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Olympiasieger im Steinbruch

Was Ruderer Philipp Wende in seinem Sport an die Weltspitze brachte, hilft ihm nun im Alltag. Ein Besuch vor Ort.

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© kairospress

Von Jochen Mayer

Die Strafe war hart, wenn es hieß: „Ab in den Steinbruch.“ Das klang nach schwerer Fron, Strapazen, stupidem Einerlei. Nicht für Philipp Wende. Der zweifache Ruder-Olympiasieger freute sich sogar über die Chance, die sich ihm im Steinbruch bot. Mit dem Doppelvierer hatte der Wurzener in London und Rio de Janeiro triumphiert, danach seine Karriere beendet. Es folgte der Start in ein neues Leben.

Philipp Wende
Philipp Wende © kairospress

In bergbaugerechter Arbeitskleidung, robusten Sicherheitsschuhen und mit festem Händedruck erfolgt die Begrüßung bei einem Besuch an seiner neuen Wirkungsstätte in Großsteinberg bei Grimma. „Das ist mein neues Reich“, sagt er schmunzelnd und steigt eine Anhöhe hinauf. Dahinter öffnet sich die Erde. „Das erwartet man nicht“, kommentiert er das Staunen, er kennt die überraschten Reaktionen von Erstbesuchern.

Offene Erde wie im Grand Canyon

Der Steinbruch ist ein Riesenloch und bietet den Blick in die Urgeschichte des Planeten, nichts anderes sind die erkalteten Gesteinsschichten. Die aufgebrochene Erde erinnert mit etwas Fantasie an den Grand Canyon, Geologen bekommen auch in der Gemeinde Parthenaue glänzende Augen. Seit über 100 Jahren wird dort Stein gebrochen, Quarzporphyr. Die Steinbruchfläche bleibt gleich groß, wie etwa 64 Fußballfelder. Das Riesenloch wächst nur in die Tiefe, 70 Meter weiter unten liegt die Grubensohle. Schwere Technik wirkt von oben wie Spielzeug. Und doch sind es Monstergeräte, die Bagger, Radlader und Transportbänder.

„Hier ist alles etwas größer“, untertreibt Philipp Wende und meint die Technik, die Werkzeuge, das Material. Er passt gut in diese Gulliver-Welt mit seinen fast zwei Metern Körpergröße, was für Ruderer ziemliche Idealmaße sind. Dauerbelastung und Kraft waren in seinem Sport genauso gefragt wie Feinabstimmung und Zusammenspiel. Alles Tugenden, die er nun einbringen kann bei seinem Arbeitgeber Hartsteinwerke Bayern-Mitteldeutschland. Die gehören zur Basalt-AG mit rund 450 Betriebsstätten in Deutschland.

Grober Schotter, einfach gebrochener Splitt, Edelsplitte und Baustoffgemische aus Naturstein türmen sich an den Eisenbahn-Verladestationen. Die streng genormten Größen sind gefragt bis an die Ostseeküste. Viel funktioniert automatisch im Steinbruch, vom Abbau bis zum Abtransport. „Und doch muss man auch zupacken, wenn es nötig ist“, erklärt der Bergbau-Ingenieur. Das war er schon als Ruderer gewöhnt, bei Wind und Wetter draußen unterwegs zu sein.

Für sein Leben nach dem Leistungssport hatte der Späteinsteiger, der erst als Student für den Leistungssport gesichtet worden war, schon während seiner aktiven Zeit die Weichen gestellt. Nach dem London-Olympiasieg forcierte er sein Freiberger Studium, sammelte Erfahrungen beim Praktikum auf einem Bohrfeld. Und er schaffte es nach der Auszeit wieder zurück ins Auswahlboot, wurde Weltmeister und gewann in Rio das zweite Olympiagold.

Einige Wochen ließ er offen, ob es mit dem Rudern weitergehen soll. Seine wichtigste Option: Der Ehrenbürger von Wurzen – und seit vergangenem Januar auch Papa – hoffte auf eine Arbeitsstelle in der Region. Als es die Chance gab, griff er zu, beendete seine Karriere als Auswahlruderer. Als Trainee gab es erst mal Einblicke in verschiedenen Betrieben und Bereichen bei der Natursteinaufbereitung und der Asphaltproduktion. Seine erste Station in Lüptitz war „praktisch mein Haussteinbruch“, erzählt er, „da bin ich früher immer auf dem Weg zum Baden vorbeigekommen. Da spielte es nie eine Rolle, dass ich dort mal arbeiten könnte.“ Aber genau dieser vertraute Ort gab den Anstoß, es mit einer Bewerbung zu versuchen.

Seit vergangenem November ist Philipp Wende stellvertretender Betriebsleiter. Doch er sieht sich immer noch als „Lernender, der jeden Tag was Neues entdeckt“. Dabei hält er es wie beim Rudern, als er in die Runde der Etablierten aufstieg und alles in sich aufsaugte, was es Neues gab. Und wie beim Sport geht es ihm nun um eigene Ansprüche, er will „alles möglichst gut und effektiv machen. Nicht aufhören, wenn etwas fertig scheint. Nicht von heute auf morgen leben. Ich möchte alles im Einklang haben und ein Grundkonzept.“

Verhaltensmuster, die Ruderer Wende gelebt hatte, funktionieren jetzt auch im Steinbruch. Zum Beispiel bei einem Technikschaden. „Dann verfalle ich nicht in Hektik, in der man die Hälfte vergisst oder falsch macht“, vergleicht er seinen Sport mit der Arbeit, „dann versuche ich die Nerven zu behalten. Eine gewisse Gelassenheit bringt einen in angespannten Situationen immer weiter.“

Respekt vor den Baggerfahrern

Philipp Wende ist bewusst, dass er als Sportler keinen normalen Weg ging. „Ich habe es nur hinbekommen, weil ich den Leistungssport wollte“, beschreibt er seinen Eigenantrieb. „Ich hatte mir da gesagt: Probiere es. Wenn es nichts wird, dann habe ich es wenigstens versucht.“ So ähnlich fühlt er sich gerade wieder und wird auch nicht neidisch auf seine einstigen Ruderkollegen, weil er im Steinbruch arbeiten will, wobei die Betonung auf Wollen liegt.

Rudern funktioniert nur im Zusammenspiel. Teamsport verlangt soziale Kompetenz, auch die ist nun auf Arbeit gefragt. Und wenn Wende über seine Kollegen spricht, dann ist Respekt zu vernehmen: „Ich muss auch auf die Baggerfahrer hören, die haben schließlich die Erfahrung.“ Dieses Miteinander klingt nach Arbeitsfreude im Steinbruch in „verschworener Gemeinschaft“, wie er sagt. Und Wende sieht „täglich ein Ergebnis. Das ist viel wert. Ich kann sagen: ,Das war ein guter Tag, oder nicht.‘ Da läuft nichts nach Schema F“. Das liegt schon am natürlichen Rohstoff.

Philipp Wende hat nicht mit dem Gedanken gespielt, ein Ruder-Comeback für ein drittes Olympiagold zu wagen. Der neue Lebensrhythmus hat gute Seiten: Jeden Abend zu Hause sein, den Sohn aufwachsen sehen, ruhige Stunden genießen können. Abtrainiert hatte er, manchmal bedauert er, nicht mehr Zeit für Fitnesssport zu haben. Aber das liegt wohl gerade auch an der frühen Dunkelheit.

Sein Kindheitstraum war, nicht immer im Büro sitzen zu müssen. Der geht jetzt in Erfüllung. Nur der Staub ist mitunter lästig. „Aber dafür gibt es ja Atemschutzmasken“, sagt er und fügt leise lächelnd hinzu: „Ich habe wohl vieles richtig gemacht.“