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Öfter Ärger mit dem Jugendamt

Ein Verein berät Eltern bei Problemen mit der Behörde – und warnt nun vor einem gefährlichen Trend.

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© Andreas Weihs

Von Tobias Winzer

Freital. Björn Redmann kennt solche Fälle. Der 38-Jährige ist Projektkoordinator beim Kinder- und Jugendhilferechtsverein und berät Eltern bei Problemen mit dem Jugendamt. Die Sächsische Zeitung hatte im Mai über ein Gerichtsverfahren berichtet, bei dem der Vater eines Kleinkindes angeklagt war. Der Freitaler war im Jugendamt ausgerastet und hatte gedroht: „Da können wir ja nur noch das Heim anbrennen und das Jugendamt gleich mit.“ Der Grund für den Ausraster: Die Behörde hatte ihm und seiner Lebensgefährtin das gemeinsame Kind weggenommen – wie ein Gericht später urteilte, zu Unrecht.

Im Mai hat die Sächsische Zeitung über ein Gerichtsverfahren berichtet. Ein Vater war im Jugendamt ausgerastet.
Im Mai hat die Sächsische Zeitung über ein Gerichtsverfahren berichtet. Ein Vater war im Jugendamt ausgerastet.

Redmann kennt die Einzelheiten des Falles nicht und kann auch nicht beurteilen, ob die Inobhutnahme des Kindes – so heißt es im Behördendeutsch, wenn Kinder in einer Notsituation aus ihren Familien genommen werden – in diesem Fall berechtigt war. Er kennt aber ähnliche Fälle, bei denen sich Eltern dem Jugendamt hilflos ausgeliefert fühlen und dann derart überzogen reagieren. Dahinter sieht er einen aus seiner Sicht besorgniserregenden Trend. „Wir glauben, dass die Jugendämter gute Arbeit leisten, aber die Mitarbeiter kommen an ihre strukturellen Grenzen“, sagt der ausgebildete Sozialpädagoge. „Wir wollen eine Unterstützung für die Jugendämter sein.“

Gegründet hat sich der Verein vor vier Jahren, weil es bis dahin noch kein solches Beratungsangebot gab. Die Initiatoren, vor allem Sozialarbeiter, stellten immer wieder Mängel in der Arbeit der Jugendämter fest. „Oft fühlen sich die Eltern vom Jugendamt nicht ernst genommen“, sagt Redmann. Die Berater sind hauptberuflich Sozialarbeiter und Juristen und engagieren sich ehrenamtlich im Verein, der auf der Bautzner Straße in Dresden seinen Sitz hat. In den vergangenen zwölf Monaten gab es 88 Beratungsgespräche in Dresden und den umliegenden Landkreisen.

Wachsende Unsicherheit bei den Mitarbeitern

In den meisten Fällen geht es bei den Gesprächen nicht darum, dass sich die Eltern gegen Inobhutnahmen wehren, sondern um vermeintlich leicht zu lösende Probleme in der Kommunikation.

Redmann hat zum Beispiel eine obdachlose und drogenabhängige Mutter beraten, die das Sorgerecht verloren hat und deren Kind ohne ihr Wissen in einer Einrichtung in Brandenburg untergebracht wurde. „Gesetzlich ist es so, dass die Eltern in diesem Fall nicht informiert werden müssen. Aber das Verhalten des Jugendamtes führt dazu, dass es die Mutter schwer hat, diese Maßnahme zu verstehen.“

Der Kinder- und Jugendhilferechtsverein vermutet hinter dem Verhalten eine wachsende Unsicherheit bei den Mitarbeitern der Jugendämter. Die Jugendämter hätten zunehmend einen Drang zur Standardisierung der Fälle. Dabei sei jeder Fall einzigartig und bedürfe einer individuellen Lösung, so Redmann. Der Verein beobachtet außerdem eine steigende Zahl an Inobhutnahmen – von deutschlandweit rund 26 000 Fällen im Jahr 2006 auf rund 48 000 Fälle im Jahr 2014. „Manchmal ist das der scheinbar einfachste Weg“, sagt der Sozialpädagoge.

Die Mitarbeiter stehen seiner Erfahrung nach unter dem Zwang, Entscheidungen schneller treffen zu müssen. Außerdem gebe es einen hohen öffentlichen Druck, Kinder aus ihren Familien zu nehmen. „Denn, wenn es zu Misshandlungen kommt, dann wird immer gefragt, warum das Jugendamt nicht eingegriffen hat.“

Der Verein kritisiert die wachsende Arbeitsbelastung in den Jugendämtern. Sachsenweit müsse demnach jeder Mitarbeiter 49 Fälle pro Jahr betreuen – zum Teil langwierige Verfahren. „Die Gewerkschaft Verdi fordert 27 Fälle“, so Redmann. Im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge kommen nach Angaben des Landratsamtes aktuell auf jeden Bearbeiter im Jugendamt rund 39 Fälle. Die Zahl sinkt seit 2013. 77 Kinder wurden bis zum Stichtag 1. Juni in diesem Jahr schon in Obhut genommen. Im gesamten vergangenen Jahr gab es 138 Fälle. 2014 waren es noch 199 Fälle.

Amt greife zu stark ein

Nicht eingerechnet in diese Statistik sind die Inobhutnahmen alleinreisender minderjähriger Flüchtlinge. „Die Arbeitsbelastung in den Jugendämtern ist generell in den letzten Jahren gewachsen und in den verschiedenen Bereichen hoch“, sagt eine Sprecherin des Landratsamtes. Die gesetzlichen Aufgaben, beginnend bei Prävention und Kindesschutz bis zur Gewährung von Leistungen und Hilfen gegenüber allen Kindern, Jugendlichen und Familien, würden aber gut erfüllt.

Björn Redmann vom Jugendhilferechtsverein wünscht sich, dass die Jugendämter durch eine bessere personelle Ausstattung besser auf die Bedürfnisse der Familien eingehen können. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, die Eltern mit einem Familienbetreuer zu unterstützen oder die Kinder in Tagesgruppen zu geben, anstatt sie den Eltern komplett wegzunehmen.

„Das Jugendamt steht zunehmend als eine Behörde da, die extrem in das Familienleben eingreift“, sagt er. Wenn Eltern Probleme bei der Erziehung hätten, würden sie sich deshalb nicht mehr ans Jugendamt wenden – aus Angst davor, das Kind zu verlieren. „Viele Eltern brauchen aber einen Ansprechpartner, der ihnen wirklich hilft.“

Kontakt zum Jugendhilferechtsverein per [email protected] oder Tel. 0351 32015653