns das passiert ist“, erinnert sie sich an jenen Moment. Das ganze 140 Jahre alte Haus war schwarz, die Küche sah aus wie eine Räucherkammer. Das neu gemachte Bad ist völlig hin, auch das Zimmer für die Zwillinge, das ihr Mann gerade fertig gemalert und eingerichtet hatte, ist unbewohnbar. Insgesamt entstand ein Schaden von rund 150 000 Euro.

Brandursache war vermutlich ein technischer Defekt an einer Leselampe. Die Versicherung hat gezahlt, aber der ideelle Schaden ist nicht zu ersetzen. Die viele Arbeit, die die Familie in das Haus an unzähligen Wochenenden und Nächten gesteckt hat. Die Matchboxsammlung ihres Mannes, eine Erinnerung aus Kindertagen, ist regelrecht dahingeschmolzen. Anderes konnte gerettet werden. So die Fotoalben von Jenny Cauvin. „Ein Feuerwehrmann hat sie geistesgegenwärtig aus dem Fenster geworfen, so verhindert, dass sie verbrannten. Dafür bin ich ihm sehr dankbar“, sagt sie.

Verbrannt hingegen ist das gesamte Spielzeug von Noah. Der Dreijährige steht noch immer unter dem Eindruck des Brandes. „Immer, wenn die Sirene heult, fängt er an zu weinen“, sagt Jenny Cauvin. Noah möchte Feuerwehrmann werden. Seine Spielzeugautos, die er geschenkt bekam, hat er fein säuberlich getrennt. Die Feuerwehren stehen an der Tür. Damit sie gleich ausrücken können, wenn es brennt.

Und dennoch hat die Familie Glück im Unglück gehabt. Weil die Lehmdecken verhindert haben, dass das Feuer auf den Dachstuhl übergreift. Weil die Feuerwehr an jenem Dienstag Übungstag hatte. Dadurch waren die Feuerwehrleute schon in voller Montur. „Die sind ausgerückt noch ehe die Sirene losging“, sagt die 31-Jährige. Und weil niemand verletzt wurde.

Nach dem Brand hat die Familie eine ungeheure Solidarität und Hilfe erfahren. „Was mich besonders erstaunt und gefreut hat, war, dass Menschen halfen, die wir zuvor gar nicht kannten“, sagt die Röhrsdorferin, während sie Raphael windelt, Leopold schläft. Die beiden werden wie Bruder Noah zweisprachig aufwachsen, denn ihr Vater ist Franzose. „Familiensprache ist bei uns Französisch. In dieser Sprache spricht mein Mann mit den Kindern, ich hingegen in Deutsch“, sagt sie, die immer noch tief berührt ist, dass so viele Menschen der jungen Familie geholfen haben und noch immer helfen.

Sehr viel Hilfe und Solidarität

So sei eine Frau aus Dresden gekommen, habe eine Kiste mit Obst und Sachen für die Kinder gebracht. Das Schicksal der Familie habe sie sehr berührt, hatte sie gesagt. „Man hilft sich gegenseitig auf dem Dorf. Doch wir haben viel mehr Solidarität und Hilfe erfahren, als wir je dachten. Das hat mich sehr bewegt“, sagt Jenny Cauvin. Geholfen hat auch die Aktion „Lichtblick“.

Eigentlich wollte die Familie zu Weihnachten wieder in ihr Bauernhaus eingezogen sein. Doch daraus wird wohl nichts. Decken und Wände werden gerade verputzt, es muss noch gemalert werden, der Flur braucht eine Dielung. Möglich, dass bis Jahresende die Arbeiten fertig sind. Doch dann hat die Familie noch immer keine neuen Möbel. „Ich denke, dass wir im Januar einziehen können. Und wenn es später wird, ist es auch nicht schlimm“, sagt die junge Frau.

Jenny Cauvin weiß, dass es viel Schlimmeres gibt, und sie weiß das aus eigener Erfahrung. Im Gymnasium Nossen war sie die Lehrerin der ermordeten 17-jährigen Anneli Risse.

Konto-Verbindung: Ostsächsische Sparkasse Dresden IBAN: DE88 8505 0300 3120 0017 74 BIC: OSDDDE81

Hilfesuchende melden sich bitte bei den Sozialverbänden vor Ort, die mit Lichtblick zusammenarbeiten.

www.lichtblick-sachsen.de