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Operation im Museumssaal

Wenn eine Puppe einen Unfall hat, landet sie bei Margit Rintz auf dem OP-Tisch.

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© Sebastian Schultz

Von Kevin Schwarzbach

Riesa. Der Patient ist eigentlich ein Fall für die Notaufnahme, doch Margit Rintz bleibt gelassen, als Gisela Göpel ihre liebevoll in einen Holzkorb gebettete Puppe auf den Tisch stellt. Der Kopf ist abgeplatzt und liegt jetzt neben dem Körper im Korb. „Die Enkel haben neulich mit ihr gespielt und dabei ist der Unfall passiert“, berichtet Gisela Göpel. In ihrer Stimme ist zu hören, dass ihr die Puppe viel bedeutet. Wegschmeißen und eine neue kaufen, das kommt nicht infrage. Stattdessen geht es zur Puppendoktorin.

Als Ersatz stehen in der Puppenklinik neue Teile bereit.
Als Ersatz stehen in der Puppenklinik neue Teile bereit. © Sebastian Schultz
Auch ein Puppendoktor braucht ordentliches Chirurgen-Werkzeug.
Auch ein Puppendoktor braucht ordentliches Chirurgen-Werkzeug. © Sebastian Schultz

Und die erkennt sofort das Problem: Die Puppe ist aus einem anfälligen Material, das nach längerer Zeit häufig aufreißt, weil es dem Druck nicht mehr standhält. „Sie sollten also nicht allzu erzürnt auf ihre Enkel sein“, sagt Margit Rintz. Seit fast 22 Jahren ist sie Puppendoktorin, unzählige Patienten hat sie bereits operiert und ihnen ein längeres Leben geschenkt. Ein dicker Ordner zeugt von ihren Arbeiten. Am vergangenen Sonntag ist die Puppendoktorin im Rahmen der Ausstellung „Kam ein kleiner Teddybär“ im Haus am Poppitzer Platz zu Gast. Zwischen den Regalen mit Teddys hat die 60-Jährige, die wohl als eine der wenigen Mediziner Deutschlands kein Staatsexamen ablegen musste, ihren Tisch aufgebaut, der Empfang und OP zugleich ist. Und Mittelpunkt des Interesses. Kaum ein Besucher hält es lange an den Regalen aus, irgendwann versammeln sich alle um den Tisch, an dem Margit Rintz ihre Patienten begutachtet.

Gerade näht sie einem Löwen das Loch zwischen Nacken und Rücken wieder zusammen. Ein Eingriff für fünf Euro, bei dem die Doktorin trotzdem perfektionistisch ist. Die Naht soll keiner sehen. „Meine Kunden sollen zufrieden sein“, sagt sie. Erst stopft sie die Stelle etwas aus, dann verschließt sie sie mithilfe des Matratzenstichs. Die Besitzerin des Löwen sieht gespannt zu. „Die nächste Operation können sie selbst durchführen“, witzelt Rintz. „Ich mache mich hier heute noch arbeitslos.“

Doch davon ist die aufgeweckte Doktorin weit entfernt. Kaum hat sie einen Patienten zur Operation vorbereitet, liegt schon der nächste zur Erstuntersuchung auf dem Tisch. Löwen, Bären, Hasen, Igel und Puppen tummeln sich im Wartezimmer. Rund um den Tisch stehen die Kinder und bestaunen die Operationen. Marion Rintz hat die Aufmerksamkeit des gesamten Publikums. Stets spricht sie dabei in einer Sprache, die die Kinder fasziniert und die Erwachsenen zum Lächeln bringt. So bekommen die Patienten vor der Operation beispielsweise eine Holzhammer-Narkose.

Bei ihrem Umgang mit den Menschen hilft der Doktorin sicher ihr früherer Beruf als Lehrerin, den sie bis zur Wende ausübte. „Dann war ich wie viele andere auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung und probierte mich aus“, erzählt Rintz. „Irgendwann habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und wurde Puppendoktorin. Seither kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen.“ Die einfachen Operationen wie Näh- oder Stopfarbeiten bekommt Margit Rintz in ein paar Minuten hin, dazu reicht ihr Aufenthalt im Museum. Doch für schwerwiegendere Fälle wie die Puppe von Gisela Göpel braucht sie Zeit. Deshalb ist eine Einweisung in ihr Krankenhaus in Dresden-Laubegast unumgänglich. So ein Aufenthalt kostet dann je nach Arbeit etwas mehr, im Falle der kopflosen Puppe mindestens 50 Euro. Wenn sie auch die angeknabberten Finger erneuern soll, kommen noch einmal 30 Euro oben drauf. Doch viele Kunden entscheiden sich ohne Bedenken für den Eingriff, da ihnen die Puppen am Herzen liegen. Meist sind es Erbstücke oder Kindheitserinnerungen. Auch Gisela Göpel aus Strehla unterschreibt die Einweisung ins Krankenhaus ohne Zögern.