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Orangerie lüftet ihre Geheimnisse

Bei der Rekonstruktion im Herzogin Garten entdecken Bauexperten bislang unbekannte Details aus der Geschichte.

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© René Meinig

Von Nora Domschke

So nah sollte Jan Dietrich einer fremden nackten Frau sonst wohl besser nicht kommen. Bei Flora macht das nichts. Die kühle Schönheit bleibt in Gegenwart des Steinmetzes ohne Regung. Mit fast 180 Jahren ist sie ohnehin nicht mehr die Jüngste. Nun bekommt sie von Jan Dietrich eine Frischekur – so wie Pomona, die seit 1841 an der linken Seite des Orangerie-Kopfbaus in Richtung Zwinger schaut. Nach vielen Jahren hinter Holzplanken ist der Blick für die beiden Damen nun wieder frei. Um die Sandsteinfiguren vor Wind und Wetter zu schützen, wurden sie mit hölzernen Vorbauten abgedeckt.

Steinmetz Jan Dietrich arbeitet derzeit an der Sandsteinfassade des Orangerie-Kopfbaus. Und darf dabei auch den lange versperrten Blick auf die Figuren Flora und Pomona genießen. Wenn das Gerüst bald fällt, werden die Göttinnen der Blüte und der Baumfrüch
Steinmetz Jan Dietrich arbeitet derzeit an der Sandsteinfassade des Orangerie-Kopfbaus. Und darf dabei auch den lange versperrten Blick auf die Figuren Flora und Pomona genießen. Wenn das Gerüst bald fällt, werden die Göttinnen der Blüte und der Baumfrüch © Saal GmbH
Um 1840 entwarf Otto von Wolframsdorf die Orangerie. Der Entwurfsplan ist bis heute erhalten. Gebaut wurde von April bis Oktober 1841. Repro: Landesamt für Denkmalpflege.
Um 1840 entwarf Otto von Wolframsdorf die Orangerie. Der Entwurfsplan ist bis heute erhalten. Gebaut wurde von April bis Oktober 1841. Repro: Landesamt für Denkmalpflege. © Repro: Landesamt für Denkmalpflege

Diese sind jetzt verschwunden, ein Baugerüst bietet stattdessen Platz für die Handwerker. Bevor die Steinmetzen ans Werk gehen konnten, musste sich Bauingenieur Thomas Bauer zunächst mit der Geschichte der Orangerie im Herzogin Garten befassen. 2015 bekam er von Investor Reinhard Saal den Auftrag, die Rekonstruktion des Neorenaissancegebäudes zu begleiten. Gemeinsam mit Architekt Torsten Helms, der schon zu DDR-Zeiten zur Orangerie forschte, recherchierte Bauer in den Dresdner Archiven. Und stieß dabei auf bislang unbekannte Details der Baugeschichte. „Der Kopfbau befindet sich nicht mehr an der Stelle, an der er ursprünglich errichtet worden war“, sagt Bauer.

Weil der Weißeritzmühlgraben Anfang des 20. Jahrhunderts für den Bau des Schauspielhauses umverlegt werden musste, wurde die Orangerie kurzerhand eingekürzt. „Zwei Fensterbögen wurden einfach abgerissen und das Portal nach hinten versetzt.“ Das allerdings nicht sehr fachmännisch, urteilt der Bauexperte, denn es fehlt etwa eine ordentliche Verankerung zwischen den Gebäudeteilen. Wenn die Orangerie in einigen Monaten wieder aufgebaut ist, wird sie mit 65 Metern kürzer sein als das 114 Meter lange Original. „Dass das Gebäude rekonstruiert wird, ist dennoch ein riesiges Glück für die Stadt und für die Dresdner“, sagt Bauer. In den Archiven hat er noch mehr entdeckt: In den vollständig erhaltenen Unterlagen aus der Bauzeit fand Bauer auch alle Rechnungen von Otto von Wolframsdorf. Der Architekt hatte die Orangerie um 1840 entworfen und sich damit gegen Gottfried Semper durchgesetzt, der parallel zu Wolframsdorf sächsischer Hofbaumeister war und in seinem Forumsplan eine Orangerie auf dem Areal des heutigen Theaterplatzes andachte.

Thomas Bauer stieß außerdem auf Dokumente über die verwendeten Baumaterialien. Eine Besonderheit sind die farbigen Marmorplatten an der Fassade der Orangerie. So stammt der grünliche Marmor aus der Serpentinsteinstadt Zöblitz im Erzgebirge, bei dem rötlichen Marmor handelt es sich um Kalkstein aus Thüringen. „Diese farbigen Platten kenne ich eigentlich nur von Renaissancebauten“, sagt Bauer. „Zum Beispiel an den Domen von Pisa und Florenz.“ Dass Wolframsdorf sie in der Dresdner Neorenaissance einsetzte, spreche für dessen genaues Studium der italienischen Vorbilder. Was Bauer bislang ahnte, bestätigte nun die Archivrecherche: Die Orangerie im Herzogin Garten wurde nicht nur für die Überwinterung der Zierbäume aus dem Zwinger genutzt. „Schon 1844, also drei Jahre nach Fertigstellung, fand hier eine große Industrieausstellung statt, 1856 folgte eine Gewerbeausstellung.“ Das erkläre auch die für eine Orangerie wohl ungewöhnlich reich verzierten Innenräume.

Nach dem Wiederaufbau bekommt das Gebäude nun einen ganz neuen Zweck – es wird zum Wohnhaus. Schon im kommenden Jahr werden hier die ersten Bewohner einziehen. Unklar ist derzeit noch, wie der rund 60 Quadratmeter große Raum hinter dem Portal an der Ostra-Allee genutzt werden soll. „Er soll eigentlich der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“, erklärt Torsten Nowack, Projektleiter von Reinhard Saal. Das Problem: Es fällt kaum Tageslicht hinein. Das große Holzportal wird rekonstruiert, dort wird es keine Fenster geben. An den beiden Seiten gibt es nur schmale Öffnungen. „Wir stehen vor der bislang ungelösten Frage: Wie kann der Raum sinnvoll genutzt werden?“

Keinen Zweifel gibt es indes an der sinnvollen Nutzung des Parks – die Grünanlage wird noch in diesem Jahr fertig sein. Dann wandeln nach vielen Jahrzehnten wieder Spaziergänger durch den Herzogin Garten. Und können dann auch Flora und Pomona am Orangerie-Portal bestaunen.