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Paintball: Killerspiel oder Sport mit Farbkügelchen?

In Görlitz trainiert ein Bundesligaprofi Interessierte in dem heiß diskutierten Spiel und hat schon viele Skeptiker und sogar die Hochschule überzeugt.

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Von Jenny Ebert

Es ist laut in der Halle. Zwischen gelben, aufblasbaren Gummizylindern laufen vier Jugendliche und versuchen, sich gegenseitig mit kleinen Farbkugeln aus Luftpistolen zu treffen. Hinter den Säulen suchen sie immer wieder Deckung. Alle tragen Knieschoner und Schutzmasken. Die bunten Kugeln knattern, sie prallen ab an den Gummisäulen, es dröhnt durch die alte Fabrikhalle. Einer der vier hebt den Arm. Er wurde getroffen und muss das Spielfeld verlassen. Kopfschüttelnd wischt er an dem gelben Fleck herum, der nun seinen Arm ziert. Dann winkt er ab in Richtung Zuschauer, die hinter einem Netz das Spiel verfolgen. „Ich bin nicht schnell genug weggekommen.“

Wenige Jugendliche der Region wissen, dass in dem ehemaligen Kühlhaus im Süden von Görlitz regelmäßig Paintball gespielt wird. Der seit über 15 Jahren leer stehende Gebäudekomplex liegt versteckt im Ortsteil Weinhübel. Seit einem knappen halben Jahr bietet eine Gruppe von Görlitzer Jugendlichen hier die Möglichkeit, dieses Kampfspiel auszuprobieren. Dass keine Werbung gemacht wird, ist gewollt – nicht nur in diesen Tagen. Politiker diskutieren derzeit ein Verbot für Paintball. Damit werde „das Töten simuliert“, heißt es mit Blick auf Amokläufe von Jugendlichen. Das Waffenrecht soll verschärft werden. „Es ist gerade ein heißes Thema, und wir wollen keinen Ärger“, sagt Heiko Mantel, Vorsitzender des Freizeitsportkollektivs, das Paintballspielen in Görlitz anbietet. „Deswegen halten wir uns immer an die acht Goldenen Regeln für die Betreibung einer Paintballhalle.“ Im Internet erklären Rechtsexperten Paintballfans genau, wie sie bei den umfangreichen und komplizierten Bestimmungen mit dem Gesetz nicht in Konflikt geraten.

Dazu gehört die unscheinbare Klingel draußen an der Halle, neben dem fest verschlossenen Eingangstor. In dem riesigen Industriekomplex wirkt sie fast kurios. Auf das Läuten hin öffnet sich das Tor, und der Besucher muss durch dicke Stoffbahnen schlüpfen, die direkt hinter der Tür hängen. Ein paar Meter weiter versperren dicke Polster den Blick, bevor man endlich die Halle betritt. „Es steht in den Goldenen Regeln, dass niemand zufällig die Halle betreten können darf“, erklärt Heiko Mantel, während er den Riegel wieder vorschiebt. Nicht einmal das Zuschauen ist ohne Wissen des Betreibers erlaubt.

Unter diesen Einschränkungen ächzt auch Torsten Schönfeld. Er betreibt seit 2002 in Bautzen eine Paintballhalle, die größte in der Oberlausitz. „Ich brauchte 22 Genehmigungen für die Eröffnung“, sagt der 40-Jährige. „Das Umweltamt wollte wissen, ob die Farbkugeln biologisch abbaubar sind.“ Aber beide akzeptieren die strengen Bestimmungen. „Wir wollen der Jugend außergewöhnliche Angebote machen“, sagt Heiko Mantel, der gemeinsam mit seinem Bruder und einem Freund den Verein führt. Am Kühlhaus soll Paintball nicht die einzige Beschäftigung bleiben. Der Verein will ein Beachvolleyballfeld bauen, hinzu kommen Probenräume für Bands. „Ich selbst habe Paintball das erste Mal gespielt, als wir eröffnet haben“, sagt der 26-jährige Heiko Mantel.

300 Euro für Grundausrüstung

Drinnen erinnert die Görlitzer Halle an einen Jugendclub. Musik dudelt leise, Flaschen und Aschenbecher sind auf Tischen verteilt, mehrere alte Sofas stehen da. Ein engmaschiges Netz trennt das Paintballspielfeld ab. Auf einem der Sofas macht Johannes Kiefer sich gerade fertig. Aus einer Sporttasche angelt er einen Schoner nach dem anderen und legt ihn an, für Rücken, Brust, Ellbogen, Knie, Hüfte. Zuletzt die Schutzmaske. Etwa 300Euro müsse man für die Grundausrüstung bezahlen, erklärt er.

Der 25-Jährige spielt seit vier Jahren Paintball, mittlerweile in der ersten Bundesliga, und ist mit seinem Team „Düsseldorf Reckless“ amtierender Deutscher Meister. Der gebürtige Schwabe studiert Tourismus im zweiten Semester an der Hochschule Zittau/Görlitz – und freut sich, auch an seinem Studienort Paintball spielen und sein Wissen an Interessierte weitergeben zu können. „Es macht einfach Riesenspaß, man bleibt körperlich fit und wird beweglicher, weil man beim Paintball Bewegungen macht, die man im Alltag nicht braucht.“

Paintball als Hochschulsport

Dass sein Hobby in der Kritik steht, kann er nicht nachvollziehen. „Dass Paintball simuliertes Töten sei, ist für mich überhaupt kein Argument. Man kann gewinnen, ohne ein einziges Mal zu schießen.“ Er sieht seine Waffe – die beim Paintball Markierer heißt – als Sportgerät. „So wie der Fechter seinen Degen“, sagt Johannes Kiefer. Zumal zielgenaues Schießen beim Paintball nicht möglich sei. „Die Kugeln sind durch die Massenfertigung ein bisschen unterschiedlich und fliegen nicht immer gleich.“ Es geht in erster Linie nicht darum, jemanden zu treffen, sondern selbst nicht getroffen zu werden, fügt Heiko Mantel hinzu. „Es gibt uns also keinen Adrenalinkick, auf andere Menschen zu zielen.“ Wird man doch getroffen, ist das Verletzungsrisiko gering: Durch die vorgeschriebene Schutzkleidung gibt es nicht mehr als blaue Flecke.

Die Hochschule Zittau/Görlitz ist einer Meinung mit den Görlitzern. Seit April wird Paintball als Hochschulsport angeboten. „Wir wollen unseren Studenten vielfältige Angebote machen“, erklärt Sonja Bratoew, die 60-jährige Leiterin des Hochschulsports. „Und wenn wir schon einen Studenten von uns als Kursleiter haben können, wollten wir es mal mit Paintball probieren.“ Die Resonanz ist riesig, binnen weniger Tage haben sich etwa 40 Studenten eingetragen. 20 von ihnen spielen jetzt jeden Dienstag unter Anleitung von Johannes Kiefer Paintball – zur Hälfte Mädchen.

Die vier Jugendlichen, die außerhalb des Hochschulsports von Johannes Kiefer lernen wollen, haben sich warm gespielt. Jetzt üben sie das Treffen während des Laufens und das schnelle Verschwinden hinter den Deckungen. Immer wieder rennen sie von einer gelben Säule zur nächsten und versuchen, so genau wie möglich einen Punkt an der Wand zu treffen, ohne zu lange ohne Deckung zu bleiben. Johannes Kiefer steht daneben und gibt jedem Einzelnen Tipps. Einer der vier konzentriert sich so sehr aufs Zielen, dass er nicht aufpasst und gegen die Gummisäule läuft.

Viele sind jede Woche da, spielen zum Teil schon seit Jahren Paintball. Sie verdienen ihr Geld als Werbefachmann, Schlosser oder Vermögensberater. „Wir sind ganz normale junge Leute, was denken manche da draußen denn?“, fragt einer und füllt Farbkugeln nach. „Paintball ist genial. Man bleibt fit. Und man macht keinen Sport, den alle machen, so wie Fußball.“

Ausnahmsweise schaut die Mutter von Heiko und Andreas Mantel im Kühlhaus vorbei. Angelika Mantel hat Paintball noch nie gesehen. Sie schaut ein paar Minuten zu, scheint aber nicht viel damit anfangen zu können. „Ich habe keine Angst, dass meine Jungs das als Aggressionsabbau nutzen“, sagt sie, „sie sind ja nicht aggressiv, so kenne ich sie nicht.“

Auch Jörg Heidig von der Jungen Union ist heute zum Paintball gekommen, als Zuschauer. Weil die Zeitung da ist. Als Psychologe will er betonen, dass Amokläufe ganz andere Gründe haben und nicht von Teamspielern inszeniert werden. „Ich finde es wichtig, dass die Jungs weiterspielen können. Schon deshalb, weil sie was aus dieser alten Industriehalle gemacht haben.“ Durch solches Engagement gehe es voran. „Das funktioniert hier ganz ohne Fördermittel. Andere Projekte existieren ohne gar nicht.“