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Ohne Schule ins neue Schuljahr

Lutz Hubert will vom Gymnasium an die Oberschule wechseln. Die Suche nach einem Platz wird für den Dresdner Schüler zur Odyssee.

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© Sven Ellger

Von Sandro Rahrisch

Die Noten im Fach Latein sind mangelhaft, der Leistungsdruck ist groß: Schon im Mai fasst Lutz den Entschluss, das Bühlauer Gymnasium zu verlassen. Die achte Klasse will der 13-Jährige an einer öffentlichen Oberschule beginnen. Doch bis zum letzten Ferientag vor zwei Wochen ist er an keiner angemeldet.

Als Mutter Carola Hubert im Mai die Bildungsagentur über den gewünschten Schulwechsel informiert, denkt sie, noch rechtzeitig einen Platz für ihren Sohn zu finden. Mehr als eine E-Mail bekommt sie aber nicht zurück. Sie solle sich noch etwas gedulden. Bevor die Jahresendnoten nicht feststehen, sei unklar, ob die Schulen Plätze für Sitzenbleiber frei halten müssen, heißt es in dem Schreiben. „Sobald wir einen freien Schulplatz haben, setzen wir uns mit Ihnen in Verbindung.“ Zwei Monate streichen ins Land.

„Ich habe dann auf Eigeninitiative Anfragen gestartet“, sagt Carola Hubert. Sie versucht es in der Weißiger Oberschule, der Schillerschule, der Oberschule am Pohlandplatz, in der Oberschule am Unteren Kreuzweg – doch überall wird sie vertröstet. Entweder sind die Klassen voll oder sie soll warten. Von einigen Schulleitern wird ihr empfohlen, sich gleich bei der Bildungsagentur zu melden. Was sie ja schon getan hatte. Aber selbst eine Woche vor Schuljahresbeginn liegt nichts im Briefkasten oder E-Mail-Postfach. Dann ruft sie selbst an. In Trachau könne sie es probieren, so ein Mitarbeiter. Dort befindet sich die 56. Oberschule. Sie ist per Straßenbahn und Bus rund eine Stunde vom Zuhause entfernt. Zwei Umstiege wären nötig. Für die Huberts kommt das nicht infrage.

Dass Schüler vom Gymnasium an die Oberschule wechseln, kommt vergleichsweise selten vor. Die amtliche Schulstatistik listet 113 Schüler auf, die diesen Schritt zum neuen Schuljahr gegangen sind. Das sind deutlich weniger als noch vor 15 Jahren. Damals entschieden sich 431 Jugendliche, das Gymnasium zu verlassen. Die Mehrzahl geht in der achten und neunten Klasse runter. Schlechte Leistungen und zu hohe Anforderungen sind mit Abstand die häufigsten Gründe, wie aus einer 2006 veröffentlichten Studie der TU Dresden für die Landeshauptstadt hervorgeht. Schon damals machten die Wissenschaftler deutlich, dass es für Schulwechsler nicht genügend Plätze in den Oberschulen gibt.

Am allerletzten Ferientag antwortet die Bildungsagentur der Bühlauer Familie schließlich per E-Mail. Sie soll sich in der Weißiger Oberschule melden. Wenn das Freitagnachmittag nicht gelingt, dann spätestens Montagfrüh – dem ersten Schultag. „Ich habe vor Unterrichtsbeginn angerufen“, sagt Carola Hubert. „Die Sekretärin teilte mir mit, dass die Klassen voll seien.“

Zumindest bis zum letzten Schultag deckt sich die Darstellung der Huberts mit der Schilderung der Bildungsagentur. Ja, der Schulwechsel sei rechtzeitig beantragt worden, sagt Referatsleiter Bernd Kafurke. Allerdings habe es zu diesem Zeitpunkt keine Plätze mehr für die achte Klasse an der Wunschschule gegeben. „Aufgrund der beschränkten Aufnahmekapazitäten an Dresdner Oberschulen, insbesondere in den Jahrgangsstufen acht und neun, gestaltet sich dieser Prozess schwierig, sodass bedauerlicherweise eine Reihe von Zuweisungen erst in der letzten Ferienwoche erfolgen konnten.“ Laut Bildungsagentur sei der Familie aber ein freier Platz an der Weißiger Oberschule angeboten worden. Nach Auskunft der Schule hätte Carola Hubert dort aber nie angerufen. Die Mutter bestreitet diese Darstellung. Sie habe sehr wohl angerufen. Eben mit der Antwort, die Klassen seien voll.

Dass es jedes Jahr ein Problem ist, die sogenannten „Wechsler“ rechtzeitig unterzukriegen, bestätigt die Bildungsagentur. Sind die Klassenobergrenzen erreicht, müsse abgewartet werden, ob Schüler die Klasse verlassen oder nicht versetzt werden, sodass wieder Plätze frei werden, so Kafurke. Das dauere bis zum Schuljahresende. „Für Schüler, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht an einer Oberschule aufgenommen werden konnten, koordiniert die Regionalstelle mit den Schulleitern die Aufnahme an Schulen mit freien Plätzen.“ Dabei haben die Schüler keinen Anspruch, eine Schule in Wohnortnähe zu erhalten. Anders als bei Grundschulen ist die Stadt nicht in Bezirke unterteilt und ein Schulweg von 60 Minuten zumutbar, wie das Oberverwaltungsgericht 2010 entschied.

Vom Platzproblem in wohnortnahen Schulen profitieren die Freien Schulen. Vor fast jedem Schuljahresbeginn würden sich „Wechsler“ melden, sagt eine Mitarbeiterin der Semper-Oberschule in der Neustadt. Hauptkriterium sei nicht nur, dass es überhaupt noch einen Platz gibt, sondern dass die Schule in der Nähe der Wohnung liegt. So haben sich inzwischen auch die Huberts für die Semper-Schule entschieden, damit Lutz überhaupt unterrichtet wird und nicht gegen die Schulpflicht verstößt.

Auf SZ-Nachfrage schreibt die Bildungsagentur: Ein Schulplatz für Lutz steht in Weißig zur Verfügung. Er kann umgehend aufgenommen werden. Doch der Achtklässler wird in der Neustadt bleiben. „Er soll nicht noch einen Schulwechsel durchmachen müssen“, sagt Carola Hubert.