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Oma Heidi fährt nach Syrien

Heidemarie Franzke, 71, macht sich mit einem Rettungswagen in die zerstörte Stadt Kobane auf. Warum tut sie das?

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© René Meinig

Von Anna Hoben

Ob sie auch selber mitfährt nach Syrien? Oma Heidi guckt, als verstehe sie die Frage nicht ganz. Na, was denn sonst? Erstens: Wenn sie eine Sache anpackt, dann richtig. Zweitens: Es muss doch jemand aus Dresden dabei sein. Drittens: „Sicher ist man nirgends, auch nicht in Bayern.“ Okay, keine weiteren Fragen.

Also, natürlich gibt es weitere Fragen: Wie kommt es, dass eine 71-jährige Dresdnerin einen Rettungswagen kauft, um damit knapp 4 000 Kilometer zu fahren in so ein gefährliches Gebiet? Einfache Antwort: Hier steht sie, und sie kann nicht anders. Oma Heidi alias Heidemarie Franzke will helfen. In diesem Fall den Menschen von Kobane, jener kurdischen Kleinstadt an der syrisch-türkischen Grenze, die monatelang vom IS belagert war, heute befreit, aber nahezu komplett zerstört ist.

Ausführliche Antwort: Alles fing mit Pegida an. Als die Bewegung im Winter 2014/15 ihren Höhepunkt erlebte, dachte sich Heidemarie Franzke: „Man kann nicht nur demonstrieren, man muss was tun.“ Im Februar 2015 übernahm sie ihre erste Patenschaft für eine Familie aus dem Libanon. Zudem engagierte sie sich in Flüchtlingsinitiativen in Pieschen und Übigau. Dadurch kamen einige Schützlinge hinzu. Heute kümmert sie sich um 13 Asylbewerber. Da sie etwa im Alter ihrer eigenen Enkel sind, hat sie sie kurzerhand verbal adoptiert. „Meine Enkelkinder“, nennt sie die jungen Männer; für die ist sie umgekehrt schon lange „Oma Heidi“.

Schließlich ist da noch die Familie aus Damaskus. Im vergangenen Oktober kam der Vater mit einem Sohn nach Dresden, die Mutter und die beiden Töchter blieben zunächst in der syrischen Hauptstadt. Dann stellte sich heraus, dass das eine Mädchen, neun Jahre alt, an einer seltenen und schweren Blutplasmakrankheit litt. Oma Heidi war nicht nur da, um den Vater psychisch zu stärken, sie klärte auch alles Nötige mit dem Krankenhaus und half der Familie bei der Wohnungssuche. Im April holte sie Mutter und Töchter in Berlin ab. Diese Woche beginnt am Uniklinikum die Behandlung der Neunjährigen.

Heidemarie Franzke ist immer ein engagierter und vielseitig interessierter Mensch gewesen. Als Grundschullehrerin im Ruhestand plötzlich ruhig zu werden, das war nicht ihr Ding. Sie setzte sich für den Erhalt von Schulgärten ein, reiste dreimal in den Himalaya und kletterte mit 66 Jahren bis auf 5 600 Meter hoch.

Ihre jüngste Mission: der Rettungswagen für Kobane. Im März 2015 gründeten in Dresden ansässige Kurden und engagierte Einheimische die Initiative „Dresden hilft Kobane“. Hier traf Heidemarie Franzke auf Fettah Cetin. Der 55-jährige Bauunternehmer lebt seit 1979 in Deutschland, seit 2006 in Dresden. Jedes Jahr fährt der Kurde in seine Heimat, das türkische Diyarbakir, drei Stunden von der syrischen Grenze. Bei seinem letzten Besuch brachte er Spenden in ein Flüchtlingslager. Was er dort sah, erschütterte ihn.

Er berichtete seinen Freunden in Dresden davon, und es entstand eine Unterstützerwelle. „Wir verstehen uns als humanitäre Initiative und wollen von Mensch zu Mensch helfen, jenseits aller ideologischen Auseinandersetzungen“, sagt Anja Osiander, Sprecherin der Initiative. Erklärtes Ziel: den Menschen von Kobane, die nicht zu Flüchtlingen werden, sondern in ihre Stadt zurückkehren wollen, beim Wiederaufbau helfen. Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) unterstützt die Aktion als Schirmherrin.

Medizinische Hilfe, vor allem mobile, wird in der Stadt, in der immer noch überall Minen liegen, dringend benötigt. Doch es dauerte, bis die Dresdner ein bezahlbares Rettungswagen-Modell fanden. Jetzt ist es da: für 12 000 Euro bei einem Leipziger Autohändler gekauft. In den nächsten Wochen werden Materialien sortiert und medizintechnische Geräte eingebaut.

Mitte August kann die große Reise dann losgehen. Mit Fettah Cetin, zwei Rettungssanitätern, einer Syrerin, die schon lange in Dresden lebt – und natürlich Oma Heidi. Wie es an der türkisch-syrischen Grenze weitergeht, ob sie überhaupt bis nach Kobane kommen oder den Wagen vorher übergeben müssen, wird sich zeigen. Nur eins ist sicher: Wenn Heidemarie Franzke nach der Reise mit dem Flugzeug in Deutschland landet, wird sie wieder ein Dutzend Mails von ihren Schützlingen haben: „Oma Heidi, wir vermissen dich.“

Über die Reise werden die Dresdner regelmäßig im Internet berichten: www.dresden-hilft-kobane.de