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Ohne Job, aber glücklich

Armin Veh hat schon lange kein Traineramt mehr – und dennoch Freude am Leben außerhalb der Fußball-Bundesliga.

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© dpa

Von Nils Bastek

Armin Veh denkt gerade nicht an große Titel. Er freut sich über die kleinen Dinge. „Das is’ gar net so schlecht, so ein Kleiner“, sagt der derzeit arbeitslose Fußballlehrer und deutet auf das Rasenstück, das an seine Terrasse grenzt. „Der düngt nämlich gleichzeitig. Da brauchst du nicht abkehren oder sonst was und hast eigentlich immer einen grünen Rasen.“ Er spricht über seinen Rasenmäher-Roboter oder wie der gebürtige Augsburger ihn nennt: „So ’n Ding, das selber fährt.“

Er ist seit beinahe eineinhalb Jahren ohne Posten im Profifußball. Im Garten seines weißen Neubaus in dem Dorf Bonstetten in der Nähe seiner Heimatstadt wirkt der 56-Jährige so leger wie meist im Fernsehen. Er ist für seine Verhältnisse leicht gebräunt, trägt ein helles T-Shirt mit dem von ihm bevorzugten V-Ausschnitt. Die verwaschene Jeans hat einige Risse. Der Trainer sieht so lässig aus. Er bindet sich nicht mal die weißen Sneaker. Es könnte für ihn eigentlich gar nicht besser laufen. „Ich mach’ des, was mir Spaß macht.“

Vehs bisherige Karriere als Fußballlehrer verlief meistens gut statt schlecht. Mit dem FC Augsburg, der SpVgg Greuther Fürth und dem SSV Reutlingen stieg er jeweils auf, Anfang 2002 rief dann mit dem FC Hansa Rostock erstmals ein Bundesligist. Zwei Jahre kämpfte er mit dem Klub erfolgreich gegen den Abstieg. Kurze Zeit später hatte Veh darauf keine Lust mehr und trat zurück. Er war schon immer ein Selbstbestimmter. Wo es ging, trat Veh aus eigenen Stücken zurück. Manchmal waren die Klubs schneller.

Seine Frau Helena bietet Kaffee an. „Mit was drin?“, fragt die Schweizerin. Seit Beginn von Vehs Trainerlaufbahn Ende der 1980er-Jahre sind die beiden verheiratet. Nur einmal war ihr Ehemann seitdem länger ohne Trainerjob als jetzt. Vehs seit fast drei Jahren arbeitsloser Kollege Peter Neururer hat mal gesagt, dass er vor Langeweile fast durchdrehen würde und manchmal sogar Fliegen an der Wand zähle. „Der Peter, hah, ein lustiger Hund“, lacht Veh. „Er sagt des auch ehrlich so, aber das hab’ ich jetzt noch nicht gehabt. Aber, ich mein’, so lang hab’ ich auch noch keine Pause gehabt.“ Wieder lacht er.

Veh ist ein Sympathikus. Er legt da viel Wert drauf. Veh begrüßt einen mit lockerem Handschlag und duzt. Auf dem Tisch steht nicht nur frischer Kaffee. Es gibt auch ein paar Teilchen vom Bäcker. Auf eine Diät würde er so schnell ohnehin nicht kommen. Denn: „Man muss sich wohlfühlen. Das ist das Wichtigste.“ Von den Teilchen rührt Veh aber keines an. Er will gleich noch ins Fitnessstudio.

Es gibt im Fußballgeschäft nicht viele, die öffentlich schlecht über ihn reden. Als Veh noch Trainer bei Eintracht Frankfurt war, hatte er sich in einer Live-Fernsehsendung des Bezahl-TV-Kanals Sky mal mit Winfried Schäfer gezofft, den Veh einfach nicht leiden könne, wie er sagte. Schäfer schien davon so verdattert zu sein, dass er nicht mal im Ansatz etwas Schlechtes über Veh erwidern konnte. Stattdessen antwortete er nur: „Ich hoffe, dass Sie die nächsten Spiele gewinnen.“

Kritik an ihm gab es ansonsten meistens nur hinter vorgehaltener Hand. Dass er ab und zu etwas zu bequem oder an freien Tagen zu häufig nach Hause gebraust sei, sind zwei dieser Vorwürfe. Dass Veh hin und wieder nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mannschaften gegenüber zu lässig agiert habe, sie nicht immer habe begeistern können, ist ein anderer. Er streitet das zumindest indirekt nicht ab.

„Ich kann nur Dinge machen, wenn ich auch leidenschaftlich bin.“ Eben diese Leidenschaft habe ihm bei seinen letzten Stationen bei Eintracht Frankfurt und beim VfB Stuttgart gefehlt. „Im Nachhinein muss ich sagen, ich hätte beide Dinge nicht machen dürfen. Ich hätte den VfB Stuttgart nicht machen dürfen und Eintracht Frankfurt auch nicht ein zweites Mal.“ Er hat es trotzdem gemacht.

Etwas über vier Monate hielt er sich beim VfB Stuttgart. Immerhin 27 Spiele waren es bei Eintracht Frankfurt. Mit beiden Klubs hatte er zuvor seine wohl größten Erfolge als Trainer gefeiert – den VfB Stuttgart 2007 sensationell zur deutschen Meisterschaft geführt und Eintracht Frankfurt 2012 zurück in die Bundesliga und anschließend überraschend nach Europa. Zumindest den Vorwurf der anschließenden Rückkehr zu beiden Vereinen lässt Veh sich nicht machen. Denn daheim ist es immer noch am schönsten.

Er hat auch die Meisterschale von 2007 noch, zumindest eine originalgetreue Kopie. Die habe jeder, der damals dabei war, für 2 500 Euro kaufen können. Sie steht über dem Kamin, mitten in seinem Wohnzimmer. „Fühlt sich schon gut an, oder?“, grinst er. 50 Zentimeter Durchmesser, etwas über zehn Kilogramm schwer: der Beweis für Vehs bis heute größten Moment in seinem Trainerleben. 250 000 Menschen haben ihn und den VfB vor zehn Jahren in der Stuttgarter Innenstadt gefeiert. Diese Energie sei was Schönes, sagt er.

„Ich liebe den Fußball, ja. Ich lieb’ den Sport.“ Veh verfolgt natürlich genau, was gerade in der Bundesliga los ist. Julian Nagelsmann ist gerade mal 30 Jahre alt geworden und geht bereits in seine zweite Saison bei der TSG 1899 Hoffenheim. Domenico Tedesco ist auch erst 31 Jahre alt und hat nach gerade mal wenigen Monaten beim Zweitligisten FC Erzgebirge Aue den Job bei einem Spitzenklub wie dem FC Schalke 04 bekommen. Sogar seine Frau registriert das. „Ein knappes halbes Jahr bei Aue und jetzt ist er Schalke-Trainer“, sagt sie, als sie gerade vom Spaziergang mit dem Hund zurück ist. „Das ist ja witzig.“

Ganz so witzig findet ihr Mann das nicht. Tatsächlich spielte der Name Veh zumindest öffentlich kaum eine Rolle, als Vereine wie der FC Schalke oder der TSV Bayer 04 Leverkusen vor Wochen einen neuen Trainer suchten. Er war stattdessen viel unterwegs, mal bei Freunden in Rostock, mal auf Mallorca, „ich hab’ ja 1 000 Möglichkeiten“. Alles tolle Dinge, aber alles kein Fußball.

Neid empfinde er aber nicht, sagt Veh, als er auf seine jungen Kollegen in der Bundesliga angesprochen wird. Veh hat aber eine klare Meinung: „So leicht wie heute, Bundesliga-Trainer zu werden, war es noch nie.“ Er habe zwar auch mit 29 Jahren angefangen: „Aber ich musste schon dreimal Meister werden und aufsteigen, bis ich dann eine Chance bekommen hab’ in der Bundesliga.“

Veh holt noch eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, „reines aus der Region, viele Nährstoffe“. Es gibt nur ganz wenige Momente, in denen er mal sentimental zu werden scheint. Veh macht stattdessen den Eindruck, als würde er noch ewig so weiterleben können. Wenn er gewollt hätte, hätte er ja schon lange wieder als Trainer arbeiten können, sagt Veh. Aber nicht um jeden Preis. Auch sein Karriereende könne er sich vorstellen, wenn kein passendes Angebot mehr komme.

Nur einmal bröckelt in über zwei Stunden seine Distanz. Noch mal angesprochen auf die Bundesliga und ihre ganzen jungen Trainer, sagt er zwei Sätze, die fast in seiner langen Antwort untergehen, die aber dennoch fallen: „Es gibt schon Momente, wo mans wirklich vermisst“, meint Veh nachdenklich. „Das gibt’s schon.“

Lange hält er sich mit dem Gedanken aber nicht auf. Veh muss auch langsam los zum Sport. Er ist schon auf dem Weg zum Gartentor, verabschiedet sich wieder mit lockerem Handschlag, grinst zum Abschied noch mal und sagt auch seiner Frau Tschüss: „Ciao Baby, ich muss los.“ (dpa)