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Ohne Tüv-Mann Gunter rollt nix den Berg hinunter

Vor dem Faschingsumzug in Reinhardtsdorf werden alle Wagen inspiziert. Für den Prüfer ist dabei Anarchie Trumpf.

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© Steffen Unger

Von Thomas Möckel

Reinhardtsdorf. Die Idee reifte nachts, gleich früh ließ er sie auf rotes Papier drucken, nun hält Gunter Johne einen Packen mit Zetteln in der Hand, auf jedem ist der Spruch zu lesen „Faschings-Tüv Sachsen, Umzugsfahrzeug ist in einem faschingseinwandfreien Zustand“. Gunter moderiert gleich den Umzug des Reinhardtsdorfer Karnevalsclubs, 39 Jahre ist er schon dabei, doch bevor am Sonnabend auch nur ein Wagen den Berg hinabrollt, will Gunter sie alle inspizieren. Seine Prüfweise gilt als ungemein großzügig, die Möglichkeit, keine seiner Plaketten zu erhaschen, tendiert gegen Null. Für den Prüfer ist bei den Wagen Anarchie Trumpf, je unterschiedlicher, je individueller sie gestaltet sind, umso besser.

Faschingsumzug in Reinhardtsdorf

Ganz schön barock: Hannah (l.) und ihre Mutter Susan Tesch.
Ganz schön barock: Hannah (l.) und ihre Mutter Susan Tesch.
Standesgemäß in der Kutsche: Das Reinhardtsdorfer Prinzenpaar Elke, die Erste, und Gerd, der Erste.
Standesgemäß in der Kutsche: Das Reinhardtsdorfer Prinzenpaar Elke, die Erste, und Gerd, der Erste.
Königlich: René Hoffmann aus Kleinhennersdorf ging als August der Starke.
Königlich: René Hoffmann aus Kleinhennersdorf ging als August der Starke.
Toni Schulze (l.) und Michael Laubrich aus Postelwitz planschen im Zuber.
Toni Schulze (l.) und Michael Laubrich aus Postelwitz planschen im Zuber.
Bekrönt: Linda Schulze (l.) und Anne Katzschner aus Reinhardtsdorf.
Bekrönt: Linda Schulze (l.) und Anne Katzschner aus Reinhardtsdorf.
Die Schiffergesellschaft Prossen war mit einem kleinen Schiffsmodell zu Gast.
Die Schiffergesellschaft Prossen war mit einem kleinen Schiffsmodell zu Gast.
Super Laune: Claudia Ebert und die Mädels vom Schandauer Karnevalsclub.
Super Laune: Claudia Ebert und die Mädels vom Schandauer Karnevalsclub.

Gunter hat sich prüftechnisch in Schale geworfen, er trägt als Kostüm eine grüne Polizeiuniform, das Hemd hängt leger über der Hose, den Kopf ziert die golden-schwarze Kappe des Reinhardtsdorfer Karnevalsclubs. Seine Augen schützt Gunter mit einer dunklen Sonnenbrille, die er nicht einmal drinnen absetzt. Draußen blinzelt die Sonne schon recht frühlingshaft vom leicht bewölkten Himmel. Das Wetter ist wie gemacht für einen Umzug.

Gunter will mit seiner Prüfrunde schneller sein, als die Polizei erlaubt, auch die echten Beamten haben sich diesmal ganz offiziell angekündigt, sie wollen wohl auch nach dem Zustand des rollenden Umzugsmaterials schauen. Gunter aber hat Sorge, dass sie die in vielen Freizeitstunden liebevoll zusammengeschusterten und geschmückten Umzugswagen allzu genau unter die Lupe nehmen, daher sollen alle rasch sein eigenes Tüv-Zeichen tragen. Eine eigene Faschingsfreigabe sozusagen.

Auf dem Parkplatz vor dem Sport- und Freizeittreff hat sich Gunter inzwischen ein Mikrofon geschnappt und begrüßt die ersten Gäste. Die Jungs aus Postelwitz sind mit einem Traktor gekommen, an dem gleich zwei Anhänger hängen, einer mit einem Badezuber und 2 000 Liter Wasser darin, einer mit einer 35 Grad warmen Sauna drin. Licht, Bremse, alles okay, ruft Gunter ins Mikro, ohne sich die technischen Details des Gefährts auch nur einmal anzuschauen. Feixend händigt er das Tüv-Siegel aus. „Viel Spaß, Juuuungs“, sagt er, dabei zieht er das „U“ ganz lang.

Wenig später rollt die echte Polizei auf den Parkplatz, Gunter begrüßt das wunderschön blau-weiß geschmückte Auto und die prächtig kostümierten Insassen, die Beamten lächeln kurz, inspizieren von Weitem einige der Umzugswagen und sichern später das untere Ende der Umzugsstrecke.

Die Fußwege füllen sich unterdessen mit Zuschauern, Gunter feuert sie an, noch schnell vor dem Umzug noch etwas zu essen und zu trinken. „Denn gleicht geht es looooos“, ruft der Moderator. Diesmal zieht er das „O“ ganz lang.

Zwischen seinen kurzen Begrüßungsreden ist Gunter in Dauerprüfstress, jeder Wagen wird untersucht, es gibt nichts zu bemängeln, die Hülle mit den A4-großen roten Prüfsiegeln wird leerer. Der Parkplatz ist voll mit Umzüglern, viel Barock und viele Perücken sind zu sehen, das diesjährige Motto lautet „August schwirrt durch Zeit und Raum, und erkennt sein Sachsen kaum“. Ist das geil hier heute, ruft Gunter, während er kurz nach 13 Uhr den sich in Bewegung setzenden Umzug dirigiert. Kurz darauf verschwindet er im Getümmel.